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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Bischof Walter

Adel und Mahnungen an ihn, aus denen man ersieht, daß die berechtigten
Wünsche des Bauernstandes noch lange nicht alle erfüllt waren. Als die oben
erwähnte Vauernbewegung, die schon vor den Hungerjahren begann, vou Adel
und Geistlichkeit für revolutionär erklärt wurde, erwiderten die um Repressiv-
maßregeln angegangnen russischem Beamten achselzuckend: die Unterdrückung der
Bauern durch die Gutsherren habe die Gährung hervorgerufen, und unter diesen
Umständen könne man wohl füglich keine strengen Maßregeln ergreifen. Im
Jahre 1856 gewann die Reaktion gegen die Bestrebungen der liberalen Land¬
tagsmitglieder, die den Bauer vollends auf seine eignen Füße stellen wollten,
noch einmal die Oberhand. "Gott gebe dem Landtage Verstand!" seufzte
Walter, der gerade in dem genannten Jahre zum erstenmale als General¬
superintendent die Ritterschaft anzureden hatte. Die Grabrede auf den Land¬
tagsmarschall von Stein, mit der er seine Amtsthätigkeit eröffnete, versetzte
die Herren in Wut, und die bald darauf folgende erste Landtagspredigt trug
wenig dazu bei, die Stimmung zu verbessern. "Wie darf solcher Pfaff sich
unterstehen, uns belehren zu wollen!" hieß es. In beiden Reden stellt Walter
der ungeheuern und beinahe unbegrenzten Machtfülle, die die Ritterschaft als
Erbe von den Vätern überkommen habe, die daraus bei christlicher Auffassung
sich ergebende Pflichtenlast gegenüber. "Die Zeit ist vorüber, sagt er in der
Landtagspredigt, wo um dieses einen ^des französischen^ Adels willen in einem
große" Teile der zivilisirten Welt der Adel mit Ungebühr, ja als Ungebühr
behandelt ward; und ob es auch noch heute hie und da einen gäbe, der seine
Seligkeit darin sucht, was die Geschichte bereits gerichtet ^hatj, und sich ge¬
berdet, als ob er nur dazu berechtigt sei, das Land zu besitzen, um es zu zer¬
treten, und als ob die Pflichten der Nichtprivilegirten, die Rechte aber der
Nichtsthnenden wären: die Zeit ist vorüber, und es ist unbillig, der Maro¬
deure Treiben dein Heere zuzuschreiben." Und weiterhin heißt es: "Wer das
Land zu besitzen berechtigt ist, ist damit, als Haushalter Gottes, dessen das
Land ist, und des Herrschers, der ihn im Vesitzrechte schützt, verpflichtet, den
Landbesitz dahin zu verwende", wozu das Land da ist, hier also das Land
sowohl, das der Adel seinem ausschließlichen Besitz hat vorbehalten, als mich
das, welches auf des livländischen Adels eignen und wahrhaft edelmütigen
Vorschlag schon vor fünfzig Jahren, und wieder vor sechs Jahren, kaiserliche
Majestät als für den livländischen Bauern bestimmtes Land anerkannt hat,
das seiner Nutznießung gegen jährliche Vergütung übergeben wird, bis ers zu
erblichem Besitze gewonnen. Ohs Hofland heißt, ob Bauerland, ob steuerfrei
öder livländische Adel war absolut steuerfrei^, ob steuerpflichtig, aller Erdboden
ist da, uns daß er seinen Schöpfer lobe. Das thut er nicht, wen" er aus¬
gesogen wird und wüste da liegt. Der Erdboden lobet Gott, wenn er die
möglich reichste Frucht schafft und behagliches Lebe" de" Me"scheuki"dern, für
die er geschaffen ist, daß sie, nicht wie die Einwohner von Haftanstalten eben


