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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Meine erste Gesellschaft

obacht -- 's spritzt! Dann sank sie keuchend ans den Küchenstuhl und sah
mir zu. Das schmeckt emol, sagte sie nach einer Pause, indem sie laut mit
der Nase aufzog, wahrend ich die verkohlten Äpfel wegschüttete und mit zit¬
ternden Händen neue zu schälen begann. Schmecken war nämlich ihr Aus¬
druck für riechen. So helfen Sie mir doch! rief ich, rasch! Fenster und
Thüren auf!

Todmüde kam ich ins Eßzimmer zurück. Ach, ich hatte es mir doch leichter
gedacht! Aber um keinen Preis durfte mein Mann etwas von diesen Kämpfen
merken! Plötzlich aber fragte er, ob etwas angebrannt sei. Ich mußte den
Geruch an meinen Kleidern mit hereingebracht haben. O nein -- so -- so
riechts immer, wenn Feuer auf dem Herd ist, sagte ich so unbefangen wie
möglich, und beugte mich tief auf die Apfelsinen, die ich auf der Fruchtschale
ordnete. Daun lief ich, mich umzukleiden.

Als ich fertig ins Eßzimmer trat, freute ich mich selbst über den schönen
Anblick. Festlied geschmückt hob sich der von dem Kronleuchter bestrahlte Tisch
aus der Mitte; wie nach der Schnur standen die Stühle herum. Die Bilder
hatten noch nie so feierlich von den Wänden herabgeschaut. Im Erker brannte
die rosa Ampel und verwob ihren weichen Schimmer mit dem bläulichen
Mondlicht, das zu allen Fenstern hereinspielte. Die Blumen dufteten. Ich
stand am Fenster und sah über die weiten Wiesen zu dem verdämmernden
Walde hinüber, der sich, fein gezackt, gegen den Abendhimmel abhob. Fast
hatte ich in diesen: tiefen Frieden die bevorstehende Schlacht vergessen. Da legte
sich ein Arm um mich, und meines Mannes Stimme fragte: Was denkst du?
Ich wollte mich an ihn lehnen, aber da ging die Thür auf, und breitspurig
kam Christine herein. Sie war in vollem Staate, d. h. sie hatte ihre sämt¬
lichen Kleider über einander angezogen und über ihre dicken roten Hände auf
meinen Befehl weißbaumwollne Handschuhe gezwängt.

Mueß der Kuh an abghäutet werde? fragte sie. -- Um Gottes willen
nicht! stieß ich hervor. Ihr Bethütigungsdrang war mir unheimlich. Da tönte
die Klingel schrill durchs Haus. Christine stürzte hinaus, indem sie fast den
ganzen gedeckten Tisch mit sich fortriß. Während wir hastig alles wieder
zurecht zogen, hörten wir ihr freundliches: Gnade Daag! Eine schüchterne
Männerstimme fragte: Bin ich zu früh? -- O, was denket Sie an, mir hält
scho lang gwardet. -- Mir brauste es vor den Ohren. Die Thür ging auf,
und der junge Doktor Grimm kam herein. Er war immer der erste, in jeder
Gesellschaft, da er mehr Courage hatte, wenn er die Leute einzeln begrüßen
konnte, statt in den ganzen Kreis zu kommen. -- Guten Abend, gnädige Frau,
flüsterte er und machte eine Verbeugung, daß ich durch sein aufrechtstehendes
dünnes, weiches Haar ans seine errötende Kopfhaut niedersah. Ich überließ
ihn meinem Manne, murmelte eine Entschuldigung und suchte draußen Christinen.

Sie dürfen die Leute nicht unterhalten, brachte ich mühsam hervor. Sie


Grenzboten 111 1892 4l
Meine erste Gesellschaft

obacht — 's spritzt! Dann sank sie keuchend ans den Küchenstuhl und sah
mir zu. Das schmeckt emol, sagte sie nach einer Pause, indem sie laut mit
der Nase aufzog, wahrend ich die verkohlten Äpfel wegschüttete und mit zit¬
ternden Händen neue zu schälen begann. Schmecken war nämlich ihr Aus¬
druck für riechen. So helfen Sie mir doch! rief ich, rasch! Fenster und
Thüren auf!

Todmüde kam ich ins Eßzimmer zurück. Ach, ich hatte es mir doch leichter
gedacht! Aber um keinen Preis durfte mein Mann etwas von diesen Kämpfen
merken! Plötzlich aber fragte er, ob etwas angebrannt sei. Ich mußte den
Geruch an meinen Kleidern mit hereingebracht haben. O nein — so — so
riechts immer, wenn Feuer auf dem Herd ist, sagte ich so unbefangen wie
möglich, und beugte mich tief auf die Apfelsinen, die ich auf der Fruchtschale
ordnete. Daun lief ich, mich umzukleiden.

Als ich fertig ins Eßzimmer trat, freute ich mich selbst über den schönen
Anblick. Festlied geschmückt hob sich der von dem Kronleuchter bestrahlte Tisch
aus der Mitte; wie nach der Schnur standen die Stühle herum. Die Bilder
hatten noch nie so feierlich von den Wänden herabgeschaut. Im Erker brannte
die rosa Ampel und verwob ihren weichen Schimmer mit dem bläulichen
Mondlicht, das zu allen Fenstern hereinspielte. Die Blumen dufteten. Ich
stand am Fenster und sah über die weiten Wiesen zu dem verdämmernden
Walde hinüber, der sich, fein gezackt, gegen den Abendhimmel abhob. Fast
hatte ich in diesen: tiefen Frieden die bevorstehende Schlacht vergessen. Da legte
sich ein Arm um mich, und meines Mannes Stimme fragte: Was denkst du?
Ich wollte mich an ihn lehnen, aber da ging die Thür auf, und breitspurig
kam Christine herein. Sie war in vollem Staate, d. h. sie hatte ihre sämt¬
lichen Kleider über einander angezogen und über ihre dicken roten Hände auf
meinen Befehl weißbaumwollne Handschuhe gezwängt.

