Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Man kann sich also denken, was dann wohl übrig bleibt. Sie bedecken ihre In den Dörfern haben sie eine Art Mterio iznolüv inne, nämlich eine Wie sich diese Rassen in jenen Dörfern gegenüberstehn, kann man sich Man kann sich also denken, was dann wohl übrig bleibt. Sie bedecken ihre In den Dörfern haben sie eine Art Mterio iznolüv inne, nämlich eine Wie sich diese Rassen in jenen Dörfern gegenüberstehn, kann man sich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0287" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212763"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_917" prev="#ID_916"> Man kann sich also denken, was dann wohl übrig bleibt. Sie bedecken ihre<lb/> Blöße durch starrenden Schmutz. Diese Leute wohnen hier unter dem Land¬<lb/> volk weniger wie Parias, als wie abergläubisch geduldete Tiere. Ich mußte<lb/> an die durch Schopenhauer berüchtigten heiligen Affen von Benares denken.<lb/> Eine Art von verfluchter Unverletzlichkeit, ein schlimmes ohn knüpft sich überall<lb/> an das trübselig interessante Volk. Ihre Sprache, die nach Indien, ihre<lb/> Körperbildung, die nach Ägypten, und ihr Charakter, der unweigerlich ins<lb/> Zuchthaus weist — eine wunderliche Zusammensetzung von Rätseln, die ihre<lb/> Lösung hartnäckig versagen. Wenn in diesem Volke sich eine der vielbernfnen<lb/> historischen Ideen verkörpern sollte, so ist es ohne Zweifel die der Faulheit.<lb/> Die Zigeuner haben sich gegen die Gesellschaft verschworen, an dem seit dem<lb/> Sündenfall eingerißnen Vorurteil der Arbeit nicht teilzunehmen. Vielleicht<lb/> sind es die direkten Nachkommen Adams und Evas. Sie führen ihr para¬<lb/> diesisches Dasein weiter unter nichts weniger als paradiesischen Zuständen. Wie<lb/> groß muß die Faulheit jenes herkulisch gebauten Jünglings mit der Sacklein¬<lb/> wand um die Blöße sein, daß er sich nicht, wenn nicht vor Frost, so wenigstens<lb/> aus Eitelkeit ein Paar Kreuzer zu einem Hemd verdient? Man wende nicht<lb/> etwa die Thesen des Arbeitsmarkts zu seinen Gunsten um. In diesen Strichen<lb/> der Erdoberfläche verlieren Malthus und Marx ihre Geltung. Da giebt es<lb/> wenig Menschen, man braucht die paar Hände, die da sind. Aber lieber nackt<lb/> in Erdlöchern wohnen und alle List und Findigkeit mit Daransctzung von<lb/> Leib und Leben aufs Stehlen konzentriren, als eine zwingende Arbeit verrichten!<lb/> Die ungarischen Zigeuner sind keineswegs ungeschickt. Ihr Hufbeschlag ist<lb/> gesucht, führt sie aber alsbald wieder auf die „freiere" Kunst des Roßtauscheus.</p><lb/> <p xml:id="ID_918"> In den Dörfern haben sie eine Art Mterio iznolüv inne, nämlich eine<lb/> Flucht durch Latten gekeuuzeichueter Erdlöcher, die sich am Abhang über deu<lb/> Dorfhütten hinzieht. So habe ich es wenigstens auf der Durchfahrt ange¬<lb/> troffen. Eine treffende Illustration für ihre Ansprüche im großen Welttheater.<lb/> Diese schmutzigen Slvwakcnhtttten da oben in den Karpaten scheinen schon<lb/> der letzte erdenkliche Platz. Aber drüber hinaus giebt es noch einen, o einen<lb/> trübseligen Platz zur Bewältigung einer so tragischen Geschichte wie das Leben!<lb/> Aber er gefüllt deu Leuten. Es ist ein Freiplatz!</p><lb/> <p xml:id="ID_919" next="#ID_920"> Wie sich diese Rassen in jenen Dörfern gegenüberstehn, kann man sich<lb/> schwer einen größern Gegensatz denken. Die flachsblonden, breitstirnigen, stark¬<lb/> knochigen Germanoslawen, und die braunen, schlankbeweglichen, dunkeläugiger<lb/> Kinder des Südens mit dem kohlschwarzen Gelock, der hamitisch aufgestülpten<lb/> Nase, der niedern, zurückfliegenden Stirn. Bis auf deu erwähnten jungen<lb/> Mann, der an den arabischen Typus hinanreichte, habe ich kein hübsches oder<lb/> gar schönes Gesicht uuter ihnen gesehn. Unter den Kindern findet man wahre<lb/> Affenphysiognvmien, daneben auch interessante und namentlich drollige Vubeu-<lb/> gesichter, die für unsre italienischen minori- und liguri-Verkäufer passiren</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0287]
Man kann sich also denken, was dann wohl übrig bleibt. Sie bedecken ihre
Blöße durch starrenden Schmutz. Diese Leute wohnen hier unter dem Land¬
volk weniger wie Parias, als wie abergläubisch geduldete Tiere. Ich mußte
an die durch Schopenhauer berüchtigten heiligen Affen von Benares denken.
