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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Die Sonntagsriche

man den Svnntagsbetrieb in gewissen Grenzen oder ganz frei gegeben hat.
Bei der eingangs erwähnten polizeilichen Sonntagsverordnnng für die Provinz
Sachsen erregte der Umstand besondres Ärgernis, daß die Geschäfte auf preu¬
ßischem Gebiete geschlossen waren, aber jenseits der Grenze geöffnet blieben.
Dieser Übelstand ist dadurch, daß es sich jetzt um ein Reichsgesetz handelt,
weggefallen. Dafür haben wir aber nun die Svnntagsgrenze innerhalb der
Geschäfte. Das Volk der Wirte ist die meistbegüustigste Nation. Der Handel
mit Blumen und Kränzen ist bis vier Uhr freigegeben worden, aber der Photo¬
graph, der an die Stunden des Tageslichts gebunden ist, und dem geholfen
wäre, wenn er von elf bis vier Uhr arbeiten könnte, muß sein Glashaus
schließen. Ju Badeorten darf während der "Saison" bis fünf Uhr verkauft
werden. Warum denn? Es giebt doch nichts überflüssigeres, als den Kram,
der dort feilgeboten wird! Überdies ist in Badeorten "alle Tage Sonntag."
Gerade die Allsnahmen, die man gemacht hat, verschärfen die Ungerechtigkeit.

Der Grundfehler ist, daß in diesem Gesetze zwei Dinge mit einander ver¬
bunden sind, die nicht zusammengehören: der Schutz unselbständiger Arbeiter
vor der Ausbeutung ihrer Kräfte, und der Schutz des Feiertags vor Handel
und Wandel. Das erste gehört in ein Gewerbegesetz, das zweite nicht. Wir
machen für diese Zusammenstellung nicht die Regierung verantwortlich, sondern
in erster Linie die klerikal-konservative Mehrheit des Reichstags. Die Herren
haben es offenbar gut gemeint, auch etwas erstrebt, was an sich wünschens¬
wert ist, aber sie haben doch ein zu geringes Maß von Umsicht und Sach¬
kenntnis auf dem Handelsgcbiete bewiesen und haben aus dem Stegreife
Bestimmungen geschaffen, die reiflicher hätten überlegt werden sollen.

Schließlich ist man bei der Ausführung des Gesetzes, das doch auch zum
Besten der kirchlichen Interessen gemacht worden ist, mit diesen Interessen in
argen Widerstreit geraten. Wenn das Gesetz Arbeitspausen festsetzt, die mit
den Zeiten für den Gottesdienst zusammenfallen sollen, so ist eine Verstän¬
digung der staatlichen und der kirchlichen Behörden über diese Zeiten nötig.
Das einfachste wäre es gewesen, sich an die ortsüblichen Zeiten des Gottes¬
dienstes anzuschließen, aber das Hütte eine große Mannigfaltigkeit gegeben, und
in dem Militärstaate Preußen muß alles, was nur irgend geht, uuiformirt
werden. Man hat also zu den vorhandnen Schwierigkeiten ganz unnötiger¬
weise eine neue geschaffen, und zwar eine, die, was das platte Land be¬
trifft, überhaupt nicht überwunden werden kann, indem man gewisse Zeiten,
nämlich die Stunden von nenn bis elf Uhr vormittags und von zwei bis
drei Uhr nachmittags, als Normalzeiten festsetzte.

In den Ausführilngsbestimmungen der preußischen Ministerien des Innern,
des Handels und des Kultus wird gesagt: Der Anfangspunkt der Beschäf¬
tigungszeit ist in der Regel auf sieben Uhr vormittags, der Endpunkt auf
zwei Uhr nachmittags festzusetzen. Die Bestimmung eines frühern Anfangs-


Die Sonntagsriche

man den Svnntagsbetrieb in gewissen Grenzen oder ganz frei gegeben hat.
Bei der eingangs erwähnten polizeilichen Sonntagsverordnnng für die Provinz
Sachsen erregte der Umstand besondres Ärgernis, daß die Geschäfte auf preu¬
ßischem Gebiete geschlossen waren, aber jenseits der Grenze geöffnet blieben.
Dieser Übelstand ist dadurch, daß es sich jetzt um ein Reichsgesetz handelt,
weggefallen. Dafür haben wir aber nun die Svnntagsgrenze innerhalb der
Geschäfte. Das Volk der Wirte ist die meistbegüustigste Nation. Der Handel
mit Blumen und Kränzen ist bis vier Uhr freigegeben worden, aber der Photo¬
graph, der an die Stunden des Tageslichts gebunden ist, und dem geholfen
wäre, wenn er von elf bis vier Uhr arbeiten könnte, muß sein Glashaus
schließen. Ju Badeorten darf während der „Saison" bis fünf Uhr verkauft
werden. Warum denn? Es giebt doch nichts überflüssigeres, als den Kram,
der dort feilgeboten wird! Überdies ist in Badeorten „alle Tage Sonntag."
Gerade die Allsnahmen, die man gemacht hat, verschärfen die Ungerechtigkeit.

Der Grundfehler ist, daß in diesem Gesetze zwei Dinge mit einander ver¬
bunden sind, die nicht zusammengehören: der Schutz unselbständiger Arbeiter
vor der Ausbeutung ihrer Kräfte, und der Schutz des Feiertags vor Handel
und Wandel. Das erste gehört in ein Gewerbegesetz, das zweite nicht. Wir
machen für diese Zusammenstellung nicht die Regierung verantwortlich, sondern
in erster Linie die klerikal-konservative Mehrheit des Reichstags. Die Herren
haben es offenbar gut gemeint, auch etwas erstrebt, was an sich wünschens¬
wert ist, aber sie haben doch ein zu geringes Maß von Umsicht und Sach¬
kenntnis auf dem Handelsgcbiete bewiesen und haben aus dem Stegreife
Bestimmungen geschaffen, die reiflicher hätten überlegt werden sollen.

