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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Meine erste Gesellschaft

haben nur zu helfen und die Herrschaften dann hereinzuführen. -- Sie sah
mich traurig an; sie glaubte ihre Sache ausgezeichnet gemacht zu haben.

Nun klingelte es ohne Unterlaß. Drei Paare kamen auf einmal herein --
gewandt, liebenswürdig, fröhlich. Unversehens saß ich mit den Damen um den
Sofatisch, die Herren standen mit meinem Mann in der Nähe der Thür. Eigent¬
lich hatte ich das ja anders gewollt, man sollte an dem herrlichen Frühlings¬
abend auf die Veranda treten; aber niemand schien davon etwas zu bemerken.

Inzwischen füllte sich das Zimmer. Frau Hofrat Lorentz kam mit ihren
Töchtern, Geheimrat Zeisig mit seiner Frau, die nun aufs Sofa gelangte.
Dann Doktor Schuster, ein von vielen Gedanken umschwirrter Junggeselle.
Haben Sie gute Nachrichten von zu Hause? fragte er mich bei der Begrüßung
und zwinkerte freundschaftlich mit seinen kleinen braunen Augen; es war zu
reizend neulich, der Abend bei Lessings, als Ihr Fräulein Schwester bei
Ihnen zu Besuch war. -- Er kannte dabei meine Eltern gar nicht, und
meine Schwester, die übrigens verlobt war, auch nicht viel mehr. Aber sein
freundliches Herz schloß alle Leute, und mit besondrer Vorliebe junge Do¬
zentenfamilien, mit Wohlwollen ein; Schuster ist wieder Onkel geworden, pflegte
mein Mann zu sagen, wenn die Stadtpost eine Karte im Dreipfennigkonvert
mit dem bekannten Anfang "Heute wurde uns" brachte. Von mir schlängelte
er sich in die Sofagegend, um die verschiednen Damen dort mit herzlichem
Händedruck zu begrüßen.

Stimmengewirr erfüllte den Raum. Ich sprach, ich lachte, ohne zu
wissen, worüber; meine Gedanken umschwebten unaufhörlich Christinen in ihrer
Küche. Was mochte ihr wieder "bossirt" sein? Ich hatte sie vorhin, zu
meinem Entsetzen, hinter der sich öffnenden Thüre mir heftig winken sehn.
Gleich einem Schreckgespenst verfolgte mich die "denaturirte Spiritusflasche,"
aus der sie uns einmal statt Essig an die Sauce gegossen hatte. Zum
Glück schienen sich wenigstens die Gäste gut zu unterhalten; denn alle Münder
sprachen mit größtem Interesse von den gleichgiltigsten Dingen, und die, die
schwiegen, lächelten freundlich. Nur Erichs fehlten noch. Daß die auch immer
so lauge ausblieben! Schon wiederholt hatte ich bemerkt, daß jemand in Gesell¬
schaft fragte: Kommen Erichs? Man wußte nämlich: wenn die erst da waren,
dann konnte zu Tisch gegangen werden. Hie und da beguckte einer der Herren,
besonders von den Studenten oder Assistenten meines Mannes, die Bilder an
den Wänden; nicht aus Interesse, sondern weil er nicht ins Gespräch hinein
kommen konnte oder durch Hinzutritt eines dritten wieder herausgeraten war.
Ich sah nach meinem Manne, aber der war gerade dabei, den einzelnen ihre
Tischdamen zuzuflüstern.

Endlich klingelte es wieder -- Erichs! Die Gespräche wurden lauer,
lässiger, aber alle sahen erleichtert aus. Gleich darauf quetschte sich Christine
zur Thür herein: Mir könnet esse.


Meine erste Gesellschaft

haben nur zu helfen und die Herrschaften dann hereinzuführen. — Sie sah
mich traurig an; sie glaubte ihre Sache ausgezeichnet gemacht zu haben.

Nun klingelte es ohne Unterlaß. Drei Paare kamen auf einmal herein —
gewandt, liebenswürdig, fröhlich. Unversehens saß ich mit den Damen um den
Sofatisch, die Herren standen mit meinem Mann in der Nähe der Thür. Eigent¬
lich hatte ich das ja anders gewollt, man sollte an dem herrlichen Frühlings¬
abend auf die Veranda treten; aber niemand schien davon etwas zu bemerken.

Inzwischen füllte sich das Zimmer. Frau Hofrat Lorentz kam mit ihren
Töchtern, Geheimrat Zeisig mit seiner Frau, die nun aufs Sofa gelangte.
Dann Doktor Schuster, ein von vielen Gedanken umschwirrter Junggeselle.
Haben Sie gute Nachrichten von zu Hause? fragte er mich bei der Begrüßung
und zwinkerte freundschaftlich mit seinen kleinen braunen Augen; es war zu
reizend neulich, der Abend bei Lessings, als Ihr Fräulein Schwester bei
Ihnen zu Besuch war. — Er kannte dabei meine Eltern gar nicht, und
meine Schwester, die übrigens verlobt war, auch nicht viel mehr. Aber sein
freundliches Herz schloß alle Leute, und mit besondrer Vorliebe junge Do¬
zentenfamilien, mit Wohlwollen ein; Schuster ist wieder Onkel geworden, pflegte
mein Mann zu sagen, wenn die Stadtpost eine Karte im Dreipfennigkonvert
mit dem bekannten Anfang „Heute wurde uns" brachte. Von mir schlängelte
er sich in die Sofagegend, um die verschiednen Damen dort mit herzlichem
Händedruck zu begrüßen.

Stimmengewirr erfüllte den Raum. Ich sprach, ich lachte, ohne zu
wissen, worüber; meine Gedanken umschwebten unaufhörlich Christinen in ihrer
Küche. Was mochte ihr wieder „bossirt" sein? Ich hatte sie vorhin, zu
meinem Entsetzen, hinter der sich öffnenden Thüre mir heftig winken sehn.
Gleich einem Schreckgespenst verfolgte mich die „denaturirte Spiritusflasche,"
aus der sie uns einmal statt Essig an die Sauce gegossen hatte. Zum
Glück schienen sich wenigstens die Gäste gut zu unterhalten; denn alle Münder
sprachen mit größtem Interesse von den gleichgiltigsten Dingen, und die, die
schwiegen, lächelten freundlich. Nur Erichs fehlten noch. Daß die auch immer
so lauge ausblieben! Schon wiederholt hatte ich bemerkt, daß jemand in Gesell¬
schaft fragte: Kommen Erichs? Man wußte nämlich: wenn die erst da waren,
dann konnte zu Tisch gegangen werden. Hie und da beguckte einer der Herren,
besonders von den Studenten oder Assistenten meines Mannes, die Bilder an
den Wänden; nicht aus Interesse, sondern weil er nicht ins Gespräch hinein
kommen konnte oder durch Hinzutritt eines dritten wieder herausgeraten war.
Ich sah nach meinem Manne, aber der war gerade dabei, den einzelnen ihre
Tischdamen zuzuflüstern.

Endlich klingelte es wieder — Erichs! Die Gespräche wurden lauer,
lässiger, aber alle sahen erleichtert aus. Gleich darauf quetschte sich Christine
zur Thür herein: Mir könnet esse.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/330>, abgerufen am 09.01.2025.