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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Die Repräsentation in der Gesellschaft der Völker

Vereinigungen in England oder Nordamerika ruhig in den Schatten treten
lassen. In den nächsten Jahrzehnten wird trotz der Pariser Jahrhundert-
ausstcllung die unvermeidliche Ausgleichung zwischen Wesen und Form der
nationalen Leistung weiter fortschreiten.

Es ist ein merkwürdiger Gegensatz zwischen der Disziplin, der sich die
deutsche Natur beugt, und der Formlosigkeit, zu der sie neigt. Etwas ähn¬
liches findet man bei keinem andern Volke. Von der militärischen Stramm¬
heit und den Förmlichkeiten der Beamtenhierarchie geht wenig ins Privatleben
über, und wenn die soziale Schichtung bei uns noch immer strenger durch¬
geführt ist als bei andern Völkern, so strebt doch in jeder Schicht jeder seinem
und nicht einem allgemeinen sozialen Ideal nach. Für Franzosen und Eng¬
länder giebt es eine einzige soziale Höhe, zu der alle streben, während das
deutsche Leben vielgestaltig wie der Boden ist, auf dem es sich bewegt. Bei
uns kann sich ein hochgebildeter Mann benehmen wie ein Bauer, und er wird
doch in seinem guten Kern anerkannt werden; in England würde er sich schon
eine Blöße geben, wenn er zu einem bestimmten Braten eine andre als die
übliche Sauce aus der Saueenflaschenbatterie herausgriffe, und würde sozial
unmöglich sein, wenn er nicht den Gesetzen der Mode über die Tageszeiten
folgte, an denen man Frack oder Rock, weiße oder blaue Halsbinden trägt.

Wir selbst wollen aber der Pflichten nicht vergessen, die sich uns daraus
ergeben. Es muß uns etwas von dem Selbstgefühl zuwachsen, das die andern
abzulegen haben werden, und unsre Schätzung der Formen muß sich heben.
Die bequeme Breite unsrer sozialen Formen, die allerdings von Süden nach
Norden rasch abnimmt und schon viel beschnitten worden ist, muß gewiß als
ein köstliches Gut für unser inneres Leben, d. h. für das Leben im Laude gelten,
aber sie erschwert unzweifelhaft unsre Repräsentation im Auslande, dort fehlt
unsern Landsleuten die Sicherheit und Klarheit, die jeder sozialen Verpflich¬
tung spielend gerecht wird. Unser Land, das seine Botschafter und Gesandten
unter den "Edelsten der Nation" wählt, sieht sich auf internationalen Ver¬
einigungen nur zu oft von kalt- und formlosen Gruppen vertreten, die diese
Gelegenheiten für die passendsten zum Abtragen alter Überzieher halten, in die
sie sich beharrlich von früh bis spät hüllen und über den Nutzen reiner
Wäsche ebenso selbständig denken, wie über ein Problem der Wissenschaft oder
Politik. Das sind nur die äußern Zeichen einer tiefern Unzulänglichkeit, die
sich in dem Mangel an Organisation und Zusammenschluß und in der Un¬
sicherheit ausspricht, die wichtige Abschnitte der Repräsentation verpassen
oder falsch auffassen läßt. Dem geschloßnen Auftreten der Franzosen bei den
großen Universita'löschten der letzten Jahre stand das Auseinanderfallen der
deutschen Vertreter, von denen einige "in Tracht," andre im Frack, noch andre
im Rock erschienen, kläglich gegenüber, und während jene von vornherein die
besten Redner bestimmt hatten, die sich in gutem Französisch mit der Sicher-


Grenzboten III 1892 5K
Die Repräsentation in der Gesellschaft der Völker

Vereinigungen in England oder Nordamerika ruhig in den Schatten treten
lassen. In den nächsten Jahrzehnten wird trotz der Pariser Jahrhundert-
ausstcllung die unvermeidliche Ausgleichung zwischen Wesen und Form der
nationalen Leistung weiter fortschreiten.

Es ist ein merkwürdiger Gegensatz zwischen der Disziplin, der sich die
deutsche Natur beugt, und der Formlosigkeit, zu der sie neigt. Etwas ähn¬
liches findet man bei keinem andern Volke. Von der militärischen Stramm¬
heit und den Förmlichkeiten der Beamtenhierarchie geht wenig ins Privatleben
über, und wenn die soziale Schichtung bei uns noch immer strenger durch¬
geführt ist als bei andern Völkern, so strebt doch in jeder Schicht jeder seinem
und nicht einem allgemeinen sozialen Ideal nach. Für Franzosen und Eng¬
länder giebt es eine einzige soziale Höhe, zu der alle streben, während das
deutsche Leben vielgestaltig wie der Boden ist, auf dem es sich bewegt. Bei
uns kann sich ein hochgebildeter Mann benehmen wie ein Bauer, und er wird
doch in seinem guten Kern anerkannt werden; in England würde er sich schon
eine Blöße geben, wenn er zu einem bestimmten Braten eine andre als die
übliche Sauce aus der Saueenflaschenbatterie herausgriffe, und würde sozial
unmöglich sein, wenn er nicht den Gesetzen der Mode über die Tageszeiten
folgte, an denen man Frack oder Rock, weiße oder blaue Halsbinden trägt.