Schließlich ist man bei der Ausführung des Gesetzes, das doch auch zum
Besten der kirchlichen Interessen gemacht worden ist, mit diesen Interessen in
argen Widerstreit geraten. Wenn das Gesetz Arbeitspausen festsetzt, die mit
den Zeiten für den Gottesdienst zusammenfallen sollen, so ist eine Verstän¬
digung der staatlichen und der kirchlichen Behörden über diese Zeiten nötig.
Das einfachste wäre es gewesen, sich an die ortsüblichen Zeiten des Gottes¬
dienstes anzuschließen, aber das Hütte eine große Mannigfaltigkeit gegeben, und
in dem Militärstaate Preußen muß alles, was nur irgend geht, uuiformirt
werden. Man hat also zu den vorhandnen Schwierigkeiten ganz unnötiger¬
weise eine neue geschaffen, und zwar eine, die, was das platte Land be¬
trifft, überhaupt nicht überwunden werden kann, indem man gewisse Zeiten,
nämlich die Stunden von nenn bis elf Uhr vormittags und von zwei bis
drei Uhr nachmittags, als Normalzeiten festsetzte.

In den Ausführilngsbestimmungen der preußischen Ministerien des Innern,
des Handels und des Kultus wird gesagt: Der Anfangspunkt der Beschäf¬
tigungszeit ist in der Regel auf sieben Uhr vormittags, der Endpunkt auf
zwei Uhr nachmittags festzusetzen. Die Bestimmung eines frühern Anfangs-


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[0349] Die Sonntagsriche man den Svnntagsbetrieb in gewissen Grenzen oder ganz frei gegeben hat. Bei der eingangs erwähnten polizeilichen Sonntagsverordnnng für die Provinz Sachsen erregte der Umstand besondres Ärgernis, daß die Geschäfte auf preu¬ ßischem Gebiete geschlossen waren, aber jenseits der Grenze geöffnet blieben. Dieser Übelstand ist dadurch, daß es sich jetzt um ein Reichsgesetz handelt, weggefallen. Dafür haben wir aber nun die Svnntagsgrenze innerhalb der Geschäfte. Das Volk der Wirte ist die meistbegüustigste Nation. Der Handel mit Blumen und Kränzen ist bis vier Uhr freigegeben worden, aber der Photo¬ graph, der an die Stunden des Tageslichts gebunden ist, und dem geholfen wäre, wenn er von elf bis vier Uhr arbeiten könnte, muß sein Glashaus schließen. Ju Badeorten darf während der „Saison" bis fünf Uhr verkauft werden. Warum denn? Es giebt doch nichts überflüssigeres, als den Kram, der dort feilgeboten wird! Überdies ist in Badeorten „alle Tage Sonntag." Gerade die Allsnahmen, die man gemacht hat, verschärfen die Ungerechtigkeit. Der Grundfehler ist, daß in diesem Gesetze zwei Dinge mit einander ver¬ bunden sind, die nicht zusammengehören: der Schutz unselbständiger Arbeiter vor der Ausbeutung ihrer Kräfte, und der Schutz des Feiertags vor Handel und Wandel. Das erste gehört in ein Gewerbegesetz, das zweite nicht. Wir machen für diese Zusammenstellung nicht die Regierung verantwortlich, sondern in erster Linie die klerikal-konservative Mehrheit des Reichstags. Die Herren haben es offenbar gut gemeint, auch etwas erstrebt, was an sich wünschens¬ wert ist, aber sie haben doch ein zu geringes Maß von Umsicht und Sach¬ kenntnis auf dem Handelsgcbiete bewiesen und haben aus dem Stegreife Bestimmungen geschaffen, die reiflicher hätten überlegt werden sollen. Schließlich ist man bei der Ausführung des Gesetzes, das doch auch zum Besten der kirchlichen Interessen gemacht worden ist, mit diesen Interessen in argen Widerstreit geraten. Wenn das Gesetz Arbeitspausen festsetzt, die mit den Zeiten für den Gottesdienst zusammenfallen sollen, so ist eine Verstän¬ digung der staatlichen und der kirchlichen Behörden über diese Zeiten nötig. Das einfachste wäre es gewesen, sich an die ortsüblichen Zeiten des Gottes¬ dienstes anzuschließen, aber das Hütte eine große Mannigfaltigkeit gegeben, und in dem Militärstaate Preußen muß alles, was nur irgend geht, uuiformirt werden. Man hat also zu den vorhandnen Schwierigkeiten ganz unnötiger¬ weise eine neue geschaffen, und zwar eine, die, was das platte Land be¬ trifft, überhaupt nicht überwunden werden kann, indem man gewisse Zeiten, nämlich die Stunden von nenn bis elf Uhr vormittags und von zwei bis drei Uhr nachmittags, als Normalzeiten festsetzte. In den Ausführilngsbestimmungen der preußischen Ministerien des Innern, des Handels und des Kultus wird gesagt: Der Anfangspunkt der Beschäf¬ tigungszeit ist in der Regel auf sieben Uhr vormittags, der Endpunkt auf zwei Uhr nachmittags festzusetzen. Die Bestimmung eines frühern Anfangs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/349>, abgerufen am 09.01.2025.