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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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frieden. Sie wollen nichts weiter als kämpfen und untergehen gegen die
elementaren Gewalten, die den Menschen zu bezwingen streben, den Freigebornen
der Schöpfung,

Auffällig ist die Farblosigkeit der Tracht in diesen Gegenden. Schwarz
und weiß, wie das preußische Todesbanuer! Die Frauen tragen lange flat¬
ternde, weiße Leiuenmäntel, die sie nnter dem Halse zusammenbinden, weiße
Kopftücher und schwarze Schürzen. Sie sind gar nicht schön, ungleich den
Männern, völlig uninteressant. Schon dies könnte uns in der Ansicht be¬
stärken, daß wir es hier nicht mit flammensten Slawen zu thun haben, diesem
farbensrohesten, leichtlebigsten, geuußfreudigsteu Menschenschlag mit den liebens¬
würdigen Manieren und den schönen Frauen. Was sind sie eigentlich, diese
seltsamen Menschen mit ihrer angelernten, verdorbnen, aus allen slawischen
Idiomen zusammengestöppelten Sprache, ihren langen Schädeln mit den wal¬
lenden Hcldeumähueu, den sprechenden Angen und dem bartlosen, zusammen¬
gepreßten Munde? Könnte man nicht an alte Gothen denken, die vor den
Zeiten der Völkerwandruug hier saßen, und deren versprengte Neste man an
den äußersten Endpunkten ihrer thronstürzendeu und thrvnbcgründeuden Helden¬
züge mit der linguistischen und ethnographischen Laterne mühsam aufspürt?
Hier wäre mehr! Vielleicht das alte Volk selbst in seiner uralten Verfassung
und seinen angestammten Verhältnissen, der zurückgebliebne Grundstock jener
unruhigen Wanderzügler, nur sprachlich gemodelt, aber uicht hinweggespült
von der slawischen Völkerwelle; ein ethnologischer Petrefakt aus der ante-
diluvianischer historischen Schicht jener ungeheuern Gotcnfürsten, deren An¬
denken fortklingt in den ältesten Liedern und Mythen der Germanen! War
es nicht am Ende dies, was mich so wundersam berührte an der Erscheinung
des Steinalten, riesenhaften Hirten mit den nur an den Spitzen ergrauten
Lvckensträhnen um deu aufrechten Hals, der mit seinem spitzen Bergstabe wie
mit einer Lanze die dichte Menge zerteilte und mit solch heroisch wehmütigen
Lächeln in seine vierte Klasse stieg! Alter Hildebrand, welche Wala hätte es
dir geweissagt, und in welchen Runen stand es geschrieben, nachdem du deinen
geliebten Herrn verlieren und deinen verblendeten Sohn im Zweikampf töten
mußtest, daß du noch einmal würdest vierter Klasse fahren müssen -- auf
ein Zoneutarifbillet der Kaschan-Oderberger Bahn!

Die Landschaft an der Waag ist voller Anmut, mit den feinsten idyllischen
Reizen lockend, gelegentlich aber auch durch einen schroffen, kühnen Zug auf¬
schreckend, durch eine" gewaltigen Ausblick erhebend. Auch die Romantik der
Burgruine fehlt uicht. Zu Paaren grüßen sie sich freundlich oder feindlich
auf den Granitkegcln der in der Längsrichtung wie eine der ans ihnen wei¬
denden Rinderherden vorwärtsstrebendeu Bergzüge. "Die waren alle noch
bewohnt in der guten Zeit," bemerkte mein romantischer Viehhändler, als ob
er von gestern spräche. "Viele flohen da hinauf vor dem Türken und seiner


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frieden. Sie wollen nichts weiter als kämpfen und untergehen gegen die
elementaren Gewalten, die den Menschen zu bezwingen streben, den Freigebornen
der Schöpfung,

Auffällig ist die Farblosigkeit der Tracht in diesen Gegenden. Schwarz
und weiß, wie das preußische Todesbanuer! Die Frauen tragen lange flat¬
ternde, weiße Leiuenmäntel, die sie nnter dem Halse zusammenbinden, weiße
Kopftücher und schwarze Schürzen. Sie sind gar nicht schön, ungleich den
Männern, völlig uninteressant. Schon dies könnte uns in der Ansicht be¬
stärken, daß wir es hier nicht mit flammensten Slawen zu thun haben, diesem
farbensrohesten, leichtlebigsten, geuußfreudigsteu Menschenschlag mit den liebens¬
würdigen Manieren und den schönen Frauen. Was sind sie eigentlich, diese
seltsamen Menschen mit ihrer angelernten, verdorbnen, aus allen slawischen
Idiomen zusammengestöppelten Sprache, ihren langen Schädeln mit den wal¬
lenden Hcldeumähueu, den sprechenden Angen und dem bartlosen, zusammen¬
gepreßten Munde? Könnte man nicht an alte Gothen denken, die vor den
Zeiten der Völkerwandruug hier saßen, und deren versprengte Neste man an
den äußersten Endpunkten ihrer thronstürzendeu und thrvnbcgründeuden Helden¬
züge mit der linguistischen und ethnographischen Laterne mühsam aufspürt?
Hier wäre mehr! Vielleicht das alte Volk selbst in seiner uralten Verfassung
und seinen angestammten Verhältnissen, der zurückgebliebne Grundstock jener
unruhigen Wanderzügler, nur sprachlich gemodelt, aber uicht hinweggespült
von der slawischen Völkerwelle; ein ethnologischer Petrefakt aus der ante-
diluvianischer historischen Schicht jener ungeheuern Gotcnfürsten, deren An¬
denken fortklingt in den ältesten Liedern und Mythen der Germanen! War
es nicht am Ende dies, was mich so wundersam berührte an der Erscheinung
des Steinalten, riesenhaften Hirten mit den nur an den Spitzen ergrauten
Lvckensträhnen um deu aufrechten Hals, der mit seinem spitzen Bergstabe wie
mit einer Lanze die dichte Menge zerteilte und mit solch heroisch wehmütigen
Lächeln in seine vierte Klasse stieg! Alter Hildebrand, welche Wala hätte es
dir geweissagt, und in welchen Runen stand es geschrieben, nachdem du deinen
geliebten Herrn verlieren und deinen verblendeten Sohn im Zweikampf töten
mußtest, daß du noch einmal würdest vierter Klasse fahren müssen — auf
ein Zoneutarifbillet der Kaschan-Oderberger Bahn!

