Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Die Judenfrage eine ethische Frage behauptet, so ist die jüdische Religion mit ihrem Vergeltungsprinzip eigentlich Trotzdem hat es von jeher Juden gegeben, die ein warmes Herz für Rassenverfolgnngen kommen nun zwar auch heute, noch häufiger vor, Bei den Juden liegt die Sache ganz anders. Nur ein verschwindendes Es giebt ja aber auch Rassenhaß, der nicht künstlich geweckt und gro߬ Die Judenfrage eine ethische Frage behauptet, so ist die jüdische Religion mit ihrem Vergeltungsprinzip eigentlich Trotzdem hat es von jeher Juden gegeben, die ein warmes Herz für Rassenverfolgnngen kommen nun zwar auch heute, noch häufiger vor, Bei den Juden liegt die Sache ganz anders. Nur ein verschwindendes Es giebt ja aber auch Rassenhaß, der nicht künstlich geweckt und gro߬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0453" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212929"/> <fw type="header" place="top"> Die Judenfrage eine ethische Frage</fw><lb/> <p xml:id="ID_1519" prev="#ID_1518"> behauptet, so ist die jüdische Religion mit ihrem Vergeltungsprinzip eigentlich<lb/> ein Unding und eine Ungerechtigkeit; nur der Grundsatz christlicher Barm¬<lb/> herzigkeit und Nachsicht steht mit der Wissenschaft im Einklange.</p><lb/> <p xml:id="ID_1520"> Trotzdem hat es von jeher Juden gegeben, die ein warmes Herz für<lb/> ihre Mitmenschen hatten und von der christlichen Sittlichkeit tief durchdrungen<lb/> waren, wenn sie sich auch scheuten, die Quelle ihrer Erkenntnis zu gestehen.<lb/> Überdies beschäftigt man sich im modernen Europa mit Ausnahme von England<lb/> — ob mit Recht, soll hier nicht näher untersucht werden — so wenig mit<lb/> religiösen Fragen, und das Volk steht heute durchschnittlich auf einer solchen<lb/> Stufe religiöser Duldsamkeit, daß es heutzutage Wohl kaum ein Land in<lb/> Europa giebt, wo eine rein religiöse Verfolgung andersgläubiger in größerm<lb/> Stile mit Erfolg in Szene gesetzt werden könnte. Der religiöse Fanatismus<lb/> hat überall der Toleranz Platz gemacht, und Lessings berühmter Vergleich von<lb/> den drei Ringen, die die drei monotheistischen Hauptreligionen bedeuten, kann<lb/> zwar nicht im Sinne ihrer Gleichwertigkeit, aber doch in dem Sinne so¬<lb/> zialer Gleichberechtigung der Bekenner verschiedner Religionen als richtig an¬<lb/> erkannt werden. Wenn sich trotzdem die Judenfrage in immer neuen Volks¬<lb/> versammlungen, Flugschriften u. s. w. der öffentlichen Meinung aufdrängt, so<lb/> kann sie unmöglich eine religiöse Frage sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1521"> Rassenverfolgnngen kommen nun zwar auch heute, noch häufiger vor,<lb/> gelten aber doch bloß besondern Nationalitäten, von deren Erstarrung man ihre<lb/> Trennung von einer andern Nation und die Bildung eines besondern Staats-<lb/> ganzen befürchtet. Es sind politische Maßregeln, die sich auf kein sittliches,<lb/> sondern auf ein Herrschaftsprinzip gründen, sie haben auch nur lokalen Cha¬<lb/> rakter und gehen weniger vom Volke, als von den Regierungen aus. Wenn<lb/> man auch früher z. B. in Österreich gegen die Polen eine Politik der Unter¬<lb/> drückung beobachtete, die auf ein vermeintliches Staatsinteresse zurückgeführt<lb/> wurde, so ist doch das Volk in Österreich, in Deutschland, ja selbst in Rußland<lb/> dem polnischen niemals feindlich gesinnt gewesen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1522"> Bei den Juden liegt die Sache ganz anders. Nur ein verschwindendes<lb/> Häuflein von ihnen denkt heute an die Gründung eines besondern Staats¬<lb/> ganzen; die meisten nennen diesen Gedanken utopisch. Wenn übrigens jemals<lb/> ein jüdischer Staat entstehen sollte, so könnte das nur in Palüstiua, Arabien<lb/> oder Argentinien geschehen, und da würden doch die meisten europäischen<lb/> Staaten, weit entfernt, diesen Gedanken zu bekämpfen, ihn im Gegenteil be¬<lb/> fördern, weil seine Verwirklichung ihnen ermöglichen würde, sich ihrer Juden<lb/> auf gute Art zu entledigen. Die Sympathie von ganz Osteuropa wäre diesem<lb/> Gedanken jedenfalls gesichert.</p><lb/> <p xml:id="ID_1523" next="#ID_1524"> Es giebt ja aber auch Rassenhaß, der nicht künstlich geweckt und gro߬<lb/> gezogen wird, sondern spontan auftritt, ohne daß politische Gründe ihn ge¬<lb/> wissermaßen wo nicht entschuldigen, so doch begreiflich machen. Die chinesischen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0453]
Die Judenfrage eine ethische Frage
behauptet, so ist die jüdische Religion mit ihrem Vergeltungsprinzip eigentlich
ein Unding und eine Ungerechtigkeit; nur der Grundsatz christlicher Barm¬
herzigkeit und Nachsicht steht mit der Wissenschaft im Einklange.
