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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Bischof Walter

geführt werden, dann werden die ihres Glaubens und ihrer Nationalität ent¬
ledigten Livländer aufhören, Nußland zu sein, was sie gewesen; wirkliche und
gute Russen werden sie nie, an schlechten Russen hat aber das Reich auch
ohne sie keinen Maugel,"

Das Eigentümliche des Verhältnisses zwischen Land und Staat endlich
lag darin, daß sich zwar das Land, d. h, sein Adel und die Bürgerschaft von
Riga, einer beinahe vollkommnen Autonomie erfreuten, daß jedoch der Fort¬
bestand dieser Autonomie ganz allein von der persönlichen Willkür des Kaisers,
dessen Urteil und Entschluß aber von dein Bilde der Wirklichkeit abhing, das
ihm in jedem Falle seine rankevollen Höflinge zu entwerfen für gut befanden.
Daß der Kaiser die Religion jedes seiner Unterthanen zu bestimmen habe, daß
ihm gegen seinen Wunsch auch nicht einmal eine Bitte für gewaltsam be¬
kehrte vorgetragen werden dürfe, daran zweifelt kein russischer Beamter, mag
er auch den Evangelischen noch so wohlwollend gesinnt, mag er auch selbst
evangelisch sein. Auch Walter hat gegen diesen ungeheuerlichen Rechtszustand
kein Wort einzuwenden. Wie sich sein protestantisches Gewissen damit ab¬
gefunden haben mag, kann man aus der Bemerkung seines Biographen schließen:
"Es widerstrebte seiner religiösen Denkweise, leichthin die Meinung zu fassen,
Gott Hütte einen Unwürdigen an eine solche Stelle gesetzt und mit so großer
Macht über die Menschen ausgerüstet." Daß denselben Thron vormals Iwan
der Schreckliche innegehabt hatte, daran mag er bei solchen Erwägungen nicht
gedacht haben. Von Nikolaus versah er sich keiner Ungerechtigkeit, keiner Ge¬
waltthat, keiner Falschheit; was auch Schlimmes unter ihm geschehen mochte,
es war alles nur das Werk ungetreuer Diener. Auch die andre naheliegende
Erwägung scheint ihm nicht ausgestoßen zu sein, was wohl Gottes Fürsorge
für die Besetzung der Throne mit guten Menschen nütze, wenn nicht die Güte
dieser as M-s allmächtigen Gebieter, sondern die Schlechtigkeit der thatsächlich
herrschenden Diener entscheidet.

Im einzelnen haben Walter und seine Freunde so manches erreicht; sie
haben z. V. die theologische Fakultät Dorpat vor der Verkümmerung durch
ein Seminar errettet und eine Menge von der griechischen Kirche beanspruchter
Bauern lvsgebeten. Im ganzen aber unterlag ihre Richtung der erwachten
nationalrussischen Strömung. In seiner letzten LaudtagSpredigt pochte Walter
auf den Protestantismus und die deutsche Nationalität der baltischen Ritter¬
schaft, mahnte sie, in deu Schulen nachzuholen, was in der Germnnisirung des
lettischen Landvolks versäumt worden sei, und rief: "Jedenfalls aber bleibe, neben
den an Kopfzahl so weit überragenden deutschen Bürgern, die Ritter- und Land¬
schaft deutsch, sich dazu kräftigend durch möglichst erneute Berührung mit dem
väterlichen Volksstamme in dessen Heimat." Das brach ihm den Hals. Er ward
beschuldigt, die Ostseeprovinzen zur Losreißung vou Rußland ausgesetzt zu
haben. Kaiser Alexander der Zweite äußerte: "Mich hat in der Predigt


Bischof Walter

geführt werden, dann werden die ihres Glaubens und ihrer Nationalität ent¬
ledigten Livländer aufhören, Nußland zu sein, was sie gewesen; wirkliche und
gute Russen werden sie nie, an schlechten Russen hat aber das Reich auch
ohne sie keinen Maugel,"

Das Eigentümliche des Verhältnisses zwischen Land und Staat endlich
lag darin, daß sich zwar das Land, d. h, sein Adel und die Bürgerschaft von
Riga, einer beinahe vollkommnen Autonomie erfreuten, daß jedoch der Fort¬
bestand dieser Autonomie ganz allein von der persönlichen Willkür des Kaisers,
dessen Urteil und Entschluß aber von dein Bilde der Wirklichkeit abhing, das
ihm in jedem Falle seine rankevollen Höflinge zu entwerfen für gut befanden.
Daß der Kaiser die Religion jedes seiner Unterthanen zu bestimmen habe, daß
ihm gegen seinen Wunsch auch nicht einmal eine Bitte für gewaltsam be¬
kehrte vorgetragen werden dürfe, daran zweifelt kein russischer Beamter, mag
er auch den Evangelischen noch so wohlwollend gesinnt, mag er auch selbst
evangelisch sein. Auch Walter hat gegen diesen ungeheuerlichen Rechtszustand
kein Wort einzuwenden. Wie sich sein protestantisches Gewissen damit ab¬
gefunden haben mag, kann man aus der Bemerkung seines Biographen schließen:
„Es widerstrebte seiner religiösen Denkweise, leichthin die Meinung zu fassen,
Gott Hütte einen Unwürdigen an eine solche Stelle gesetzt und mit so großer
Macht über die Menschen ausgerüstet." Daß denselben Thron vormals Iwan
der Schreckliche innegehabt hatte, daran mag er bei solchen Erwägungen nicht
gedacht haben. Von Nikolaus versah er sich keiner Ungerechtigkeit, keiner Ge¬
waltthat, keiner Falschheit; was auch Schlimmes unter ihm geschehen mochte,
es war alles nur das Werk ungetreuer Diener. Auch die andre naheliegende
Erwägung scheint ihm nicht ausgestoßen zu sein, was wohl Gottes Fürsorge
für die Besetzung der Throne mit guten Menschen nütze, wenn nicht die Güte
dieser as M-s allmächtigen Gebieter, sondern die Schlechtigkeit der thatsächlich
herrschenden Diener entscheidet.

