Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.wollen, daß man den Wirten verboten hat, während der geschloßnen Zeit Die kranke Stelle des Gesetzes ist die willkürliche Abgrenzung derer, die Offenbar giebt es Arbeit, die auch am Sonntage geschehen muß. Richtet Ebenso bedenklich ist aber auch die Bevorzugung einzelner Gewerbe, denen wollen, daß man den Wirten verboten hat, während der geschloßnen Zeit Die kranke Stelle des Gesetzes ist die willkürliche Abgrenzung derer, die Offenbar giebt es Arbeit, die auch am Sonntage geschehen muß. Richtet Ebenso bedenklich ist aber auch die Bevorzugung einzelner Gewerbe, denen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0348" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212824"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1170" prev="#ID_1169"> wollen, daß man den Wirten verboten hat, während der geschloßnen Zeit<lb/> über die Straße zu verkaufen; aber man kann nicht hindern, daß sich jemand<lb/> beim Wirte vorsetzen läßt, was er sonst im Laden gekauft und zu Hause ver¬<lb/> zehrt hätte. In besonders übler Lage sind die Photographen, die von jeher<lb/> ihr Hauptgeschäft des Sonntags gemacht haben. Die meisten Leute, namentlich<lb/> die, von denen der kleine Photograph lebt, kommen nur zu ihm, wenn sie den<lb/> Sonntagsrock angezogen haben. In der Woche können sie das nicht, oder sie<lb/> thun es wenigstens nicht. Vom christlichen Standpunkte aus kaun man sagen:<lb/> Trage den Verlust; es ist besser, du leidest Schaden, als daß du den Sonntag<lb/> entheiligst. Vom Standpunkte der sozialen Gesetzgebung aus kann man das<lb/> nicht sagen. Man kann verbieten, daß die Kräfte des Personals über Gebühr<lb/> ausgenutzt werden, man kaun aber streng genommen nicht fordern, daß der<lb/> Gehilfe des Sonntags frei haben soll, wenn er die Woche über genug Freiheit<lb/> hat. Nimmt man dem Geschäftsinhaber den Verdienst, so setzt man den An¬<lb/> gestellten vor die Thür und richtet Schaden an, wo man eine Wohlthat<lb/> erweisen wollte. Oder unter welchem Vorwande wollte man die Photographie<lb/> freigeben? Sie ist wirklich ein Gewerbe. Hier ist der Gesetzgeber in Ver¬<lb/> legenheit. Die staatlichen Behörden haben auch bis jetzt auf die eingelaufenen<lb/> Beschwerden keine Antwort gegeben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1171"> Die kranke Stelle des Gesetzes ist die willkürliche Abgrenzung derer, die<lb/> durch das Gesetz geschützt werden sollen. Der HandelSbeflißne, der Gesell<lb/> soll seinen freien Sonntag haben. Ist der Kellner nicht auch ein Mensch?<lb/> bedarf er des staatlichen Schutzes nicht ebenso wie der Kommis? Mau kann<lb/> ihn Sonntags nicht entbehren. Auch die Herren Gesetzgeber wollen des Sonn¬<lb/> tags ihr Glas Bier trinken. Der Kellner wird dem Sonntagsvergnügen der<lb/> andern zum Opfer gebracht. Das mag eine harte Notwendigkeit sein, eine<lb/> gerechte Sache ist es nicht. Es ist ein Stück sozialer Frage, das auch<lb/> einem Bebel zu schwer ist. Und wo bleiben die Tausende, die im Verkehrs¬<lb/> gewerbe angestellt sind? Wo bleiben die Dienstboten? Die Frankfurter Dienst¬<lb/> mädchen haben sich schon gerüstet, sie wollen auch ihren freien Sonntagnach¬<lb/> mittag haben, und die andern werden nicht zurückbleiben. Den Knechten auf<lb/> dem Lande ist es schon lange ein Ärgernis, daß sie am Sonntag das Vieh<lb/> füttern müssen. Wenn die nun auch alle Berücksichtigung finden sollten, so<lb/> würde die Folge sei», daß die Herren am Sonntag die Arbeit selber machen<lb/> müßten, was übrigens stellenweise schon jetzt der Fall ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1172"> Offenbar