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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Weltgeschichte in Hinterwinkel

das hübsche Mädchen sich vor nur bewegte und mir bisweilen einen Blick
zuwarf, wovor sich der meinige zu Boden senkte, muß ich annehmen, daß sie
meinen Zustand erraten und ihre Freude daran gehabt habe.

Über der neuen Entdeckung vergaß ich ganz den Füllentoni. Erst als
ich seine Stimme hörte, wurde ich mir seiner Gegenwart wieder bewußt. Mich
hat der Teufel grille, schrie er, deu dummen, turmeligen Schneider anzustellen;
der Kerl will mich zu Tod ärgern, aber nun hab ichs satt!

Damit sprang er auf, und mit ein Paar tüchtigen Püffen jagte er den
Helden von Tanberbischofsheim und Entdecker des Weibes von seinein Acker
hinweg.

Einen andern hätte ein solches Schicksal im höchsten Grade unglücklich ge¬
macht, zumal da das Vesperbrot bevorstand, wozu Cölestine schon die Dick¬
milch anrichtete und die Brote strich, mit dicken Lagen von Nahm und süßem
Meißein Käse. Aber nur riefs drüben vom alten Nußbaum hinter der ge¬
heimnisvollen Hecke: Komm her, komm her! Und ich folgte dem Ruf. Ich
schüttelte die Erde des Füllentoni von meinen Füßen und ging weiter, dem
lockenden Ruf entgegen.

Nur eins ärgerte mich: daß auch die schöne Cölestine Zeuge meiner
schnöden Vertreibung war; bei diesem Gedanken loderte ein heftiger Zorn in
mir auf, vermischt mit einer Scham ganz andrer Art als vorhin, einem höchst
verdrießlichen und widerwärtigen Gefühl. Doch das verflog schnell; ich hatte
bald alles vergessen, und wie ein Kind schlenderte ich nun in den Grcnzfnrchen
der Getreideäcker hin und pflückte Blumen zu einem Strauß, rote Kornrade-
nelken, blaue Chanen und die grauen Kätzchen des Hasenklces. Nach dem
Füllentoni und seinen Leuten sah ich mich nicht ein einziges mal um, sie waren
für mich nicht mehr auf der Welt.

Am höchsten stieg meine Befriedigung an dem längst ersehnten Ziele
meiner Wanderschaft, bei der grttnumfricdeten Steinmauer, wo zwar der rufende
Häher schleunig die Flucht vor mir ergriff und dazu noch ein höhnisches Lachen
erschallen ließ, als ob er mich mit Bewußtsein zum besten gehabt habe, wo
aber dafür eine andre wenn auch nicht ganz unvermutete Überraschung meiner
wartete.

Was man in Hinterwinkel eine Steinmauer nennt, sind eigentlich Stein¬
hügel, bald rundlich breit, bald lang und schmal. Sie könnten an Grabmäler
der Vorzeit erinnern, doch haben sie, in der Regel wenigstens, einen viel pro¬
faner" Ursprung. Sie sind dadurch entstanden, daß die Besitzer der um¬
liegenden steinigen Felder die abgelesener Steine Jahrhunderte hindurch auf
derselben Stelle zusammentrugen oder zusammenführen. Fast immer umgeben
hohe Dornhecken die alten Steinhaufen. Sie sind für die Gegend und Land¬
schaft charakteristisch, und oft hat sie das Volk mit eignen Namen bezeichnet.

Die, an der ich jetzt stand, hieß die Hohe Steinmauer. Sie war fast


Weltgeschichte in Hinterwinkel

das hübsche Mädchen sich vor nur bewegte und mir bisweilen einen Blick
zuwarf, wovor sich der meinige zu Boden senkte, muß ich annehmen, daß sie
meinen Zustand erraten und ihre Freude daran gehabt habe.

Über der neuen Entdeckung vergaß ich ganz den Füllentoni. Erst als
ich seine Stimme hörte, wurde ich mir seiner Gegenwart wieder bewußt. Mich
hat der Teufel grille, schrie er, deu dummen, turmeligen Schneider anzustellen;
der Kerl will mich zu Tod ärgern, aber nun hab ichs satt!

Damit sprang er auf, und mit ein Paar tüchtigen Püffen jagte er den
Helden von Tanberbischofsheim und Entdecker des Weibes von seinein Acker
hinweg.

Einen andern hätte ein solches Schicksal im höchsten Grade unglücklich ge¬
macht, zumal da das Vesperbrot bevorstand, wozu Cölestine schon die Dick¬
milch anrichtete und die Brote strich, mit dicken Lagen von Nahm und süßem
Meißein Käse. Aber nur riefs drüben vom alten Nußbaum hinter der ge¬
heimnisvollen Hecke: Komm her, komm her! Und ich folgte dem Ruf. Ich
schüttelte die Erde des Füllentoni von meinen Füßen und ging weiter, dem
lockenden Ruf entgegen.

