Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Mußte es so kcnmucn? dem Päpstlichen Stuhle gegenüber jede Probe? Und haftet nicht auch an der Gewiß bekennen wir uns gern und freudig auch zur Religion als einem Die Kirche hätte somit allen Grund, sich von den politischen Parteien zu Mußte es so kcnmucn? dem Päpstlichen Stuhle gegenüber jede Probe? Und haftet nicht auch an der Gewiß bekennen wir uns gern und freudig auch zur Religion als einem Die Kirche hätte somit allen Grund, sich von den politischen Parteien zu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0398" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212874"/> <fw type="header" place="top"> Mußte es so kcnmucn?</fw><lb/> <p xml:id="ID_1340" prev="#ID_1339"> dem Päpstlichen Stuhle gegenüber jede Probe? Und haftet nicht auch an der<lb/> konservativen Partei das böse Wort: Unser König absolut, wenn er unsern<lb/> Willen thut? Gewiß geschieht jeder dieser Parteien mit diesen Verdächtigungen<lb/> schweres Unrecht. Trotzdem werden sie jeden Tag einer jeden ins Gesicht ge¬<lb/> schleudert. Die Sozialdemokratin aber verzeichnet schmunzelnd die wachsende<lb/> Zahl der Mnjestätsbeleidigungsprozesse, zu denen sie durchaus nicht allein die<lb/> Angeklagten liefert.</p><lb/> <p xml:id="ID_1341"> Gewiß bekennen wir uns gern und freudig auch zur Religion als einem<lb/> innersten Herzensbedürfnis. Aber vergessen wir nicht, wenn wir die Religion<lb/> in den politischen Tagesstreit hineinziehen, allesamt Christi Wort, daß sein<lb/> Reich nicht von dieser Welt sei? Wie reimt es sich denn eigentlich, daß wir<lb/> schon fast gewöhnt sind, gläubiges Christentum mit konservativer, Jndifferen-<lb/> tismus mit uationalliberaler, kirchlich-freisinnige mit deutsch-freisinniger Ge¬<lb/> sinnung und Atheismus mit Sozialdemokratie zusammenzuwerfen? Ganz zu<lb/> schweigen von der Ungeheuerlichkeit, daß das Zentrum zugleich politische und<lb/> Rcligionspartei ist und nur aus dieser Verbindung seine Daseinsberechtigung<lb/> herleitet. Könnte man sich denn nicht auch eineiz gläubigen Christen denken,<lb/> der mindestens wirtschaftlich ganz anfj dem Boden des sozialistischen Pro¬<lb/> gramms steht, wie denn unbezweifelt der Kommunismus die Wirtschaftsform<lb/> der ersten christlichen Gemeinde gewesen ist? Und könnte denn nicht auch ein<lb/> Atheist ein mindestens vcrstandesmüßig überzeugter strenger Anhänger selbst<lb/> der absoluten Monarchie sein? Was hat umgekehrt die Religion von den<lb/> politischen Parteien zu erwarten? Sie hat nur Schaden davon, wenn sich die<lb/> eine Partei ihrer bemächtigt und sie dadurch allein schon bei den Gegenparteien<lb/> in Verdacht bringt. So ist das sogenannte konservative Christentum sür die<lb/> Kirche in ihrem Verhältnis zur Sozialdemokratie geradezu verhängnisvoll ge¬<lb/> worden. Dort wird sie mit Vorliebe als die Magd der besitzende» Klassen<lb/> bezeichnet. Sie müsse, heißt es, den Tagelöhnern und Arbeitern ihr Los<lb/> als Gottes Willen, die Verheißungen des künftigen Lebens als ihren wahren<lb/> Lohn nur deshalb predigen, damit der konservative Großgrundbesitzer und der<lb/> ostentativ kirchliche Großindustrielle willige, mit niedern Löhnen zufriedne Ar¬<lb/> beitskräfte haben. Äußerungen, wie die von Göhre (S. 175) berichteten:<lb/> „Übrigens sind die Pfaffen selbst an der ganzen Feindschaft des Volks gegen<lb/> die Kirche schuld. Denn sie haben Partei für die großen Herren genommen.<lb/> Nur wenige machen davon eine Ausnahme," kann man alle Tage im Gespräch<lb/> mit Sozialdemokraten zu hören bekommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1342" next="#ID_1343"> Die Kirche hätte somit allen Grund, sich von den politischen Parteien zu<lb/> verbitten, daß sie sich zu Anwälten und Beschützern der Religion aufwerfen.<lb/> Am meisten die evangelische Kirche, die bereits unter der zu engen Verbindung<lb/> mit dem Staat, der doch kein protestantisches Gemeinwesen sein kann und darf,<lb/> schwer zu leiden hat. Wie könnte sie vollends daran denken, nach dem poli-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0398]
Mußte es so kcnmucn?