Mueß der Kuh an abghäutet werde? fragte sie. — Um Gottes willen
nicht! stieß ich hervor. Ihr Bethütigungsdrang war mir unheimlich. Da tönte
die Klingel schrill durchs Haus. Christine stürzte hinaus, indem sie fast den
ganzen gedeckten Tisch mit sich fortriß. Während wir hastig alles wieder
zurecht zogen, hörten wir ihr freundliches: Gnade Daag! Eine schüchterne
Männerstimme fragte: Bin ich zu früh? — O, was denket Sie an, mir hält
scho lang gwardet. — Mir brauste es vor den Ohren. Die Thür ging auf,
und der junge Doktor Grimm kam herein. Er war immer der erste, in jeder
Gesellschaft, da er mehr Courage hatte, wenn er die Leute einzeln begrüßen
konnte, statt in den ganzen Kreis zu kommen. — Guten Abend, gnädige Frau,
flüsterte er und machte eine Verbeugung, daß ich durch sein aufrechtstehendes
dünnes, weiches Haar ans seine errötende Kopfhaut niedersah. Ich überließ
ihn meinem Manne, murmelte eine Entschuldigung und suchte draußen Christinen.

Sie dürfen die Leute nicht unterhalten, brachte ich mühsam hervor. Sie


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[0329] Meine erste Gesellschaft obacht — 's spritzt! Dann sank sie keuchend ans den Küchenstuhl und sah mir zu. Das schmeckt emol, sagte sie nach einer Pause, indem sie laut mit der Nase aufzog, wahrend ich die verkohlten Äpfel wegschüttete und mit zit¬ ternden Händen neue zu schälen begann. Schmecken war nämlich ihr Aus¬ druck für riechen. So helfen Sie mir doch! rief ich, rasch! Fenster und Thüren auf! Todmüde kam ich ins Eßzimmer zurück. Ach, ich hatte es mir doch leichter gedacht! Aber um keinen Preis durfte mein Mann etwas von diesen Kämpfen merken! Plötzlich aber fragte er, ob etwas angebrannt sei. Ich mußte den Geruch an meinen Kleidern mit hereingebracht haben. O nein — so — so riechts immer, wenn Feuer auf dem Herd ist, sagte ich so unbefangen wie möglich, und beugte mich tief auf die Apfelsinen, die ich auf der Fruchtschale ordnete. Daun lief ich, mich umzukleiden. Als ich fertig ins Eßzimmer trat, freute ich mich selbst über den schönen Anblick. Festlied geschmückt hob sich der von dem Kronleuchter bestrahlte Tisch aus der Mitte; wie nach der Schnur standen die Stühle herum. Die Bilder hatten noch nie so feierlich von den Wänden herabgeschaut. Im Erker brannte die rosa Ampel und verwob ihren weichen Schimmer mit dem bläulichen Mondlicht, das zu allen Fenstern hereinspielte. Die Blumen dufteten. Ich stand am Fenster und sah über die weiten Wiesen zu dem verdämmernden Walde hinüber, der sich, fein gezackt, gegen den Abendhimmel abhob. Fast hatte ich in diesen: tiefen Frieden die bevorstehende Schlacht vergessen. Da legte sich ein Arm um mich, und meines Mannes Stimme fragte: Was denkst du? Ich wollte mich an ihn lehnen, aber da ging die Thür auf, und breitspurig kam Christine herein. Sie war in vollem Staate, d. h. sie hatte ihre sämt¬ lichen Kleider über einander angezogen und über ihre dicken roten Hände auf meinen Befehl weißbaumwollne Handschuhe gezwängt. Mueß der Kuh an abghäutet werde? fragte sie. — Um Gottes willen nicht! stieß ich hervor. Ihr Bethütigungsdrang war mir unheimlich. Da tönte die Klingel schrill durchs Haus. Christine stürzte hinaus, indem sie fast den ganzen gedeckten Tisch mit sich fortriß. Während wir hastig alles wieder zurecht zogen, hörten wir ihr freundliches: Gnade Daag! Eine schüchterne Männerstimme fragte: Bin ich zu früh? — O, was denket Sie an, mir hält scho lang gwardet. — Mir brauste es vor den Ohren. Die Thür ging auf, und der junge Doktor Grimm kam herein. Er war immer der erste, in jeder Gesellschaft, da er mehr Courage hatte, wenn er die Leute einzeln begrüßen konnte, statt in den ganzen Kreis zu kommen. — Guten Abend, gnädige Frau, flüsterte er und machte eine Verbeugung, daß ich durch sein aufrechtstehendes dünnes, weiches Haar ans seine errötende Kopfhaut niedersah. Ich überließ ihn meinem Manne, murmelte eine Entschuldigung und suchte draußen Christinen. Sie dürfen die Leute nicht unterhalten, brachte ich mühsam hervor. Sie Grenzboten 111 1892 4l

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/329>, abgerufen am 09.01.2025.