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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Aber bald dringen die Nachrichten von Mac Masons Niederlage bei
Fröschweiler und Frossards bei Spichern ins Lager. Die Soldaten des siebenten
Korps treten den Rückzug nach Belfort an, überall auf dem fluchtartigen
Marsche von deu Bauern beschimpft und von alten Weibern als Feiglinge
angeschrien. Jeans Korporalschaft schleicht mutlos dahin. Die Mannszucht
wird immer lockrer. Die Leute werfen ihre Tornister weg, und schließlich fliegen
auch die Gewehre über die Hecken am Wege. Hierbei geraten Jean und Mau-
rice hart aneinander, und erst später, als der Korporal in väterlicher Weise
für seinen Untergebnen, den verwöhnten Pariser Akademiker, sorgt, entsteht
zwischen beiden eine durch gleiche Leiden und Entbehrungen immer fester wer¬
dende Freundschaft. Das Regiment wird in aller Eile verladen und auf der
Bahn nach Reims geschafft. Von Reims geht es in Kreuz- und Querzügen
durch die Lause-Champagne nach Vouziers und nach CHLne. Endlich, nach¬
dem die Füsiliere sechs Wochen scheinbar zwecklos im eignen Lande umher
marschiert sind, sehen sie die deutschen Ulanen; aber keiner kommt zu Schuß,
und so schleppen sie denn ihre jungfräuliche Waffe, bis sie wie eingekeilt unter
den Wällen von Sedan liegen und an ein Entkommen oder eine siegreiche
Schlacht nicht mehr zu denken ist.

Damit schließt der erste Teil des Romans, die Exposition des gewaltigen
Dramas, das Zola dem Leser vor Augen führen will. Der zweite Teil ent¬
hält die Katastrophe, den Zusammenbrach des "sentimentalen" Kaisertums, die
Vernichtung der französischen Armee und die Gefangennahme Napoleons.

Von drei Stellen aus läßt uns Zola die Entwicklung der Schlacht bei
Sedan mitmachen, und überall versucht er, die uns bekannten Personen in den
Mittelpunkt der Handlung zu stellen. In Bazeilles beteiligt sich'Levasseurs
Schwager, der Elsässer und erbitterte Preußenfeind Weiß, an dem entsetzlichen
Straßen- und Hüuserkampf. Im Svmmerüberzieher, mit dem Pincenez auf
der Nase, das Gewehr eines gefallnen Franzosen in der Hand, so steht der
kleine untersetzte Mensch vor seinem Landhause und schießt unaufhörlich zwischen
die Reihen der vorstürmenden Baiern. Er wird gefangen genommen, und
während seine Frau Henriette aus sedem herbeieile, um den Tollkühnen aus
Bazeilles zu holen, wird er vor seinem Hause standrechtlich erschossen.

Die zweite Szene spielt sich auf der Hochfläche von Algvrie ab, von wo
man einen freien Blick auf das Dorf Flving, auf Saint-Meuges und Fleigueux
hat. Hier hat das hnndertsechste Regiment Stellung genommen; Jeans Kvrporal-
schaft liegt in einem Kohlfelde und erwartet den heranrückenden Feind, der bei
Flving vorgeht. Stundenlang bleiben die Soldaten mit dem Bauch auf der
Erde hinter den Kohlköpfen liegen, und die Granaten sausen über ihnen hin¬
weg, ohne Schaden anzurichten. Das erweckt ihren Galgenhumor, und der
Witzbold Loubet giebt dem dummen Kameraden Lapoullc den Rat, den Finger
vor die Nase zu halten, damit die Granaten rechts oder links vorbeigehn.


Aber bald dringen die Nachrichten von Mac Masons Niederlage bei
Fröschweiler und Frossards bei Spichern ins Lager. Die Soldaten des siebenten
Korps treten den Rückzug nach Belfort an, überall auf dem fluchtartigen
Marsche von deu Bauern beschimpft und von alten Weibern als Feiglinge
angeschrien. Jeans Korporalschaft schleicht mutlos dahin. Die Mannszucht
wird immer lockrer. Die Leute werfen ihre Tornister weg, und schließlich fliegen
auch die Gewehre über die Hecken am Wege. Hierbei geraten Jean und Mau-
rice hart aneinander, und erst später, als der Korporal in väterlicher Weise
für seinen Untergebnen, den verwöhnten Pariser Akademiker, sorgt, entsteht
zwischen beiden eine durch gleiche Leiden und Entbehrungen immer fester wer¬
dende Freundschaft. Das Regiment wird in aller Eile verladen und auf der
Bahn nach Reims geschafft. Von Reims geht es in Kreuz- und Querzügen
durch die Lause-Champagne nach Vouziers und nach CHLne. Endlich, nach¬
dem die Füsiliere sechs Wochen scheinbar zwecklos im eignen Lande umher
marschiert sind, sehen sie die deutschen Ulanen; aber keiner kommt zu Schuß,
und so schleppen sie denn ihre jungfräuliche Waffe, bis sie wie eingekeilt unter
den Wällen von Sedan liegen und an ein Entkommen oder eine siegreiche
Schlacht nicht mehr zu denken ist.

Damit schließt der erste Teil des Romans, die Exposition des gewaltigen
Dramas, das Zola dem Leser vor Augen führen will. Der zweite Teil ent¬
hält die Katastrophe, den Zusammenbrach des „sentimentalen" Kaisertums, die
Vernichtung der französischen Armee und die Gefangennahme Napoleons.

