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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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auf Herz und Icieren voransgchn, die die Inquisitoren schließlich selbst mit
Ekel erfüllen würde. Oder man müßte versuchen, mit dem Satze zu trösten,
daß um des höhern staatlichen Zwecks willen der Gerechte auch einmal mit
dem Ungerechten zu leiden verstehe" müsse. Der Erfolg wäre eine allgemeine
Einbuße an bürgerlicher Freiheit, mit der man die höhere Rechtsordnung doch
wohl ans die Dauer zu teuer bezahlt finden würde.

Also mit Svudergesetzcn geht es nicht, mit feinen juristischen Konstruk-
tionen geht es auch nicht. Warum soll es auf dem gradesten und deshalb
besten Wege nicht gehn, den sozialdemokratischen Staatsbürger, ohne überhaupt
nach seiner Gesinnung zu fragen, genau so wie jeden andern Staatsbürger zu
behandeln? Man braucht den Staat noch gar nicht für den "Racker" zu er¬
klären. Wahr ist aber, daß er kein Herz im Leibe hat. Er hat als Staat
weder Haß noch Liebe zu suhlen und seines Amts der Vorsehung gleich zu
warten, die ihre Sonne über Gerechte und Ungerechte scheinen läßt.

Wird doch das Hassen, wenn auch nicht das Lieben, schon gründlich genug
von den politischen Parteien besorgt, die sich freilich allesamt, mir die Sozial¬
demokratie ausgenommen, mit dem heutigen Staat für eins halten. Nun ist
es ja eine Zumutung für den monarchisch und religiös denkenden Bürger,
gegen die Sozialdemokrntie kaltblütig zu bleiben, wen" sie eingestandnermaßen
die Monarchie grundsätzlich verwirft und die Religion äußersten Falls als
Privatsnche gelten läßt. Dennoch heißt es auch hier: Richtet nicht, auf daß
ihr nicht gerichtet werdet! und: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe
deu ersten Stein auf sie! Bleiben wir bei den monarchischen Gefühlen, zu
denen Nur uns gewiß gern und freudig bekennen. Hand aufs Herz! Wie viele
von uns sind denn königstreu, weil sie in der Person des Königs von Gottes
Gnaden Gottes Statthalter erkennen und deshalb nach seinen Tugenden oder
Fehlern, Vorzügen oder Mängeln nicht zu fragen brauchen? Machen sich nicht
viele den Vorbehalt, "ihre monarchischen Gefühle zu revidiren," wenn der
Monarch nicht nach ihrem Sinne ist? Sind nicht viele monarchisch, nur weil
sie in der erblichen Spitze des Staats den festen Pol in der Erscheinungen
Flucht, in der geltenden Verteilung der öffentlichen Gewalten zwischen der
Krone und der Volksvertretung die zweckmäßigste Einrichtung des Staats er¬
blicken? Wie viele sind denn in Deutschland fürstlich, herzoglich, großherzog-
lich, königlich, wie viele schlechthin nur kaiserlich? Wieviel deutsche Stämme
überliefern ihren Kindern die Erinnerungen an große und edle Herrscher, wie
viele wünschen die Geschichte ihrer Herrscherfamilien oder doch große Stücke
davon mit dem Schleier der Vergessenheit bedeckt zu sehn? Und stehn denn
nicht unter den heutigen politischen Parteien die Freisinnigen in dem Verdacht,
die Parlamentsherrschaft anzustreben, die dem Thron doch nur den Wert eines
Präsidentensessels mit den Abzeichen der Krone lassen würde? Besteht die
nationnlliberale Königstrenc auch dem einzelstaatlichen Herrscher, die klerikale


auf Herz und Icieren voransgchn, die die Inquisitoren schließlich selbst mit
Ekel erfüllen würde. Oder man müßte versuchen, mit dem Satze zu trösten,
daß um des höhern staatlichen Zwecks willen der Gerechte auch einmal mit
dem Ungerechten zu leiden verstehe« müsse. Der Erfolg wäre eine allgemeine
Einbuße an bürgerlicher Freiheit, mit der man die höhere Rechtsordnung doch
wohl ans die Dauer zu teuer bezahlt finden würde.

Also mit Svudergesetzcn geht es nicht, mit feinen juristischen Konstruk-
tionen geht es auch nicht. Warum soll es auf dem gradesten und deshalb
besten Wege nicht gehn, den sozialdemokratischen Staatsbürger, ohne überhaupt
nach seiner Gesinnung zu fragen, genau so wie jeden andern Staatsbürger zu
behandeln? Man braucht den Staat noch gar nicht für den „Racker" zu er¬
klären. Wahr ist aber, daß er kein Herz im Leibe hat. Er hat als Staat
weder Haß noch Liebe zu suhlen und seines Amts der Vorsehung gleich zu
warten, die ihre Sonne über Gerechte und Ungerechte scheinen läßt.

