Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.am Morgen nicht wissen, wo ich am Abend mein Haupt hinlegen werde. Das Aber Dornum? Beinahe hätte ich geschrieben: Dornum ist ein Ort, wo In dieser Hoffnung will ich den vier Männern von Dornum den ge¬ am Morgen nicht wissen, wo ich am Abend mein Haupt hinlegen werde. Das Aber Dornum? Beinahe hätte ich geschrieben: Dornum ist ein Ort, wo In dieser Hoffnung will ich den vier Männern von Dornum den ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0484" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212960"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1619" prev="#ID_1618"> am Morgen nicht wissen, wo ich am Abend mein Haupt hinlegen werde. Das<lb/> andre ist freilich bequemer. Aber wenn es sich bloß um die Bequemlichkeit<lb/> handelt, dann ist es doch noch viel bequemer, zu Hause zu bleiben, wie es ja<lb/> auch das sicherste, ja geradezu ein unfehlbares Mittel gegen die Seekrankheit<lb/> ist, am Lande zu bleiben. Aber dann kann man ja nicht mitreden, und viele<lb/> Leute reisen doch nur deshalb in der Welt herum, um mitreden zu können. Es<lb/> giebt sogar Erdumsegler, die keinen andern Zweck haben; Olovs-trottsr nennt<lb/> sie der Engländer. Diese sind imstande, dnrch die japanische Inland-See, also<lb/> durch eine der herrlichsten Gegenden der ganzen Welt zu fahren, und dabei —<lb/> Skat zu spielen. Hernach aber redet man mit, wenn über Japan geredet wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_1620"> Aber Dornum? Beinahe hätte ich geschrieben: Dornum ist ein Ort, wo<lb/> alle Leute die Hände in den Hosentaschen haben. Denn was das Auge hier<lb/> von menschlichen Wesen erblickt, das nimmt ohne Ausnahme diese Stellung<lb/> ein: der Hoteldiener, der Arbeiter, der Handelsmann und — nachdem er sich<lb/> davon überzeugt hat, daß der Briefkasten am Bahnhöfe leer ist — sogar der<lb/> Briefträger, trotz seiner Uniform! Vier Männer neben einander aufgebaut, alle<lb/> vier die Hände tief in die Hosentaschen vergraben, wahrlich ein Bild zum<lb/> Photographiren! Und hier weiß ich mich nun wirklich frei von Voreingenommen¬<lb/> heit. Nein, Wenns auch „per Blitzzug" geht, über diese unanständige Haltung<lb/> werde ich mich immer empören. Es sieht gottsjämmerlich aus, Leute, denen<lb/> Gott gerade Glieder hat wachsen lassen, so in sich selbst zusammengesunken,<lb/> vornübergebeugt, als ob sie die Schwindsucht hätten, einherschlurren zu sehen,<lb/> denn gehen kann man das doch nicht nennen, wenn sich einer fortbewegt, ohne<lb/> die Füße von der Erde zu bringen. Hätte ein Fremder diese Schönheits¬<lb/> galerie des Dornumer Bahnhofs gesehen, etwa ein Engländer — doch die<lb/> stecken ja selber die Hände in die Hosentaschen. Also ein Franzose! Aber<lb/> da kommen wir aus dem Regen in die Traufe; die thuns erst recht. Es<lb/> scheint ein weitverbreiteter Unfug zu sein. Nur daß es bei den Franzosen,<lb/> die die Taschen auf den Seiten an der Naht haben, lange nicht so häßlich<lb/> aussieht, als bei den vier Dornumern, denen sie vorn auf dem Leibe sitzen.<lb/> Da ich mir nun nicht einbilde, durch meinen Tadel irgend jemand diese Unart,<lb/> die wahrscheinlich von den meisten ganz unbewußt geübt wird, abzugewöhnen,<lb/> so richte ich wenigstens an alle deutschen Schneider, denen diese Zeilen zu<lb/> Gesicht kommen sollten, die dringende Bitte im Interesse des nationalen An-<lb/> stands: Bringt, bitte, die Taschen möglichst weit nach hinten an! Ihr seid<lb/> es, die noch am ehesten hier eine Änderung zum Bessern, schönern, An¬<lb/> ständigern herbeiführen können!</p><lb/> <p xml:id="ID_1621" next="#ID_1622"> In dieser Hoffnung will ich den vier Männern von Dornum den ge¬<lb/> gebnen Anstoß verzeihen, umsomehr, als sie einen so beredten Fürsprecher bei<lb/> mir haben. Sein Mund ist schon etliche hundert Jahre stumm, und doch<lb/> spricht er laut und einnehmend für alles, was irgend etwas mit Dornum<lb/> zu thun hat. Ich meine den ehrenfester, treuen, frommen Junker Ulrich von<lb/> Dornum. Der war der einzige aus der ganzen Harlinger Sippe, der dein<lb/> „Regierhause" unwandelbare Treue hielt. Er mußte sich dafür von seinem<lb/> saubern Bruder Hero Omken und von unserm Freunde, dem nicht minder<lb/> saubern Balthasnr, seinem Neffen, sein väterlich Erbteil und seine Güter vor¬<lb/> enthalten lassen, aber darum ist er doch in seiner Treue „unentwegt" geblieben.<lb/> Überall, wo es was Gutes und Rechtes galt, war er zu finden. Ein besonders<lb/> großes Verdienst hat er sich um das Religionsgespräch zu Oldersum erworben.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0484]