Eine Art von verfluchter Unverletzlichkeit, ein schlimmes ohn knüpft sich überall
an das trübselig interessante Volk. Ihre Sprache, die nach Indien, ihre
Körperbildung, die nach Ägypten, und ihr Charakter, der unweigerlich ins
Zuchthaus weist — eine wunderliche Zusammensetzung von Rätseln, die ihre
Lösung hartnäckig versagen. Wenn in diesem Volke sich eine der vielbernfnen
historischen Ideen verkörpern sollte, so ist es ohne Zweifel die der Faulheit.
Die Zigeuner haben sich gegen die Gesellschaft verschworen, an dem seit dem
Sündenfall eingerißnen Vorurteil der Arbeit nicht teilzunehmen. Vielleicht
sind es die direkten Nachkommen Adams und Evas. Sie führen ihr para¬
diesisches Dasein weiter unter nichts weniger als paradiesischen Zuständen. Wie
groß muß die Faulheit jenes herkulisch gebauten Jünglings mit der Sacklein¬
wand um die Blöße sein, daß er sich nicht, wenn nicht vor Frost, so wenigstens
aus Eitelkeit ein Paar Kreuzer zu einem Hemd verdient? Man wende nicht
etwa die Thesen des Arbeitsmarkts zu seinen Gunsten um. In diesen Strichen
der Erdoberfläche verlieren Malthus und Marx ihre Geltung. Da giebt es
wenig Menschen, man braucht die paar Hände, die da sind. Aber lieber nackt
in Erdlöchern wohnen und alle List und Findigkeit mit Daransctzung von
Leib und Leben aufs Stehlen konzentriren, als eine zwingende Arbeit verrichten!
Die ungarischen Zigeuner sind keineswegs ungeschickt. Ihr Hufbeschlag ist
gesucht, führt sie aber alsbald wieder auf die „freiere" Kunst des Roßtauscheus.
In den Dörfern haben sie eine Art Mterio iznolüv inne, nämlich eine
Flucht durch Latten gekeuuzeichueter Erdlöcher, die sich am Abhang über deu
Dorfhütten hinzieht. So habe ich es wenigstens auf der Durchfahrt ange¬
troffen. Eine treffende Illustration für ihre Ansprüche im großen Welttheater.
Diese schmutzigen Slvwakcnhtttten da oben in den Karpaten scheinen schon
der letzte erdenkliche Platz. Aber drüber hinaus giebt es noch einen, o einen
trübseligen Platz zur Bewältigung einer so tragischen Geschichte wie das Leben!
Aber er gefüllt deu Leuten. Es ist ein Freiplatz!
Wie sich diese Rassen in jenen Dörfern gegenüberstehn, kann man sich
schwer einen größern Gegensatz denken. Die flachsblonden, breitstirnigen, stark¬
knochigen Germanoslawen, und die braunen, schlankbeweglichen, dunkeläugiger
Kinder des Südens mit dem kohlschwarzen Gelock, der hamitisch aufgestülpten
Nase, der niedern, zurückfliegenden Stirn. Bis auf deu erwähnten jungen
Mann, der an den arabischen Typus hinanreichte, habe ich kein hübsches oder
gar schönes Gesicht uuter ihnen gesehn. Unter den Kindern findet man wahre
Affenphysiognvmien, daneben auch interessante und namentlich drollige Vubeu-
gesichter, die für unsre italienischen minori- und liguri-Verkäufer passiren
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