dem Päpstlichen Stuhle gegenüber jede Probe? Und haftet nicht auch an der
konservativen Partei das böse Wort: Unser König absolut, wenn er unsern
Willen thut? Gewiß geschieht jeder dieser Parteien mit diesen Verdächtigungen
schweres Unrecht. Trotzdem werden sie jeden Tag einer jeden ins Gesicht ge¬
schleudert. Die Sozialdemokratin aber verzeichnet schmunzelnd die wachsende
Zahl der Mnjestätsbeleidigungsprozesse, zu denen sie durchaus nicht allein die
Angeklagten liefert.
Gewiß bekennen wir uns gern und freudig auch zur Religion als einem
innersten Herzensbedürfnis. Aber vergessen wir nicht, wenn wir die Religion
in den politischen Tagesstreit hineinziehen, allesamt Christi Wort, daß sein
Reich nicht von dieser Welt sei? Wie reimt es sich denn eigentlich, daß wir
schon fast gewöhnt sind, gläubiges Christentum mit konservativer, Jndifferen-
tismus mit uationalliberaler, kirchlich-freisinnige mit deutsch-freisinniger Ge¬
sinnung und Atheismus mit Sozialdemokratie zusammenzuwerfen? Ganz zu
schweigen von der Ungeheuerlichkeit, daß das Zentrum zugleich politische und
Rcligionspartei ist und nur aus dieser Verbindung seine Daseinsberechtigung
herleitet. Könnte man sich denn nicht auch eineiz gläubigen Christen denken,
der mindestens wirtschaftlich ganz anfj dem Boden des sozialistischen Pro¬
gramms steht, wie denn unbezweifelt der Kommunismus die Wirtschaftsform
der ersten christlichen Gemeinde gewesen ist? Und könnte denn nicht auch ein
Atheist ein mindestens vcrstandesmüßig überzeugter strenger Anhänger selbst
der absoluten Monarchie sein? Was hat umgekehrt die Religion von den
politischen Parteien zu erwarten? Sie hat nur Schaden davon, wenn sich die
eine Partei ihrer bemächtigt und sie dadurch allein schon bei den Gegenparteien
in Verdacht bringt. So ist das sogenannte konservative Christentum sür die
Kirche in ihrem Verhältnis zur Sozialdemokratie geradezu verhängnisvoll ge¬
worden. Dort wird sie mit Vorliebe als die Magd der besitzende» Klassen
bezeichnet. Sie müsse, heißt es, den Tagelöhnern und Arbeitern ihr Los
als Gottes Willen, die Verheißungen des künftigen Lebens als ihren wahren
Lohn nur deshalb predigen, damit der konservative Großgrundbesitzer und der
ostentativ kirchliche Großindustrielle willige, mit niedern Löhnen zufriedne Ar¬
beitskräfte haben. Äußerungen, wie die von Göhre (S. 175) berichteten:
„Übrigens sind die Pfaffen selbst an der ganzen Feindschaft des Volks gegen
die Kirche schuld. Denn sie haben Partei für die großen Herren genommen.
Nur wenige machen davon eine Ausnahme," kann man alle Tage im Gespräch
mit Sozialdemokraten zu hören bekommen.
Die Kirche hätte somit allen Grund, sich von den politischen Parteien zu
verbitten, daß sie sich zu Anwälten und Beschützern der Religion aufwerfen.
Am meisten die evangelische Kirche, die bereits unter der zu engen Verbindung
mit dem Staat, der doch kein protestantisches Gemeinwesen sein kann und darf,
schwer zu leiden hat. Wie könnte sie vollends daran denken, nach dem poli-
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