Von drei Stellen aus läßt uns Zola die Entwicklung der Schlacht bei
Sedan mitmachen, und überall versucht er, die uns bekannten Personen in den
Mittelpunkt der Handlung zu stellen. In Bazeilles beteiligt sich'Levasseurs
Schwager, der Elsässer und erbitterte Preußenfeind Weiß, an dem entsetzlichen
Straßen- und Hüuserkampf. Im Svmmerüberzieher, mit dem Pincenez auf
der Nase, das Gewehr eines gefallnen Franzosen in der Hand, so steht der
kleine untersetzte Mensch vor seinem Landhause und schießt unaufhörlich zwischen
die Reihen der vorstürmenden Baiern. Er wird gefangen genommen, und
während seine Frau Henriette aus sedem herbeieile, um den Tollkühnen aus
Bazeilles zu holen, wird er vor seinem Hause standrechtlich erschossen.

Die zweite Szene spielt sich auf der Hochfläche von Algvrie ab, von wo
man einen freien Blick auf das Dorf Flving, auf Saint-Meuges und Fleigueux
hat. Hier hat das hnndertsechste Regiment Stellung genommen; Jeans Kvrporal-
schaft liegt in einem Kohlfelde und erwartet den heranrückenden Feind, der bei
Flving vorgeht. Stundenlang bleiben die Soldaten mit dem Bauch auf der
Erde hinter den Kohlköpfen liegen, und die Granaten sausen über ihnen hin¬
weg, ohne Schaden anzurichten. Das erweckt ihren Galgenhumor, und der
Witzbold Loubet giebt dem dummen Kameraden Lapoullc den Rat, den Finger
vor die Nase zu halten, damit die Granaten rechts oder links vorbeigehn.


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[0370] Aber bald dringen die Nachrichten von Mac Masons Niederlage bei Fröschweiler und Frossards bei Spichern ins Lager. Die Soldaten des siebenten Korps treten den Rückzug nach Belfort an, überall auf dem fluchtartigen Marsche von deu Bauern beschimpft und von alten Weibern als Feiglinge angeschrien. Jeans Korporalschaft schleicht mutlos dahin. Die Mannszucht wird immer lockrer. Die Leute werfen ihre Tornister weg, und schließlich fliegen auch die Gewehre über die Hecken am Wege. Hierbei geraten Jean und Mau- rice hart aneinander, und erst später, als der Korporal in väterlicher Weise für seinen Untergebnen, den verwöhnten Pariser Akademiker, sorgt, entsteht zwischen beiden eine durch gleiche Leiden und Entbehrungen immer fester wer¬ dende Freundschaft. Das Regiment wird in aller Eile verladen und auf der Bahn nach Reims geschafft. Von Reims geht es in Kreuz- und Querzügen durch die Lause-Champagne nach Vouziers und nach CHLne. Endlich, nach¬ dem die Füsiliere sechs Wochen scheinbar zwecklos im eignen Lande umher marschiert sind, sehen sie die deutschen Ulanen; aber keiner kommt zu Schuß, und so schleppen sie denn ihre jungfräuliche Waffe, bis sie wie eingekeilt unter den Wällen von Sedan liegen und an ein Entkommen oder eine siegreiche Schlacht nicht mehr zu denken ist. Damit schließt der erste Teil des Romans, die Exposition des gewaltigen Dramas, das Zola dem Leser vor Augen führen will. Der zweite Teil ent¬ hält die Katastrophe, den Zusammenbrach des „sentimentalen" Kaisertums, die Vernichtung der französischen Armee und die Gefangennahme Napoleons. Von drei Stellen aus läßt uns Zola die Entwicklung der Schlacht bei Sedan mitmachen, und überall versucht er, die uns bekannten Personen in den Mittelpunkt der Handlung zu stellen. In Bazeilles beteiligt sich'Levasseurs Schwager, der Elsässer und erbitterte Preußenfeind Weiß, an dem entsetzlichen Straßen- und Hüuserkampf. Im Svmmerüberzieher, mit dem Pincenez auf der Nase, das Gewehr eines gefallnen Franzosen in der Hand, so steht der kleine untersetzte Mensch vor seinem Landhause und schießt unaufhörlich zwischen die Reihen der vorstürmenden Baiern. Er wird gefangen genommen, und während seine Frau Henriette aus sedem herbeieile, um den Tollkühnen aus Bazeilles zu holen, wird er vor seinem Hause standrechtlich erschossen. Die zweite Szene spielt sich auf der Hochfläche von Algvrie ab, von wo man einen freien Blick auf das Dorf Flving, auf Saint-Meuges und Fleigueux hat. Hier hat das hnndertsechste Regiment Stellung genommen; Jeans Kvrporal- schaft liegt in einem Kohlfelde und erwartet den heranrückenden Feind, der bei Flving vorgeht. Stundenlang bleiben die Soldaten mit dem Bauch auf der Erde hinter den Kohlköpfen liegen, und die Granaten sausen über ihnen hin¬ weg, ohne Schaden anzurichten. Das erweckt ihren Galgenhumor, und der Witzbold Loubet giebt dem dummen Kameraden Lapoullc den Rat, den Finger vor die Nase zu halten, damit die Granaten rechts oder links vorbeigehn.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/370>, abgerufen am 09.01.2025.