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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Pcinnonische Bilder

nötige Kontrast für eine solche Empfindung: eine Starrheit, eine in sich ab-
geschloßne Selbstfertigkeit, eine alles abweisende Todeseinsamkeit, wie sie kein
Ort des Sterbens und der Entsagung sonst darstellt in der daran so reichen
Welt. Grabkammern des Willens, Grüfte ohne Moder und Verwesungsduft
scheinen diese Katakomben des ewigen Eises. Kein Besucher, und wäre er noch
so pfingstmäßig angeregt, kann sich dem Schauder entziehen, den alles ganz
und völlig Leblose, Daseinsfreude auf deu fühlenden Geist hervorbringt.
Noch liegt ein Hauch des Unberührten, Unbetretnen, nicht zu Betretenden auf
diesen Jahrtausende alten und erst seit zwanzig Jahren dem unaufhaltsamen
Menschenfnsze erschloßnen Grotten und Gängen. So malt sich die kühnste
Märchenphantasie Eiskönigs Palast und die Wohnungen der grimmigen Reif¬
riesen der nordischen Sage. Ein Böcklinsches Auge für diese unterirdische Welt
von weißblauen Glitzerglanz, grünlich polirten Grotten, schneeigen Säulen und
ungeheuern, fließenden Marmvrwänden! Denn der unten liegende mit dem
Eise veralgamirte Kalk setzt seine bekannte Zeichnung durch durch alle bedeckenden
Schichten, und das charakteristische Schillern des feuchterstarrten Elements giebt
jenen unglaublichen Eindruck des flüssigen Marmors.

Aber wir geraten ins Schwärmen, was' einem Neiseschriftsteller übel
ansteht. Sein Wahlspruch sei, zumal in unsrer naturalistischen Zeit, das An
mwuriU'i! Schwärmerei ist heute nnr noch der Reklame erlaubt, und Reklame
wird nur dann für anständig gehalten, wenn etwas dabei herauskommt. Aber
was ist für mich bei der Fahrt nach Dvbschciu herausgekommen? Nebel,
Regen und ans ihren Erdlöchern einige Nudel halbnackter, frierender Zigeuner.
Der Weg dnrch diese einsamen Langthäler der Ostkarpatcn, von denen scheinbar
ohne Aufhören eins das andere ablöst, ist sonst sehr lohnend. Sie verbinden
alle intimen Reize der deutschen Mittelgebirge mit den größer" Zügen, dem
freiern Schwunge der Nlpcnlandschaft. Die gleichförmigen, dichten Wälder,
der Mangel an Wasser und menschlicher Ansiedlung geben ihnen ein verschloßnes,
melancholisches Ansehen. Bis auf wenige schlechtgenährte Pferde habe ich
nichts dort weiden sehn. Unglaublich ist die Armut und das Elend, das man
in den paar Slomakendörfern am Wege zu sehn bekommt, und das seltsam zu
den auch dort schon nicht fehlenden pompösen Soinmerfrischenanlagen stimmt.
Es ist die Welt, in der man bettelt, friert und hungert. Es ist kein Wunder,
daß die Frauen hier so häßlich und verkümmert sind. Die Ansprüche, die
hier an die Frau als das Lasttier der Familie gestellt werden, überschreiten
alles erdenkliche Maß. Besonders habe ich mich über die dem rauhen Höhen¬
klima so wenig angemeßne Kleidung gewundert. Ein flatterndes, an den
Hüften zusammengeschnürtes Kattnnröckchen, die Füße in hohen Wasserstiefeln --
das scheint alles. Es ist schwer glaublich, daß noch etwas darunter sei. Und
das bei fünf Grad Neaumur und schneidendem Höhenwind!

Gegen die "Tracht" der Zigeuner ist dies alles freilich noch Luxuskleidung.


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nötige Kontrast für eine solche Empfindung: eine Starrheit, eine in sich ab-
geschloßne Selbstfertigkeit, eine alles abweisende Todeseinsamkeit, wie sie kein
Ort des Sterbens und der Entsagung sonst darstellt in der daran so reichen
Welt. Grabkammern des Willens, Grüfte ohne Moder und Verwesungsduft
scheinen diese Katakomben des ewigen Eises. Kein Besucher, und wäre er noch
so pfingstmäßig angeregt, kann sich dem Schauder entziehen, den alles ganz
und völlig Leblose, Daseinsfreude auf deu fühlenden Geist hervorbringt.
Noch liegt ein Hauch des Unberührten, Unbetretnen, nicht zu Betretenden auf
diesen Jahrtausende alten und erst seit zwanzig Jahren dem unaufhaltsamen
Menschenfnsze erschloßnen Grotten und Gängen. So malt sich die kühnste
Märchenphantasie Eiskönigs Palast und die Wohnungen der grimmigen Reif¬
riesen der nordischen Sage. Ein Böcklinsches Auge für diese unterirdische Welt
von weißblauen Glitzerglanz, grünlich polirten Grotten, schneeigen Säulen und
ungeheuern, fließenden Marmvrwänden! Denn der unten liegende mit dem
Eise veralgamirte Kalk setzt seine bekannte Zeichnung durch durch alle bedeckenden
Schichten, und das charakteristische Schillern des feuchterstarrten Elements giebt
jenen unglaublichen Eindruck des flüssigen Marmors.