giebt es Arbeit, die auch am Sonntage geschehen muß. Richtet<lb/> man also die Sache so ein, daß man durchs Gesetz bestimmt: Der Arbeiter, der ab¬<lb/> kömmlich ist, soll seine Sonntagsfreiheit haben, jeden Sonntag und zu bestimmten<lb/> Stunden, der Arbeiter, der unabkömmlich ist, findet keine Berücksichtigung —<lb/> so schafft man Verhältnisse, deren Ungerechtigkeit allgemein gefühlt wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_1173" next="#ID_1174"> Ebenso bedenklich ist aber auch die Bevorzugung einzelner Gewerbe, denen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0348]
wollen, daß man den Wirten verboten hat, während der geschloßnen Zeit
über die Straße zu verkaufen; aber man kann nicht hindern, daß sich jemand
beim Wirte vorsetzen läßt, was er sonst im Laden gekauft und zu Hause ver¬
zehrt hätte. In besonders übler Lage sind die Photographen, die von jeher
ihr Hauptgeschäft des Sonntags gemacht haben. Die meisten Leute, namentlich
die, von denen der kleine Photograph lebt, kommen nur zu ihm, wenn sie den
Sonntagsrock angezogen haben. In der Woche können sie das nicht, oder sie
thun es wenigstens nicht. Vom christlichen Standpunkte aus kaun man sagen:
Trage den Verlust; es ist besser, du leidest Schaden, als daß du den Sonntag
entheiligst. Vom Standpunkte der sozialen Gesetzgebung aus kann man das
nicht sagen. Man kann verbieten, daß die Kräfte des Personals über Gebühr
ausgenutzt werden, man kaun aber streng genommen nicht fordern, daß der
Gehilfe des Sonntags frei haben soll, wenn er die Woche über genug Freiheit
hat. Nimmt man dem Geschäftsinhaber den Verdienst, so setzt man den An¬
gestellten vor die Thür und richtet Schaden an, wo man eine Wohlthat
erweisen wollte. Oder unter welchem Vorwande wollte man die Photographie
freigeben? Sie ist wirklich ein Gewerbe. Hier ist der Gesetzgeber in Ver¬
legenheit. Die staatlichen Behörden haben auch bis jetzt auf die eingelaufenen
Beschwerden keine Antwort gegeben.
Die kranke Stelle des Gesetzes ist die willkürliche Abgrenzung derer, die
durch das Gesetz geschützt werden sollen. Der HandelSbeflißne, der Gesell
soll seinen freien Sonntag haben. Ist der Kellner nicht auch ein Mensch?
bedarf er des staatlichen Schutzes nicht ebenso wie der Kommis? Mau kann
ihn Sonntags nicht entbehren. Auch die Herren Gesetzgeber wollen des Sonn¬
tags ihr Glas Bier trinken. Der Kellner wird dem Sonntagsvergnügen der
andern zum Opfer gebracht. Das mag eine harte Notwendigkeit sein, eine
gerechte Sache ist es nicht. Es ist ein Stück sozialer Frage, das auch
einem Bebel zu schwer ist. Und wo bleiben die Tausende, die im Verkehrs¬
gewerbe angestellt sind? Wo bleiben die Dienstboten? Die Frankfurter Dienst¬
mädchen haben sich schon gerüstet, sie wollen auch ihren freien Sonntagnach¬
mittag haben, und die andern werden nicht zurückbleiben. Den Knechten auf
dem Lande ist es schon lange ein Ärgernis, daß sie am Sonntag das Vieh
füttern müssen. Wenn die nun auch alle Berücksichtigung finden sollten, so
würde die Folge sei», daß die Herren am Sonntag die Arbeit selber machen
müßten, was übrigens stellenweise schon jetzt der Fall ist.
Offenbar giebt es Arbeit, die auch am Sonntage geschehen muß. Richtet
man also die Sache so ein, daß man durchs Gesetz bestimmt: Der Arbeiter, der ab¬
kömmlich ist, soll seine Sonntagsfreiheit haben, jeden Sonntag und zu bestimmten
Stunden, der Arbeiter, der unabkömmlich ist, findet keine Berücksichtigung —
so schafft man Verhältnisse, deren Ungerechtigkeit allgemein gefühlt wird.
Ebenso bedenklich ist aber auch die Bevorzugung einzelner Gewerbe, denen
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |