Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Die Handelspolitik unsers Jahrhunderts günstig sei, seine Anspruchslosigkeit; der italienische Arbeiter sei äußerst billig, Sombart Übersicht die Hauptsache. Der Italiener ist zu sehr Mensch, Die Handelspolitik unsers Jahrhunderts günstig sei, seine Anspruchslosigkeit; der italienische Arbeiter sei äußerst billig, Sombart Übersicht die Hauptsache. Der Italiener ist zu sehr Mensch, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0406" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212882"/> <fw type="header" place="top"> Die Handelspolitik unsers Jahrhunderts</fw><lb/> <p xml:id="ID_1359" prev="#ID_1358"> günstig sei, seine Anspruchslosigkeit; der italienische Arbeiter sei äußerst billig,<lb/> und kein nennenswerter Arbeiterschlitz setze dem Unternehmer in der Ausbeu-<lb/> tung dieser billigen Arbeitskraft eine Grenze.</p><lb/> <p xml:id="ID_1360" next="#ID_1361"> Sombart Übersicht die Hauptsache. Der Italiener ist zu sehr Mensch,<lb/> um sich so leicht zur Maschine oder zum Maschinenteil herabwürdigen oder,<lb/> wie sich unsre humane Zeit lieber ausdrückt, „erziehen" zu lassen. Er will<lb/> im Freien arbeiten, seines Lebens bei der Arbeit froh werden, immer etwas<lb/> schönes sehn und womöglich selbst etwas schönes hervorbringen. Sich in eine<lb/> Fabrik sperren lassen, den ganzen Tag nichts zu sehn bekommen als Rädchen,<lb/> Wergputzen und kahle, schmutzige Wände, nichts thun als vierzehn oder acht¬<lb/> zehn Stunden lang auf zwanzig wirbelnde Spindeln starren und abreißende<lb/> Fädchen wieder anknüpfen, das widerstrebt seiner innersten Natur. Das blühende<lb/> italienische Gewerbe des vierzehnten, fünfzehnten oder sechzehnten Jahrhundert<lb/> war nicht Maschinenindnstrie, sondern Kunsthandwerk. Allerdings hat die schon<lb/> damals fabrikmüßig, wenn auch noch nicht mit Maschinen betriebne Sciden-<lb/> und Tuchweberei im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert zum Wohlstande<lb/> des Landes nicht wenig beigetragen. Aber erstens bildete die Ausfuhr von<lb/> Geweben doch bei weitem nicht in dem Maße eine Hauptquelle des italienischen<lb/> Nationaleinkommens, wie dies bis in die Mitte unsers Jahrhunderts in Eng¬<lb/> land der Fall war; der Levantehandel und der Geldwucher — waren doch die<lb/> Italiener lange Zeit hindurch die Bankiers aller europäischen Staaten —<lb/> brachten viel mehr ein. Und zweitens sicherte den italienischen Seiden- und<lb/> Tuchwaren die damalige Seltenheit guter, feiner Stoffe Monopolpreise, die es<lb/> auch den übrigens bestündig rebellirenden Webern und Spinnern noch möglich<lb/> machten, menschlich zu leben. Was die andre der beiden großen Hauptexport-<lb/> iudustrieu anlangt, die Eisenindustrie, die ein menschenwürdigeres Dasein er¬<lb/> möglicht als die Textilindustrie, so dürfte darin Italien vorläufig schon des¬<lb/> wegen nicht mit den Nordländern konkurriren können, weil seinen schlecht<lb/> genährten Männern die dazu nötige Körperkraft fehlt. Und endlich, was wäre<lb/> in volkswirtschaftlicher Beziehung gewonnen, wenn es gelänge, die Italiener<lb/> zu einem Volke von Fabrikspinnern und Kohlenbauern zu „erziehen"? Ihre<lb/> ästhetische Anlage, die doch auch ihren nationalökonomischen Wert hat, würde<lb/> dadurch vernichtet werden. Die Italiener würden ihre Geschicklichkeit für das<lb/> Kunsthandwerk, für Mosaikarbeiten, Schmucksnchen u. tgi., mit denen sich auch<lb/> heute noch ein bescheidnes Stück Geld verdienen läßt, einbüßen, um die un¬<lb/> verkäuflichen Massen von Baumwollen- und Wvllengeweben zu vermehren, die<lb/> der englischen und der deutschen Industrie so schwer auf dem Herzen liegen.<lb/> Auch die moralischen Zustünde pflegen durch den Übergang eines Volks von<lb/> der Landwirtschaft und dem Kleinhandwerk zur Fabrikindustrie nicht besser zu<lb/> werdeu. Vorläufig geben die amtlichen Berichte, wie Eheberg solche in seiner<lb/> Schrift über die agrarischen Zustände Italiens anführt, dem armen Lcindvolke</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0406]
Die Handelspolitik unsers Jahrhunderts
günstig sei, seine Anspruchslosigkeit; der italienische Arbeiter sei äußerst billig,
und kein nennenswerter Arbeiterschlitz setze dem Unternehmer in der Ausbeu-
tung dieser billigen Arbeitskraft eine Grenze.
