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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Die Repräsentation in der Gesellschaft der Völker

Mnu giebt sich nicht oft genug Rechenschaft von der Bedeutung, die die
geschickt und mit Liebe geübte Repräsentation gewinnen kann. An und für
sich erscheint sie uns ja ohne Wert, sie ist eine Form, die ohne Inhalt ein
Nichts ist, und der wir um so weniger Gewicht beilegen möchten, als sie um
so näher an die Reklame grenzt, je höhere Schätzung sie für sich verlangt.
Mit Recht betrachten wir die soziale Stellung als hohl, die vorwiegend auf
der Erfüllung äußerer Formen beruht. Die Erfahrung jedes Tages lehrt uns
aber doch, daß auf diesem Weg auch ehrliche Erfolge errungen werden, und
daß die Geringschätzung der Formen, weil es Formen sind, die Thorheit eines
Weltnnkuudigen wäre. Wir Deutschen haben uns zu hüten, daß hier wir nicht
in ein Extrem verfallen. Für Frankreich sind Repräsentation und Reklame ebenso
wichtige Werkzeuge der Wirkung nach außen wie Diplomatie oder Flotte. Ein
großer Teil des französischen Einflusses in der Welt beruht auf Illusionen, die
zu erhalten man sich jenseits der Vogesen die größte Mühe giebt. Wörtlich und
bildlich sind französische Mode und Küche, französische Zeitungen und Theater,
französische Litteratur und Kunst, Pariser Waren und Schweinereien Hilfs¬
truppen dieses Einflusses. Würde die innere Nichtigkeit einer oder der andern
dieser "Snuleu" der französischen Ruhineshalle nachgewiesen, so wäre das einer
Verlornen Schlacht gleichzusetzen. Dazu darf man es also nicht kommen lassen.
Besonders darf Paris, der Brennspiegel alles französischens Könnens, sich
nicht in den Schatten stellen lassen. Das ist ein gerade so triftiger Grund¬
satz der französischen Politik, wie daß Frankreich nicht vom Papst lassen dürfe,
und wäre es voltairisch bis ins Blut. Unter diesem Gesichtspunkt gewinnen
die Weltausstellungen, und was damit zusammenhängt, für Frankreich eine Be¬
deutung, die uns unbegreiflich bleibt, solange wir uns nicht in die französische
Auffassung hineindenken. Wir müssen diese eben verstehen, wenn wir den Wert
einer solchen Veranstaltung überhaupt schätzen lernen wollen.

Repräsentation bis zur Reklame ist aber durchaus nicht bloß französische
Eigentümlichkeit. Auch die Angelsachsen dies- und jenseits des Ozeans ver¬
stehen sich sehr gut daraus. Nur nimmt sie bei ihnen eine weniger aufdring¬
liche Form an. Einem Engländer wird es natürlich nie einfallen, mit den
schlugen zu kokettiren, die er empfangen hat, so wie die Franzosen seit jenem
herrlichen Jahre der Vergeltung 1870, aus dessen kriegerischen Niederlagen sie
Kapital schlagen, indem sie vorgeben, sich dafür längst litterarisch oder künstle¬
risch gerächt zu haben. Der Engländer sucht den Eindruck in der ruhigen
Hochschätzung und -- Überschätzung des Eignen und verfehlt ihn nicht. Das
reicht von der Litteratur bis zu den Haarnadeln, und er läßt sich durch nichts
besseres irre machen. Wir impressionabeln Deutschen erholen uns von der
Bewunderung der französischen Überlegenheit, um -- in die der englischen
ZU verfallen! Der ruhige Deutsche, den der Vergleich des Eignen und Fremden
gegen die Lust blöden Staunens gewappnet hat, findet mit Mühe seinen Weg


Die Repräsentation in der Gesellschaft der Völker

Mnu giebt sich nicht oft genug Rechenschaft von der Bedeutung, die die
geschickt und mit Liebe geübte Repräsentation gewinnen kann. An und für
sich erscheint sie uns ja ohne Wert, sie ist eine Form, die ohne Inhalt ein
Nichts ist, und der wir um so weniger Gewicht beilegen möchten, als sie um
so näher an die Reklame grenzt, je höhere Schätzung sie für sich verlangt.
Mit Recht betrachten wir die soziale Stellung als hohl, die vorwiegend auf
der Erfüllung äußerer Formen beruht. Die Erfahrung jedes Tages lehrt uns
aber doch, daß auf diesem Weg auch ehrliche Erfolge errungen werden, und
daß die Geringschätzung der Formen, weil es Formen sind, die Thorheit eines
Weltnnkuudigen wäre. Wir Deutschen haben uns zu hüten, daß hier wir nicht
in ein Extrem verfallen. Für Frankreich sind Repräsentation und Reklame ebenso
wichtige Werkzeuge der Wirkung nach außen wie Diplomatie oder Flotte. Ein
großer Teil des französischen Einflusses in der Welt beruht auf Illusionen, die
zu erhalten man sich jenseits der Vogesen die größte Mühe giebt. Wörtlich und
bildlich sind französische Mode und Küche, französische Zeitungen und Theater,
französische Litteratur und Kunst, Pariser Waren und Schweinereien Hilfs¬
truppen dieses Einflusses. Würde die innere Nichtigkeit einer oder der andern
dieser „Snuleu" der französischen Ruhineshalle nachgewiesen, so wäre das einer
Verlornen Schlacht gleichzusetzen. Dazu darf man es also nicht kommen lassen.
Besonders darf Paris, der Brennspiegel alles französischens Könnens, sich
nicht in den Schatten stellen lassen. Das ist ein gerade so triftiger Grund¬
satz der französischen Politik, wie daß Frankreich nicht vom Papst lassen dürfe,
und wäre es voltairisch bis ins Blut. Unter diesem Gesichtspunkt gewinnen
die Weltausstellungen, und was damit zusammenhängt, für Frankreich eine Be¬
deutung, die uns unbegreiflich bleibt, solange wir uns nicht in die französische
Auffassung hineindenken. Wir müssen diese eben verstehen, wenn wir den Wert
einer solchen Veranstaltung überhaupt schätzen lernen wollen.

Repräsentation bis zur Reklame ist aber durchaus nicht bloß französische
Eigentümlichkeit. Auch die Angelsachsen dies- und jenseits des Ozeans ver¬
stehen sich sehr gut daraus. Nur nimmt sie bei ihnen eine weniger aufdring¬
liche Form an. Einem Engländer wird es natürlich nie einfallen, mit den
schlugen zu kokettiren, die er empfangen hat, so wie die Franzosen seit jenem
herrlichen Jahre der Vergeltung 1870, aus dessen kriegerischen Niederlagen sie
Kapital schlagen, indem sie vorgeben, sich dafür längst litterarisch oder künstle¬
risch gerächt zu haben. Der Engländer sucht den Eindruck in der ruhigen
Hochschätzung und — Überschätzung des Eignen und verfehlt ihn nicht. Das
reicht von der Litteratur bis zu den Haarnadeln, und er läßt sich durch nichts
besseres irre machen. Wir impressionabeln Deutschen erholen uns von der
Bewunderung der französischen Überlegenheit, um — in die der englischen
ZU verfallen! Der ruhige Deutsche, den der Vergleich des Eignen und Fremden
gegen die Lust blöden Staunens gewappnet hat, findet mit Mühe seinen Weg


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/443>, abgerufen am 08.01.2025.