Trotzdem hat es von jeher Juden gegeben, die ein warmes Herz für
ihre Mitmenschen hatten und von der christlichen Sittlichkeit tief durchdrungen
waren, wenn sie sich auch scheuten, die Quelle ihrer Erkenntnis zu gestehen.
Überdies beschäftigt man sich im modernen Europa mit Ausnahme von England
— ob mit Recht, soll hier nicht näher untersucht werden — so wenig mit
religiösen Fragen, und das Volk steht heute durchschnittlich auf einer solchen
Stufe religiöser Duldsamkeit, daß es heutzutage Wohl kaum ein Land in
Europa giebt, wo eine rein religiöse Verfolgung andersgläubiger in größerm
Stile mit Erfolg in Szene gesetzt werden könnte. Der religiöse Fanatismus
hat überall der Toleranz Platz gemacht, und Lessings berühmter Vergleich von
den drei Ringen, die die drei monotheistischen Hauptreligionen bedeuten, kann
zwar nicht im Sinne ihrer Gleichwertigkeit, aber doch in dem Sinne so¬
zialer Gleichberechtigung der Bekenner verschiedner Religionen als richtig an¬
erkannt werden. Wenn sich trotzdem die Judenfrage in immer neuen Volks¬
versammlungen, Flugschriften u. s. w. der öffentlichen Meinung aufdrängt, so
kann sie unmöglich eine religiöse Frage sein.
Rassenverfolgnngen kommen nun zwar auch heute, noch häufiger vor,
gelten aber doch bloß besondern Nationalitäten, von deren Erstarrung man ihre
Trennung von einer andern Nation und die Bildung eines besondern Staats-
ganzen befürchtet. Es sind politische Maßregeln, die sich auf kein sittliches,
sondern auf ein Herrschaftsprinzip gründen, sie haben auch nur lokalen Cha¬
rakter und gehen weniger vom Volke, als von den Regierungen aus. Wenn
man auch früher z. B. in Österreich gegen die Polen eine Politik der Unter¬
drückung beobachtete, die auf ein vermeintliches Staatsinteresse zurückgeführt
wurde, so ist doch das Volk in Österreich, in Deutschland, ja selbst in Rußland
dem polnischen niemals feindlich gesinnt gewesen.
Bei den Juden liegt die Sache ganz anders. Nur ein verschwindendes
Häuflein von ihnen denkt heute an die Gründung eines besondern Staats¬
ganzen; die meisten nennen diesen Gedanken utopisch. Wenn übrigens jemals
ein jüdischer Staat entstehen sollte, so könnte das nur in Palüstiua, Arabien
oder Argentinien geschehen, und da würden doch die meisten europäischen
Staaten, weit entfernt, diesen Gedanken zu bekämpfen, ihn im Gegenteil be¬
fördern, weil seine Verwirklichung ihnen ermöglichen würde, sich ihrer Juden
auf gute Art zu entledigen. Die Sympathie von ganz Osteuropa wäre diesem
Gedanken jedenfalls gesichert.
Es giebt ja aber auch Rassenhaß, der nicht künstlich geweckt und gro߬
gezogen wird, sondern spontan auftritt, ohne daß politische Gründe ihn ge¬
wissermaßen wo nicht entschuldigen, so doch begreiflich machen. Die chinesischen
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