Sombart Übersicht die Hauptsache. Der Italiener ist zu sehr Mensch,
um sich so leicht zur Maschine oder zum Maschinenteil herabwürdigen oder,
wie sich unsre humane Zeit lieber ausdrückt, „erziehen" zu lassen. Er will
im Freien arbeiten, seines Lebens bei der Arbeit froh werden, immer etwas
schönes sehn und womöglich selbst etwas schönes hervorbringen. Sich in eine
Fabrik sperren lassen, den ganzen Tag nichts zu sehn bekommen als Rädchen,
Wergputzen und kahle, schmutzige Wände, nichts thun als vierzehn oder acht¬
zehn Stunden lang auf zwanzig wirbelnde Spindeln starren und abreißende
Fädchen wieder anknüpfen, das widerstrebt seiner innersten Natur. Das blühende
italienische Gewerbe des vierzehnten, fünfzehnten oder sechzehnten Jahrhundert
war nicht Maschinenindnstrie, sondern Kunsthandwerk. Allerdings hat die schon
damals fabrikmüßig, wenn auch noch nicht mit Maschinen betriebne Sciden-
und Tuchweberei im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert zum Wohlstande
des Landes nicht wenig beigetragen. Aber erstens bildete die Ausfuhr von
Geweben doch bei weitem nicht in dem Maße eine Hauptquelle des italienischen
Nationaleinkommens, wie dies bis in die Mitte unsers Jahrhunderts in Eng¬
land der Fall war; der Levantehandel und der Geldwucher — waren doch die
Italiener lange Zeit hindurch die Bankiers aller europäischen Staaten —
brachten viel mehr ein. Und zweitens sicherte den italienischen Seiden- und
Tuchwaren die damalige Seltenheit guter, feiner Stoffe Monopolpreise, die es
auch den übrigens bestündig rebellirenden Webern und Spinnern noch möglich
machten, menschlich zu leben. Was die andre der beiden großen Hauptexport-
iudustrieu anlangt, die Eisenindustrie, die ein menschenwürdigeres Dasein er¬
möglicht als die Textilindustrie, so dürfte darin Italien vorläufig schon des¬
wegen nicht mit den Nordländern konkurriren können, weil seinen schlecht
genährten Männern die dazu nötige Körperkraft fehlt. Und endlich, was wäre
in volkswirtschaftlicher Beziehung gewonnen, wenn es gelänge, die Italiener
zu einem Volke von Fabrikspinnern und Kohlenbauern zu „erziehen"? Ihre
ästhetische Anlage, die doch auch ihren nationalökonomischen Wert hat, würde
dadurch vernichtet werden. Die Italiener würden ihre Geschicklichkeit für das
Kunsthandwerk, für Mosaikarbeiten, Schmucksnchen u. tgi., mit denen sich auch
heute noch ein bescheidnes Stück Geld verdienen läßt, einbüßen, um die un¬
verkäuflichen Massen von Baumwollen- und Wvllengeweben zu vermehren, die
der englischen und der deutschen Industrie so schwer auf dem Herzen liegen.
Auch die moralischen Zustünde pflegen durch den Übergang eines Volks von
der Landwirtschaft und dem Kleinhandwerk zur Fabrikindustrie nicht besser zu
werdeu. Vorläufig geben die amtlichen Berichte, wie Eheberg solche in seiner
Schrift über die agrarischen Zustände Italiens anführt, dem armen Lcindvolke
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