Aber wir geraten ins Schwärmen, was' einem Neiseschriftsteller übel
ansteht. Sein Wahlspruch sei, zumal in unsrer naturalistischen Zeit, das An
mwuriU'i! Schwärmerei ist heute nnr noch der Reklame erlaubt, und Reklame
wird nur dann für anständig gehalten, wenn etwas dabei herauskommt. Aber
was ist für mich bei der Fahrt nach Dvbschciu herausgekommen? Nebel,
Regen und ans ihren Erdlöchern einige Nudel halbnackter, frierender Zigeuner.
Der Weg dnrch diese einsamen Langthäler der Ostkarpatcn, von denen scheinbar
ohne Aufhören eins das andere ablöst, ist sonst sehr lohnend. Sie verbinden
alle intimen Reize der deutschen Mittelgebirge mit den größer» Zügen, dem
freiern Schwunge der Nlpcnlandschaft. Die gleichförmigen, dichten Wälder,
der Mangel an Wasser und menschlicher Ansiedlung geben ihnen ein verschloßnes,
melancholisches Ansehen. Bis auf wenige schlechtgenährte Pferde habe ich
nichts dort weiden sehn. Unglaublich ist die Armut und das Elend, das man
in den paar Slomakendörfern am Wege zu sehn bekommt, und das seltsam zu
den auch dort schon nicht fehlenden pompösen Soinmerfrischenanlagen stimmt.
Es ist die Welt, in der man bettelt, friert und hungert. Es ist kein Wunder,
daß die Frauen hier so häßlich und verkümmert sind. Die Ansprüche, die
hier an die Frau als das Lasttier der Familie gestellt werden, überschreiten
alles erdenkliche Maß. Besonders habe ich mich über die dem rauhen Höhen¬
klima so wenig angemeßne Kleidung gewundert. Ein flatterndes, an den
Hüften zusammengeschnürtes Kattnnröckchen, die Füße in hohen Wasserstiefeln —
das scheint alles. Es ist schwer glaublich, daß noch etwas darunter sei. Und
das bei fünf Grad Neaumur und schneidendem Höhenwind!

Gegen die „Tracht" der Zigeuner ist dies alles freilich noch Luxuskleidung.


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[0286] Pcinnonische Bilder nötige Kontrast für eine solche Empfindung: eine Starrheit, eine in sich ab- geschloßne Selbstfertigkeit, eine alles abweisende Todeseinsamkeit, wie sie kein Ort des Sterbens und der Entsagung sonst darstellt in der daran so reichen Welt. Grabkammern des Willens, Grüfte ohne Moder und Verwesungsduft scheinen diese Katakomben des ewigen Eises. Kein Besucher, und wäre er noch so pfingstmäßig angeregt, kann sich dem Schauder entziehen, den alles ganz und völlig Leblose, Daseinsfreude auf deu fühlenden Geist hervorbringt. Noch liegt ein Hauch des Unberührten, Unbetretnen, nicht zu Betretenden auf diesen Jahrtausende alten und erst seit zwanzig Jahren dem unaufhaltsamen Menschenfnsze erschloßnen Grotten und Gängen. So malt sich die kühnste Märchenphantasie Eiskönigs Palast und die Wohnungen der grimmigen Reif¬ riesen der nordischen Sage. Ein Böcklinsches Auge für diese unterirdische Welt von weißblauen Glitzerglanz, grünlich polirten Grotten, schneeigen Säulen und ungeheuern, fließenden Marmvrwänden! Denn der unten liegende mit dem Eise veralgamirte Kalk setzt seine bekannte Zeichnung durch durch alle bedeckenden Schichten, und das charakteristische Schillern des feuchterstarrten Elements giebt jenen unglaublichen Eindruck des flüssigen Marmors. Aber wir geraten ins Schwärmen, was' einem Neiseschriftsteller übel ansteht. Sein Wahlspruch sei, zumal in unsrer naturalistischen Zeit, das An mwuriU'i! Schwärmerei ist heute nnr noch der Reklame erlaubt, und Reklame wird nur dann für anständig gehalten, wenn etwas dabei herauskommt. Aber was ist für mich bei der Fahrt nach Dvbschciu herausgekommen? Nebel, Regen und ans ihren Erdlöchern einige Nudel halbnackter, frierender Zigeuner. Der Weg dnrch diese einsamen Langthäler der Ostkarpatcn, von denen scheinbar ohne Aufhören eins das andere ablöst, ist sonst sehr lohnend. Sie verbinden alle intimen Reize der deutschen Mittelgebirge mit den größer» Zügen, dem freiern Schwunge der Nlpcnlandschaft. Die gleichförmigen, dichten Wälder, der Mangel an Wasser und menschlicher Ansiedlung geben ihnen ein verschloßnes, melancholisches Ansehen. Bis auf wenige schlechtgenährte Pferde habe ich nichts dort weiden sehn. Unglaublich ist die Armut und das Elend, das man in den paar Slomakendörfern am Wege zu sehn bekommt, und das seltsam zu den auch dort schon nicht fehlenden pompösen Soinmerfrischenanlagen stimmt. Es ist die Welt, in der man bettelt, friert und hungert. Es ist kein Wunder, daß die Frauen hier so häßlich und verkümmert sind. Die Ansprüche, die hier an die Frau als das Lasttier der Familie gestellt werden, überschreiten alles erdenkliche Maß. Besonders habe ich mich über die dem rauhen Höhen¬ klima so wenig angemeßne Kleidung gewundert. Ein flatterndes, an den Hüften zusammengeschnürtes Kattnnröckchen, die Füße in hohen Wasserstiefeln — das scheint alles. Es ist schwer glaublich, daß noch etwas darunter sei. Und das bei fünf Grad Neaumur und schneidendem Höhenwind! Gegen die „Tracht" der Zigeuner ist dies alles freilich noch Luxuskleidung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/286>, abgerufen am 09.01.2025.