Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Weltgeschichte in Hinterwinkel mich die Absendung meines Briefes vergessen ließ. In der Kirche, unmittelbar Zuerst begriff ich gar nicht, um was es sich handelte. Doch so viel be¬ Ich war ihr erst vor einigen Tagen im Sindelwald begegnet, wo sie sür Sie fragte mich zuerst, ob es denn wahr sei, daß ich mit den Hamburgern Du freilich warst damals lebhafter als ich, sagte ich errötend, denn die Cölestine schwieg; aber ein schwerer Seufzer entrang sich ihrer Brust. Du hattest an jenem Tage rötere Backen als heute, antwortete ich scherzend, Die Cölestine lachte darüber nicht, obwohl ich es erwartet hatte. Sie Umsonst fragte ich, was ihr fehle, und ob ich ihr helfen könne. Ich er¬ Nach und nach erholte sich Cölestine von ihrem Weinen und erhob sich Weltgeschichte in Hinterwinkel mich die Absendung meines Briefes vergessen ließ. In der Kirche, unmittelbar Zuerst begriff ich gar nicht, um was es sich handelte. Doch so viel be¬ Ich war ihr erst vor einigen Tagen im Sindelwald begegnet, wo sie sür Sie fragte mich zuerst, ob es denn wahr sei, daß ich mit den Hamburgern Du freilich warst damals lebhafter als ich, sagte ich errötend, denn die Cölestine schwieg; aber ein schwerer Seufzer entrang sich ihrer Brust. Du hattest an jenem Tage rötere Backen als heute, antwortete ich scherzend, Die Cölestine lachte darüber nicht, obwohl ich es erwartet hatte. Sie Umsonst fragte ich, was ihr fehle, und ob ich ihr helfen könne. Ich er¬ Nach und nach erholte sich Cölestine von ihrem Weinen und erhob sich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0434" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212910"/> <fw type="header" place="top"> Weltgeschichte in Hinterwinkel</fw><lb/> <p xml:id="ID_1456" prev="#ID_1455"> mich die Absendung meines Briefes vergessen ließ. In der Kirche, unmittelbar<lb/> vor dem Gottesdienst, geschah das Seltsame. Ich sah oben von der Orgel<lb/> herab den Vorgängen zu.</p><lb/> <p xml:id="ID_1457"> Zuerst begriff ich gar nicht, um was es sich handelte. Doch so viel be¬<lb/> merkte ich bald, daß die schöne Cölestine aus dem kleinen Dürfte die Heldin<lb/> des sich abspielenden Auftritts sein mußte, dieselbe Cölestine Vächle, der ich<lb/> vor ungefähr einem halben Jahr auf dem Acker des Fülleutoni die Stroh¬<lb/> bänder gelegt hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1458"> Ich war ihr erst vor einigen Tagen im Sindelwald begegnet, wo sie sür<lb/> ihre lahme Mutter, die alte Hechelkasperin, Lesholz zusammentrug, was auch<lb/> mein Geschäft bildete, und wobei sie sich mir gegeuüber so seltsam benahm,<lb/> daß ich nicht klug aus ihr wurde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1459"> Sie fragte mich zuerst, ob es denn wahr sei, daß ich mit den Hamburgern<lb/> hätte ziehen wollen, um Musiker zu werdeu. — Ich wunderte mich, daß sie<lb/> davon wußte. — Ich sähe so traurig aus seit jener Einquartierung, meinte<lb/> sie; allerdings sei ich schon vorher nicht sehr lustig gewesen. Ob ich mich denn<lb/> noch an das Garbenbinden bei Füllentonis erinnerte?</p><lb/> <p xml:id="ID_1460"> Du freilich warst damals lebhafter als ich, sagte ich errötend, denn die<lb/> Püffe des Füllentoni fielen mir ein. An etwas andres dachte ich nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1461"> Cölestine schwieg; aber ein schwerer Seufzer entrang sich ihrer Brust.<lb/> Nach einer längern Pause sagte sie wehmütig: Ich ärgerte mich damals recht<lb/> über den Bauern, dich so vor dem Vesperbrot wegzujagen. Du hättest beim<lb/> Milchessen neben mir sitzen müssen. Da wär ich mit den Brocken nicht zu<lb/> kurz gekommen. Und sie lachte. Aber dn auch nicht; die schönsten hätt ich<lb/> dir hingeschoben. O, mir wars so froh zu Mut damals.