Wir selbst wollen aber der Pflichten nicht vergessen, die sich uns daraus
ergeben. Es muß uns etwas von dem Selbstgefühl zuwachsen, das die andern
abzulegen haben werden, und unsre Schätzung der Formen muß sich heben.
Die bequeme Breite unsrer sozialen Formen, die allerdings von Süden nach
Norden rasch abnimmt und schon viel beschnitten worden ist, muß gewiß als
ein köstliches Gut für unser inneres Leben, d. h. für das Leben im Laude gelten,
aber sie erschwert unzweifelhaft unsre Repräsentation im Auslande, dort fehlt
unsern Landsleuten die Sicherheit und Klarheit, die jeder sozialen Verpflich¬
tung spielend gerecht wird. Unser Land, das seine Botschafter und Gesandten
unter den „Edelsten der Nation" wählt, sieht sich auf internationalen Ver¬
einigungen nur zu oft von kalt- und formlosen Gruppen vertreten, die diese
Gelegenheiten für die passendsten zum Abtragen alter Überzieher halten, in die
sie sich beharrlich von früh bis spät hüllen und über den Nutzen reiner
Wäsche ebenso selbständig denken, wie über ein Problem der Wissenschaft oder
Politik. Das sind nur die äußern Zeichen einer tiefern Unzulänglichkeit, die
sich in dem Mangel an Organisation und Zusammenschluß und in der Un¬
sicherheit ausspricht, die wichtige Abschnitte der Repräsentation verpassen
oder falsch auffassen läßt. Dem geschloßnen Auftreten der Franzosen bei den
großen Universita'löschten der letzten Jahre stand das Auseinanderfallen der
deutschen Vertreter, von denen einige „in Tracht," andre im Frack, noch andre
im Rock erschienen, kläglich gegenüber, und während jene von vornherein die
besten Redner bestimmt hatten, die sich in gutem Französisch mit der Sicher-


Grenzboten III 1892 5K
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[0449] Die Repräsentation in der Gesellschaft der Völker Vereinigungen in England oder Nordamerika ruhig in den Schatten treten lassen. In den nächsten Jahrzehnten wird trotz der Pariser Jahrhundert- ausstcllung die unvermeidliche Ausgleichung zwischen Wesen und Form der nationalen Leistung weiter fortschreiten. Es ist ein merkwürdiger Gegensatz zwischen der Disziplin, der sich die deutsche Natur beugt, und der Formlosigkeit, zu der sie neigt. Etwas ähn¬ liches findet man bei keinem andern Volke. Von der militärischen Stramm¬ heit und den Förmlichkeiten der Beamtenhierarchie geht wenig ins Privatleben über, und wenn die soziale Schichtung bei uns noch immer strenger durch¬ geführt ist als bei andern Völkern, so strebt doch in jeder Schicht jeder seinem und nicht einem allgemeinen sozialen Ideal nach. Für Franzosen und Eng¬ länder giebt es eine einzige soziale Höhe, zu der alle streben, während das deutsche Leben vielgestaltig wie der Boden ist, auf dem es sich bewegt. Bei uns kann sich ein hochgebildeter Mann benehmen wie ein Bauer, und er wird doch in seinem guten Kern anerkannt werden; in England würde er sich schon eine Blöße geben, wenn er zu einem bestimmten Braten eine andre als die übliche Sauce aus der Saueenflaschenbatterie herausgriffe, und würde sozial unmöglich sein, wenn er nicht den Gesetzen der Mode über die Tageszeiten folgte, an denen man Frack oder Rock, weiße oder blaue Halsbinden trägt. Wir selbst wollen aber der Pflichten nicht vergessen, die sich uns daraus ergeben. Es muß uns etwas von dem Selbstgefühl zuwachsen, das die andern abzulegen haben werden, und unsre Schätzung der Formen muß sich heben. Die bequeme Breite unsrer sozialen Formen, die allerdings von Süden nach Norden rasch abnimmt und schon viel beschnitten worden ist, muß gewiß als ein köstliches Gut für unser inneres Leben, d. h. für das Leben im Laude gelten, aber sie erschwert unzweifelhaft unsre Repräsentation im Auslande, dort fehlt unsern Landsleuten die Sicherheit und Klarheit, die jeder sozialen Verpflich¬ tung spielend gerecht wird. Unser Land, das seine Botschafter und Gesandten unter den „Edelsten der Nation" wählt, sieht sich auf internationalen Ver¬ einigungen nur zu oft von kalt- und formlosen Gruppen vertreten, die diese Gelegenheiten für die passendsten zum Abtragen alter Überzieher halten, in die sie sich beharrlich von früh bis spät hüllen und über den Nutzen reiner Wäsche ebenso selbständig denken, wie über ein Problem der Wissenschaft oder Politik. Das sind nur die äußern Zeichen einer tiefern Unzulänglichkeit, die sich in dem Mangel an Organisation und Zusammenschluß und in der Un¬ sicherheit ausspricht, die wichtige Abschnitte der Repräsentation verpassen oder falsch auffassen läßt. Dem geschloßnen Auftreten der Franzosen bei den großen Universita'löschten der letzten Jahre stand das Auseinanderfallen der deutschen Vertreter, von denen einige „in Tracht," andre im Frack, noch andre im Rock erschienen, kläglich gegenüber, und während jene von vornherein die besten Redner bestimmt hatten, die sich in gutem Französisch mit der Sicher- Grenzboten III 1892 5K

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/449>, abgerufen am 08.01.2025.