Nur eins ärgerte mich: daß auch die schöne Cölestine Zeuge meiner
schnöden Vertreibung war; bei diesem Gedanken loderte ein heftiger Zorn in
mir auf, vermischt mit einer Scham ganz andrer Art als vorhin, einem höchst
verdrießlichen und widerwärtigen Gefühl. Doch das verflog schnell; ich hatte
bald alles vergessen, und wie ein Kind schlenderte ich nun in den Grcnzfnrchen
der Getreideäcker hin und pflückte Blumen zu einem Strauß, rote Kornrade-
nelken, blaue Chanen und die grauen Kätzchen des Hasenklces. Nach dem
Füllentoni und seinen Leuten sah ich mich nicht ein einziges mal um, sie waren
für mich nicht mehr auf der Welt.

Am höchsten stieg meine Befriedigung an dem längst ersehnten Ziele
meiner Wanderschaft, bei der grttnumfricdeten Steinmauer, wo zwar der rufende
Häher schleunig die Flucht vor mir ergriff und dazu noch ein höhnisches Lachen
erschallen ließ, als ob er mich mit Bewußtsein zum besten gehabt habe, wo
aber dafür eine andre wenn auch nicht ganz unvermutete Überraschung meiner
wartete.

Was man in Hinterwinkel eine Steinmauer nennt, sind eigentlich Stein¬
hügel, bald rundlich breit, bald lang und schmal. Sie könnten an Grabmäler
der Vorzeit erinnern, doch haben sie, in der Regel wenigstens, einen viel pro¬
faner« Ursprung. Sie sind dadurch entstanden, daß die Besitzer der um¬
liegenden steinigen Felder die abgelesener Steine Jahrhunderte hindurch auf
derselben Stelle zusammentrugen oder zusammenführen. Fast immer umgeben
hohe Dornhecken die alten Steinhaufen. Sie sind für die Gegend und Land¬
schaft charakteristisch, und oft hat sie das Volk mit eignen Namen bezeichnet.

Die, an der ich jetzt stand, hieß die Hohe Steinmauer. Sie war fast


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[0379] Weltgeschichte in Hinterwinkel das hübsche Mädchen sich vor nur bewegte und mir bisweilen einen Blick zuwarf, wovor sich der meinige zu Boden senkte, muß ich annehmen, daß sie meinen Zustand erraten und ihre Freude daran gehabt habe. Über der neuen Entdeckung vergaß ich ganz den Füllentoni. Erst als ich seine Stimme hörte, wurde ich mir seiner Gegenwart wieder bewußt. Mich hat der Teufel grille, schrie er, deu dummen, turmeligen Schneider anzustellen; der Kerl will mich zu Tod ärgern, aber nun hab ichs satt! Damit sprang er auf, und mit ein Paar tüchtigen Püffen jagte er den Helden von Tanberbischofsheim und Entdecker des Weibes von seinein Acker hinweg. Einen andern hätte ein solches Schicksal im höchsten Grade unglücklich ge¬ macht, zumal da das Vesperbrot bevorstand, wozu Cölestine schon die Dick¬ milch anrichtete und die Brote strich, mit dicken Lagen von Nahm und süßem Meißein Käse. Aber nur riefs drüben vom alten Nußbaum hinter der ge¬ heimnisvollen Hecke: Komm her, komm her! Und ich folgte dem Ruf. Ich schüttelte die Erde des Füllentoni von meinen Füßen und ging weiter, dem lockenden Ruf entgegen. Nur eins ärgerte mich: daß auch die schöne Cölestine Zeuge meiner schnöden Vertreibung war; bei diesem Gedanken loderte ein heftiger Zorn in mir auf, vermischt mit einer Scham ganz andrer Art als vorhin, einem höchst verdrießlichen und widerwärtigen Gefühl. Doch das verflog schnell; ich hatte bald alles vergessen, und wie ein Kind schlenderte ich nun in den Grcnzfnrchen der Getreideäcker hin und pflückte Blumen zu einem Strauß, rote Kornrade- nelken, blaue Chanen und die grauen Kätzchen des Hasenklces. Nach dem Füllentoni und seinen Leuten sah ich mich nicht ein einziges mal um, sie waren für mich nicht mehr auf der Welt. Am höchsten stieg meine Befriedigung an dem längst ersehnten Ziele meiner Wanderschaft, bei der grttnumfricdeten Steinmauer, wo zwar der rufende Häher schleunig die Flucht vor mir ergriff und dazu noch ein höhnisches Lachen erschallen ließ, als ob er mich mit Bewußtsein zum besten gehabt habe, wo aber dafür eine andre wenn auch nicht ganz unvermutete Überraschung meiner wartete. Was man in Hinterwinkel eine Steinmauer nennt, sind eigentlich Stein¬ hügel, bald rundlich breit, bald lang und schmal. Sie könnten an Grabmäler der Vorzeit erinnern, doch haben sie, in der Regel wenigstens, einen viel pro¬ faner« Ursprung. Sie sind dadurch entstanden, daß die Besitzer der um¬ liegenden steinigen Felder die abgelesener Steine Jahrhunderte hindurch auf derselben Stelle zusammentrugen oder zusammenführen. Fast immer umgeben hohe Dornhecken die alten Steinhaufen. Sie sind für die Gegend und Land¬ schaft charakteristisch, und oft hat sie das Volk mit eignen Namen bezeichnet. Die, an der ich jetzt stand, hieß die Hohe Steinmauer. Sie war fast

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/379>, abgerufen am 08.01.2025.