Wird doch das Hassen, wenn auch nicht das Lieben, schon gründlich genug
von den politischen Parteien besorgt, die sich freilich allesamt, mir die Sozial¬
demokratie ausgenommen, mit dem heutigen Staat für eins halten. Nun ist
es ja eine Zumutung für den monarchisch und religiös denkenden Bürger,
gegen die Sozialdemokrntie kaltblütig zu bleiben, wen» sie eingestandnermaßen
die Monarchie grundsätzlich verwirft und die Religion äußersten Falls als
Privatsnche gelten läßt. Dennoch heißt es auch hier: Richtet nicht, auf daß
ihr nicht gerichtet werdet! und: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe
deu ersten Stein auf sie! Bleiben wir bei den monarchischen Gefühlen, zu
denen Nur uns gewiß gern und freudig bekennen. Hand aufs Herz! Wie viele
von uns sind denn königstreu, weil sie in der Person des Königs von Gottes
Gnaden Gottes Statthalter erkennen und deshalb nach seinen Tugenden oder
Fehlern, Vorzügen oder Mängeln nicht zu fragen brauchen? Machen sich nicht
viele den Vorbehalt, „ihre monarchischen Gefühle zu revidiren," wenn der
Monarch nicht nach ihrem Sinne ist? Sind nicht viele monarchisch, nur weil
sie in der erblichen Spitze des Staats den festen Pol in der Erscheinungen
Flucht, in der geltenden Verteilung der öffentlichen Gewalten zwischen der
Krone und der Volksvertretung die zweckmäßigste Einrichtung des Staats er¬
blicken? Wie viele sind denn in Deutschland fürstlich, herzoglich, großherzog-
lich, königlich, wie viele schlechthin nur kaiserlich? Wieviel deutsche Stämme
überliefern ihren Kindern die Erinnerungen an große und edle Herrscher, wie
viele wünschen die Geschichte ihrer Herrscherfamilien oder doch große Stücke
davon mit dem Schleier der Vergessenheit bedeckt zu sehn? Und stehn denn
nicht unter den heutigen politischen Parteien die Freisinnigen in dem Verdacht,
die Parlamentsherrschaft anzustreben, die dem Thron doch nur den Wert eines
Präsidentensessels mit den Abzeichen der Krone lassen würde? Besteht die
nationnlliberale Königstrenc auch dem einzelstaatlichen Herrscher, die klerikale


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[0397] auf Herz und Icieren voransgchn, die die Inquisitoren schließlich selbst mit Ekel erfüllen würde. Oder man müßte versuchen, mit dem Satze zu trösten, daß um des höhern staatlichen Zwecks willen der Gerechte auch einmal mit dem Ungerechten zu leiden verstehe« müsse. Der Erfolg wäre eine allgemeine Einbuße an bürgerlicher Freiheit, mit der man die höhere Rechtsordnung doch wohl ans die Dauer zu teuer bezahlt finden würde. Also mit Svudergesetzcn geht es nicht, mit feinen juristischen Konstruk- tionen geht es auch nicht. Warum soll es auf dem gradesten und deshalb besten Wege nicht gehn, den sozialdemokratischen Staatsbürger, ohne überhaupt nach seiner Gesinnung zu fragen, genau so wie jeden andern Staatsbürger zu behandeln? Man braucht den Staat noch gar nicht für den „Racker" zu er¬ klären. Wahr ist aber, daß er kein Herz im Leibe hat. Er hat als Staat weder Haß noch Liebe zu suhlen und seines Amts der Vorsehung gleich zu warten, die ihre Sonne über Gerechte und Ungerechte scheinen läßt. Wird doch das Hassen, wenn auch nicht das Lieben, schon gründlich genug von den politischen Parteien besorgt, die sich freilich allesamt, mir die Sozial¬ demokratie ausgenommen, mit dem heutigen Staat für eins halten. Nun ist es ja eine Zumutung für den monarchisch und religiös denkenden Bürger, gegen die Sozialdemokrntie kaltblütig zu bleiben, wen» sie eingestandnermaßen die Monarchie grundsätzlich verwirft und die Religion äußersten Falls als Privatsnche gelten läßt. Dennoch heißt es auch hier: Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet! und: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe deu ersten Stein auf sie! Bleiben wir bei den monarchischen Gefühlen, zu denen Nur uns gewiß gern und freudig bekennen. Hand aufs Herz! Wie viele von uns sind denn königstreu, weil sie in der Person des Königs von Gottes Gnaden Gottes Statthalter erkennen und deshalb nach seinen Tugenden oder Fehlern, Vorzügen oder Mängeln nicht zu fragen brauchen? Machen sich nicht viele den Vorbehalt, „ihre monarchischen Gefühle zu revidiren," wenn der Monarch nicht nach ihrem Sinne ist? Sind nicht viele monarchisch, nur weil sie in der erblichen Spitze des Staats den festen Pol in der Erscheinungen Flucht, in der geltenden Verteilung der öffentlichen Gewalten zwischen der Krone und der Volksvertretung die zweckmäßigste Einrichtung des Staats er¬ blicken? Wie viele sind denn in Deutschland fürstlich, herzoglich, großherzog- lich, königlich, wie viele schlechthin nur kaiserlich? Wieviel deutsche Stämme überliefern ihren Kindern die Erinnerungen an große und edle Herrscher, wie viele wünschen die Geschichte ihrer Herrscherfamilien oder doch große Stücke davon mit dem Schleier der Vergessenheit bedeckt zu sehn? Und stehn denn nicht unter den heutigen politischen Parteien die Freisinnigen in dem Verdacht, die Parlamentsherrschaft anzustreben, die dem Thron doch nur den Wert eines Präsidentensessels mit den Abzeichen der Krone lassen würde? Besteht die nationnlliberale Königstrenc auch dem einzelstaatlichen Herrscher, die klerikale

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/397>, abgerufen am 09.01.2025.