Bischof Walter

Adel und Mahnungen an ihn, aus denen man ersieht, daß die berechtigten
Wünsche des Bauernstandes noch lange nicht alle erfüllt waren. Als die oben
erwähnte Vauernbewegung, die schon vor den Hungerjahren begann, vou Adel
und Geistlichkeit für revolutionär erklärt wurde, erwiderten die um Repressiv-
maßregeln angegangnen russischem Beamten achselzuckend: die Unterdrückung der
Bauern durch die Gutsherren habe die Gährung hervorgerufen, und unter diesen
Umständen könne man wohl füglich keine strengen Maßregeln ergreifen. Im
Jahre 1856 gewann die Reaktion gegen die Bestrebungen der liberalen Land¬
tagsmitglieder, die den Bauer vollends auf seine eignen Füße stellen wollten,
noch einmal die Oberhand. „Gott gebe dem Landtage Verstand!" seufzte
Walter, der gerade in dem genannten Jahre zum erstenmale als General¬
superintendent die Ritterschaft anzureden hatte. Die Grabrede auf den Land¬
tagsmarschall von Stein, mit der er seine Amtsthätigkeit eröffnete, versetzte
die Herren in Wut, und die bald darauf folgende erste Landtagspredigt trug
wenig dazu bei, die Stimmung zu verbessern. „Wie darf solcher Pfaff sich
unterstehen, uns belehren zu wollen!" hieß es. In beiden Reden stellt Walter
der ungeheuern und beinahe unbegrenzten Machtfülle, die die Ritterschaft als
Erbe von den Vätern überkommen habe, die daraus bei christlicher Auffassung
sich ergebende Pflichtenlast gegenüber. „Die Zeit ist vorüber, sagt er in der
Landtagspredigt, wo um dieses einen ^des französischen^ Adels willen in einem
große» Teile der zivilisirten Welt der Adel mit Ungebühr, ja als Ungebühr
behandelt ward; und ob es auch noch heute hie und da einen gäbe, der seine
Seligkeit darin sucht, was die Geschichte bereits gerichtet ^hatj, und sich ge¬
berdet, als ob er nur dazu berechtigt sei, das Land zu besitzen, um es zu zer¬
treten, und als ob die Pflichten der Nichtprivilegirten, die Rechte aber der
Nichtsthnenden wären: die Zeit ist vorüber, und es ist unbillig, der Maro¬
deure Treiben dein Heere zuzuschreiben." Und weiterhin heißt es: „Wer das
Land zu besitzen berechtigt ist, ist damit, als Haushalter Gottes, dessen das
Land ist, und des Herrschers, der ihn im Vesitzrechte schützt, verpflichtet, den
Landbesitz dahin zu verwende», wozu das Land da ist, hier also das Land
sowohl, das der Adel seinem ausschließlichen Besitz hat vorbehalten, als mich
das, welches auf des livländischen Adels eignen und wahrhaft edelmütigen
Vorschlag schon vor fünfzig Jahren, und wieder vor sechs Jahren, kaiserliche
Majestät als für den livländischen Bauern bestimmtes Land anerkannt hat,
das seiner Nutznießung gegen jährliche Vergütung übergeben wird, bis ers zu
erblichem Besitze gewonnen. Ohs Hofland heißt, ob Bauerland, ob steuerfrei
öder livländische Adel war absolut steuerfrei^, ob steuerpflichtig, aller Erdboden
ist da, uns daß er seinen Schöpfer lobe. Das thut er nicht, wen» er aus¬
gesogen wird und wüste da liegt. Der Erdboden lobet Gott, wenn er die
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die er geschaffen ist, daß sie, nicht wie die Einwohner von Haftanstalten eben


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[0275] Bischof Walter Adel und Mahnungen an ihn, aus denen man ersieht, daß die berechtigten Wünsche des Bauernstandes noch lange nicht alle erfüllt waren. Als die oben erwähnte Vauernbewegung, die schon vor den Hungerjahren begann, vou Adel und Geistlichkeit für revolutionär erklärt wurde, erwiderten die um Repressiv- maßregeln angegangnen russischem Beamten achselzuckend: die Unterdrückung der Bauern durch die Gutsherren habe die Gährung hervorgerufen, und unter diesen Umständen könne man wohl füglich keine strengen Maßregeln ergreifen. Im Jahre 1856 gewann die Reaktion gegen die Bestrebungen der liberalen Land¬ tagsmitglieder, die den Bauer vollends auf seine eignen Füße stellen wollten, noch einmal die Oberhand. „Gott gebe dem Landtage Verstand!" seufzte Walter, der gerade in dem genannten Jahre zum erstenmale als General¬ superintendent die Ritterschaft anzureden hatte. Die Grabrede auf den Land¬ tagsmarschall von Stein, mit der er seine Amtsthätigkeit eröffnete, versetzte die Herren in Wut, und die bald darauf folgende erste Landtagspredigt trug wenig dazu bei, die Stimmung zu verbessern. „Wie darf solcher Pfaff sich unterstehen, uns belehren zu wollen!" hieß es. In beiden Reden stellt Walter der ungeheuern und beinahe unbegrenzten Machtfülle, die die Ritterschaft als Erbe von den Vätern überkommen habe, die daraus bei christlicher Auffassung sich ergebende Pflichtenlast gegenüber. „Die Zeit ist vorüber, sagt er in der Landtagspredigt, wo um dieses einen ^des französischen^ Adels willen in einem große» Teile der zivilisirten Welt der Adel mit Ungebühr, ja als Ungebühr behandelt ward; und ob es auch noch heute hie und da einen gäbe, der seine Seligkeit darin sucht, was die Geschichte bereits gerichtet ^hatj, und sich ge¬ berdet, als ob er nur dazu berechtigt sei, das Land zu besitzen, um es zu zer¬ treten, und als ob die Pflichten der Nichtprivilegirten, die Rechte aber der Nichtsthnenden wären: die Zeit ist vorüber, und es ist unbillig, der Maro¬ deure Treiben dein Heere zuzuschreiben." Und weiterhin heißt es: „Wer das Land zu besitzen berechtigt ist, ist damit, als Haushalter Gottes, dessen das Land ist, und des Herrschers, der ihn im Vesitzrechte schützt, verpflichtet, den Landbesitz dahin zu verwende», wozu das Land da ist, hier also das Land sowohl, das der Adel seinem ausschließlichen Besitz hat vorbehalten, als mich das, welches auf des livländischen Adels eignen und wahrhaft edelmütigen Vorschlag schon vor fünfzig Jahren, und wieder vor sechs Jahren, kaiserliche Majestät als für den livländischen Bauern bestimmtes Land anerkannt hat, das seiner Nutznießung gegen jährliche Vergütung übergeben wird, bis ers zu erblichem Besitze gewonnen. Ohs Hofland heißt, ob Bauerland, ob steuerfrei öder livländische Adel war absolut steuerfrei^, ob steuerpflichtig, aller Erdboden ist da, uns daß er seinen Schöpfer lobe. Das thut er nicht, wen» er aus¬ gesogen wird und wüste da liegt. Der Erdboden lobet Gott, wenn er die möglich reichste Frucht schafft und behagliches Lebe» de» Me»scheuki»dern, für die er geschaffen ist, daß sie, nicht wie die Einwohner von Haftanstalten eben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/275>, abgerufen am 09.01.2025.