Im einzelnen haben Walter und seine Freunde so manches erreicht; sie
haben z. V. die theologische Fakultät Dorpat vor der Verkümmerung durch
ein Seminar errettet und eine Menge von der griechischen Kirche beanspruchter
Bauern lvsgebeten. Im ganzen aber unterlag ihre Richtung der erwachten
nationalrussischen Strömung. In seiner letzten LaudtagSpredigt pochte Walter
auf den Protestantismus und die deutsche Nationalität der baltischen Ritter¬
schaft, mahnte sie, in deu Schulen nachzuholen, was in der Germnnisirung des
lettischen Landvolks versäumt worden sei, und rief: „Jedenfalls aber bleibe, neben
den an Kopfzahl so weit überragenden deutschen Bürgern, die Ritter- und Land¬
schaft deutsch, sich dazu kräftigend durch möglichst erneute Berührung mit dem
väterlichen Volksstamme in dessen Heimat." Das brach ihm den Hals. Er ward
beschuldigt, die Ostseeprovinzen zur Losreißung vou Rußland ausgesetzt zu
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[0277] Bischof Walter geführt werden, dann werden die ihres Glaubens und ihrer Nationalität ent¬ ledigten Livländer aufhören, Nußland zu sein, was sie gewesen; wirkliche und gute Russen werden sie nie, an schlechten Russen hat aber das Reich auch ohne sie keinen Maugel," Das Eigentümliche des Verhältnisses zwischen Land und Staat endlich lag darin, daß sich zwar das Land, d. h, sein Adel und die Bürgerschaft von Riga, einer beinahe vollkommnen Autonomie erfreuten, daß jedoch der Fort¬ bestand dieser Autonomie ganz allein von der persönlichen Willkür des Kaisers, dessen Urteil und Entschluß aber von dein Bilde der Wirklichkeit abhing, das ihm in jedem Falle seine rankevollen Höflinge zu entwerfen für gut befanden. Daß der Kaiser die Religion jedes seiner Unterthanen zu bestimmen habe, daß ihm gegen seinen Wunsch auch nicht einmal eine Bitte für gewaltsam be¬ kehrte vorgetragen werden dürfe, daran zweifelt kein russischer Beamter, mag er auch den Evangelischen noch so wohlwollend gesinnt, mag er auch selbst evangelisch sein. Auch Walter hat gegen diesen ungeheuerlichen Rechtszustand kein Wort einzuwenden. Wie sich sein protestantisches Gewissen damit ab¬ gefunden haben mag, kann man aus der Bemerkung seines Biographen schließen: „Es widerstrebte seiner religiösen Denkweise, leichthin die Meinung zu fassen, Gott Hütte einen Unwürdigen an eine solche Stelle gesetzt und mit so großer Macht über die Menschen ausgerüstet." Daß denselben Thron vormals Iwan der Schreckliche innegehabt hatte, daran mag er bei solchen Erwägungen nicht gedacht haben. Von Nikolaus versah er sich keiner Ungerechtigkeit, keiner Ge¬ waltthat, keiner Falschheit; was auch Schlimmes unter ihm geschehen mochte, es war alles nur das Werk ungetreuer Diener. Auch die andre naheliegende Erwägung scheint ihm nicht ausgestoßen zu sein, was wohl Gottes Fürsorge für die Besetzung der Throne mit guten Menschen nütze, wenn nicht die Güte dieser as M-s allmächtigen Gebieter, sondern die Schlechtigkeit der thatsächlich herrschenden Diener entscheidet. Im einzelnen haben Walter und seine Freunde so manches erreicht; sie haben z. V. die theologische Fakultät Dorpat vor der Verkümmerung durch ein Seminar errettet und eine Menge von der griechischen Kirche beanspruchter Bauern lvsgebeten. Im ganzen aber unterlag ihre Richtung der erwachten nationalrussischen Strömung. In seiner letzten LaudtagSpredigt pochte Walter auf den Protestantismus und die deutsche Nationalität der baltischen Ritter¬ schaft, mahnte sie, in deu Schulen nachzuholen, was in der Germnnisirung des lettischen Landvolks versäumt worden sei, und rief: „Jedenfalls aber bleibe, neben den an Kopfzahl so weit überragenden deutschen Bürgern, die Ritter- und Land¬ schaft deutsch, sich dazu kräftigend durch möglichst erneute Berührung mit dem väterlichen Volksstamme in dessen Heimat." Das brach ihm den Hals. Er ward beschuldigt, die Ostseeprovinzen zur Losreißung vou Rußland ausgesetzt zu haben. Kaiser Alexander der Zweite äußerte: „Mich hat in der Predigt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/277>, abgerufen am 08.01.2025.