Die Landschaft an der Waag ist voller Anmut, mit den feinsten idyllischen
Reizen lockend, gelegentlich aber auch durch einen schroffen, kühnen Zug auf¬
schreckend, durch eine» gewaltigen Ausblick erhebend. Auch die Romantik der
Burgruine fehlt uicht. Zu Paaren grüßen sie sich freundlich oder feindlich
auf den Granitkegcln der in der Längsrichtung wie eine der ans ihnen wei¬
denden Rinderherden vorwärtsstrebendeu Bergzüge. „Die waren alle noch
bewohnt in der guten Zeit," bemerkte mein romantischer Viehhändler, als ob
er von gestern spräche. „Viele flohen da hinauf vor dem Türken und seiner


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[0282] Paimoinsche Bilder frieden. Sie wollen nichts weiter als kämpfen und untergehen gegen die elementaren Gewalten, die den Menschen zu bezwingen streben, den Freigebornen der Schöpfung, Auffällig ist die Farblosigkeit der Tracht in diesen Gegenden. Schwarz und weiß, wie das preußische Todesbanuer! Die Frauen tragen lange flat¬ ternde, weiße Leiuenmäntel, die sie nnter dem Halse zusammenbinden, weiße Kopftücher und schwarze Schürzen. Sie sind gar nicht schön, ungleich den Männern, völlig uninteressant. Schon dies könnte uns in der Ansicht be¬ stärken, daß wir es hier nicht mit flammensten Slawen zu thun haben, diesem farbensrohesten, leichtlebigsten, geuußfreudigsteu Menschenschlag mit den liebens¬ würdigen Manieren und den schönen Frauen. Was sind sie eigentlich, diese seltsamen Menschen mit ihrer angelernten, verdorbnen, aus allen slawischen Idiomen zusammengestöppelten Sprache, ihren langen Schädeln mit den wal¬ lenden Hcldeumähueu, den sprechenden Angen und dem bartlosen, zusammen¬ gepreßten Munde? Könnte man nicht an alte Gothen denken, die vor den Zeiten der Völkerwandruug hier saßen, und deren versprengte Neste man an den äußersten Endpunkten ihrer thronstürzendeu und thrvnbcgründeuden Helden¬ züge mit der linguistischen und ethnographischen Laterne mühsam aufspürt? Hier wäre mehr! Vielleicht das alte Volk selbst in seiner uralten Verfassung und seinen angestammten Verhältnissen, der zurückgebliebne Grundstock jener unruhigen Wanderzügler, nur sprachlich gemodelt, aber uicht hinweggespült von der slawischen Völkerwelle; ein ethnologischer Petrefakt aus der ante- diluvianischer historischen Schicht jener ungeheuern Gotcnfürsten, deren An¬ denken fortklingt in den ältesten Liedern und Mythen der Germanen! War es nicht am Ende dies, was mich so wundersam berührte an der Erscheinung des Steinalten, riesenhaften Hirten mit den nur an den Spitzen ergrauten Lvckensträhnen um deu aufrechten Hals, der mit seinem spitzen Bergstabe wie mit einer Lanze die dichte Menge zerteilte und mit solch heroisch wehmütigen Lächeln in seine vierte Klasse stieg! Alter Hildebrand, welche Wala hätte es dir geweissagt, und in welchen Runen stand es geschrieben, nachdem du deinen geliebten Herrn verlieren und deinen verblendeten Sohn im Zweikampf töten mußtest, daß du noch einmal würdest vierter Klasse fahren müssen — auf ein Zoneutarifbillet der Kaschan-Oderberger Bahn! Die Landschaft an der Waag ist voller Anmut, mit den feinsten idyllischen Reizen lockend, gelegentlich aber auch durch einen schroffen, kühnen Zug auf¬ schreckend, durch eine» gewaltigen Ausblick erhebend. Auch die Romantik der Burgruine fehlt uicht. Zu Paaren grüßen sie sich freundlich oder feindlich auf den Granitkegcln der in der Längsrichtung wie eine der ans ihnen wei¬ denden Rinderherden vorwärtsstrebendeu Bergzüge. „Die waren alle noch bewohnt in der guten Zeit," bemerkte mein romantischer Viehhändler, als ob er von gestern spräche. „Viele flohen da hinauf vor dem Türken und seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/282>, abgerufen am 09.01.2025.