am Morgen nicht wissen, wo ich am Abend mein Haupt hinlegen werde. Das
andre ist freilich bequemer. Aber wenn es sich bloß um die Bequemlichkeit
handelt, dann ist es doch noch viel bequemer, zu Hause zu bleiben, wie es ja
auch das sicherste, ja geradezu ein unfehlbares Mittel gegen die Seekrankheit
ist, am Lande zu bleiben. Aber dann kann man ja nicht mitreden, und viele
Leute reisen doch nur deshalb in der Welt herum, um mitreden zu können. Es
giebt sogar Erdumsegler, die keinen andern Zweck haben; Olovs-trottsr nennt
sie der Engländer. Diese sind imstande, dnrch die japanische Inland-See, also
durch eine der herrlichsten Gegenden der ganzen Welt zu fahren, und dabei —
Skat zu spielen. Hernach aber redet man mit, wenn über Japan geredet wird.
Aber Dornum? Beinahe hätte ich geschrieben: Dornum ist ein Ort, wo
alle Leute die Hände in den Hosentaschen haben. Denn was das Auge hier
von menschlichen Wesen erblickt, das nimmt ohne Ausnahme diese Stellung
ein: der Hoteldiener, der Arbeiter, der Handelsmann und — nachdem er sich
davon überzeugt hat, daß der Briefkasten am Bahnhöfe leer ist — sogar der
Briefträger, trotz seiner Uniform! Vier Männer neben einander aufgebaut, alle
vier die Hände tief in die Hosentaschen vergraben, wahrlich ein Bild zum
Photographiren! Und hier weiß ich mich nun wirklich frei von Voreingenommen¬
heit. Nein, Wenns auch „per Blitzzug" geht, über diese unanständige Haltung
werde ich mich immer empören. Es sieht gottsjämmerlich aus, Leute, denen
Gott gerade Glieder hat wachsen lassen, so in sich selbst zusammengesunken,
vornübergebeugt, als ob sie die Schwindsucht hätten, einherschlurren zu sehen,
denn gehen kann man das doch nicht nennen, wenn sich einer fortbewegt, ohne
die Füße von der Erde zu bringen. Hätte ein Fremder diese Schönheits¬
galerie des Dornumer Bahnhofs gesehen, etwa ein Engländer — doch die
stecken ja selber die Hände in die Hosentaschen. Also ein Franzose! Aber
da kommen wir aus dem Regen in die Traufe; die thuns erst recht. Es
scheint ein weitverbreiteter Unfug zu sein. Nur daß es bei den Franzosen,
die die Taschen auf den Seiten an der Naht haben, lange nicht so häßlich
aussieht, als bei den vier Dornumern, denen sie vorn auf dem Leibe sitzen.
Da ich mir nun nicht einbilde, durch meinen Tadel irgend jemand diese Unart,
die wahrscheinlich von den meisten ganz unbewußt geübt wird, abzugewöhnen,
so richte ich wenigstens an alle deutschen Schneider, denen diese Zeilen zu
Gesicht kommen sollten, die dringende Bitte im Interesse des nationalen An-
stands: Bringt, bitte, die Taschen möglichst weit nach hinten an! Ihr seid
es, die noch am ehesten hier eine Änderung zum Bessern, schönern, An¬
ständigern herbeiführen können!
In dieser Hoffnung will ich den vier Männern von Dornum den ge¬
gebnen Anstoß verzeihen, umsomehr, als sie einen so beredten Fürsprecher bei
mir haben. Sein Mund ist schon etliche hundert Jahre stumm, und doch
spricht er laut und einnehmend für alles, was irgend etwas mit Dornum
zu thun hat. Ich meine den ehrenfester, treuen, frommen Junker Ulrich von
Dornum. Der war der einzige aus der ganzen Harlinger Sippe, der dein
„Regierhause" unwandelbare Treue hielt. Er mußte sich dafür von seinem
saubern Bruder Hero Omken und von unserm Freunde, dem nicht minder
saubern Balthasnr, seinem Neffen, sein väterlich Erbteil und seine Güter vor¬
enthalten lassen, aber darum ist er doch in seiner Treue „unentwegt" geblieben.
Überall, wo es was Gutes und Rechtes galt, war er zu finden. Ein besonders
großes Verdienst hat er sich um das Religionsgespräch zu Oldersum erworben.
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