</p><lb/> <p xml:id="ID_1462"> Du hattest an jenem Tage rötere Backen als heute, antwortete ich scherzend,<lb/> du bist blasser geworden seit dein Abzug der Preußen und auch stiller. Man<lb/> sieht dich nicht mehr lachen wie früher; fast sollte man meinen, du hältst auch<lb/> mit nach Hamburg ziehen wollen, um Musikantin zu werdeu, und es sei dir<lb/> verboten worden, wie mir.</p><lb/> <p xml:id="ID_1463"> Die Cölestine lachte darüber nicht, obwohl ich es erwartet hatte. Sie<lb/> that etwas ganz andres, sehr verwunderliches. Sie sank auf ihr Reisig¬<lb/> bündel nieder und begann laut zu weinen und zu schluchzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1464"> Umsonst fragte ich, was ihr fehle, und ob ich ihr helfen könne. Ich er¬<lb/> hielt keine Antwort. Und während ich in meiner Bestürzung und Ratlosig¬<lb/> keit neben ihr stand, erscholl durch den kahlen Buchenwald das Krächzen eines<lb/> Hähers, der an einem Kreuzweg auf einer Esche saß. Anders als damals im<lb/> Erntefeld klang heute sein Rufen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1465" next="#ID_1466"> Nach und nach erholte sich Cölestine von ihrem Weinen und erhob sich<lb/> wieder. 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Weltgeschichte in Hinterwinkel
mich die Absendung meines Briefes vergessen ließ. In der Kirche, unmittelbar
vor dem Gottesdienst, geschah das Seltsame. Ich sah oben von der Orgel
herab den Vorgängen zu.
Zuerst begriff ich gar nicht, um was es sich handelte. Doch so viel be¬
merkte ich bald, daß die schöne Cölestine aus dem kleinen Dürfte die Heldin
des sich abspielenden Auftritts sein mußte, dieselbe Cölestine Vächle, der ich
vor ungefähr einem halben Jahr auf dem Acker des Fülleutoni die Stroh¬
bänder gelegt hatte.
Ich war ihr erst vor einigen Tagen im Sindelwald begegnet, wo sie sür
ihre lahme Mutter, die alte Hechelkasperin, Lesholz zusammentrug, was auch
mein Geschäft bildete, und wobei sie sich mir gegeuüber so seltsam benahm,
daß ich nicht klug aus ihr wurde.
Sie fragte mich zuerst, ob es denn wahr sei, daß ich mit den Hamburgern
hätte ziehen wollen, um Musiker zu werdeu. — Ich wunderte mich, daß sie
davon wußte. — Ich sähe so traurig aus seit jener Einquartierung, meinte
sie; allerdings sei ich schon vorher nicht sehr lustig gewesen. Ob ich mich denn
noch an das Garbenbinden bei Füllentonis erinnerte?
Du freilich warst damals lebhafter als ich, sagte ich errötend, denn die
Püffe des Füllentoni fielen mir ein. An etwas andres dachte ich nicht.
Cölestine schwieg; aber ein schwerer Seufzer entrang sich ihrer Brust.
Nach einer längern Pause sagte sie wehmütig: Ich ärgerte mich damals recht
über den Bauern, dich so vor dem Vesperbrot wegzujagen. Du hättest beim
Milchessen neben mir sitzen müssen. Da wär ich mit den Brocken nicht zu
kurz gekommen. Und sie lachte. Aber dn auch nicht; die schönsten hätt ich
dir hingeschoben. O, mir wars so froh zu Mut damals.
Du hattest an jenem Tage rötere Backen als heute, antwortete ich scherzend,
du bist blasser geworden seit dein Abzug der Preußen und auch stiller. Man
sieht dich nicht mehr lachen wie früher; fast sollte man meinen, du hältst auch
mit nach Hamburg ziehen wollen, um Musikantin zu werdeu, und es sei dir
verboten worden, wie mir.
Die Cölestine lachte darüber nicht, obwohl ich es erwartet hatte. Sie
that etwas ganz andres, sehr verwunderliches. Sie sank auf ihr Reisig¬
bündel nieder und begann laut zu weinen und zu schluchzen.
Umsonst fragte ich, was ihr fehle, und ob ich ihr helfen könne. Ich er¬
hielt keine Antwort. Und während ich in meiner Bestürzung und Ratlosig¬
keit neben ihr stand, erscholl durch den kahlen Buchenwald das Krächzen eines
Hähers, der an einem Kreuzweg auf einer Esche saß. Anders als damals im
Erntefeld klang heute sein Rufen.
Nach und nach erholte sich Cölestine von ihrem Weinen und erhob sich
wieder. Du bist gut, Alexander, sagte sie; wie kommt es denn, daß dich nie¬
mand mag? Doch, man mag dich, man muß dich gern haben, wenn dich die
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