Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Bischof Walter die Schule nicht den kleinsten Teil seiner Sorge in Anspruch. Nachdem er Im Jahre 1842 wurde diese fruchtreiche Thätigkeit durch seine Berufung Im Jahre 1855 mußte er sich für immer von seinem lieben Wolmar Bischof Walter die Schule nicht den kleinsten Teil seiner Sorge in Anspruch. Nachdem er Im Jahre 1842 wurde diese fruchtreiche Thätigkeit durch seine Berufung Im Jahre 1855 mußte er sich für immer von seinem lieben Wolmar <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0270" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212746"/> <fw type="header" place="top"> Bischof Walter</fw><lb/> <p xml:id="ID_875" prev="#ID_874"> die Schule nicht den kleinsten Teil seiner Sorge in Anspruch. Nachdem er<lb/> schon in Neuermühlen, weil sonst niemand die Mittel dazu gab, in seinem<lb/> Hause ans eigne Kosten eine Schule eingerichtet hatte, gründete er in Wolmar<lb/> eine Armenschule für die Kinder der im Lande zerstreut lebenden Deutschen<lb/> und in seinem Hause eine Koufirmnndenanstalt, die, wie vormals die Katecheten¬<lb/> schule zu Alexandria, den Charakter einer christlichen Akademie annahm. End¬<lb/> lich machte er sich durch Gründung eines Lehrerseminars um das Volksschul-<lb/> wesen von ganz Livland verdient. Sehr energisch bekämpfte er die Herrnhuter<lb/> als Zerstörer des Gemeindelebens, obwohl er ihre guten Seiten rückhaltlos<lb/> anerkannte.</p><lb/> <p xml:id="ID_876"> Im Jahre 1842 wurde diese fruchtreiche Thätigkeit durch seine Berufung<lb/> ins Generalkonsistvrium unterbrochen, die ihn zwar nicht zur Niederlegung<lb/> seines Pfarramts, aber zu mehrjährigem Aufenthalt in Riga und zu öfter»<lb/> Reisen nach Petersburg zwang. Die aufreibenden Kämpfe, die diese Stellung<lb/> mit sich brachte, erschütterten seine Gesundheit und nötigten ihn 1849 zur Kur<lb/> in Karlsbad. Hier wurde er aus dem Inkognito, »vorauf er sich gefreut hatte,<lb/> sehr bald herausgetrieben, zum Mittelpunkt der vornehmen Gesellschaft und<lb/> Vertreter der evangelischen Interessen gepreßt; die evangelischen Kurgäste Karls¬<lb/> bads verdanken ihm die Kirche, deren sie sich jetzt erfreuen. Aus seinen hübschen<lb/> Neiseaufzeichuungen wollen wir nur zwei Stellen mitteilen. Aus Karlsbad<lb/> schreibt er einmal: „Das ist doch eine sonderbare Sache um die hiesige Bil¬<lb/> dung. Die Dienstmädchen werden Fräulein genannt oder Sie, wenn man von<lb/> ihnen etwas verlangt, und doch bedienen sie mit einer Aufmerksamkeit, wie<lb/> man sie nur wünschen kann, und tragen Wasser und andre Lasten auf dem<lb/> Rücken, wie bei uns keinem Manne darf zugemutet werden. Die Frau und<lb/> Tochter des Joseph Wagner, meines Wirten, sind immer ganz einfach gekleidet,<lb/> obwohl er ein paar dreistöckige Häuser besitzt; sie leben sehr einfach, essen sehr<lb/> gut, ob sie auch mit den Fingern den Braten zerlegen helfen, greifen selbst<lb/> gleich an, wenn Bedienung nötig ist und die Magd nicht zur Hand ist — und<lb/> doch spielt die eben von der gröbsten Arbeit in der Küche kommende Tochter<lb/> so sKlaviers, daß alle Musikfreunde, die hierher kommen, sie besuchen und mit<lb/> ihr so freundlich und herzlich thun, wie mit einer Virtuosin von Ruf. Das<lb/> aber ist sie auch." Ju der sächsischen Schweiz sodann ärgert er sich darüber,<lb/> daß sie an den schönsten Stellen angefangen haben, Sandstein zu brechen, und<lb/> schreibt die wirklich weisheitsvollen Worte nieder: „Das unselige jetzige Nütz-<lb/> lichkeitsprinzip ist prinzipiell unnütz; und wenn die Regierungen, wie hier,<lb/> selbst vorangehen in solcher Verletzung der Pietät gegen schöne Ansichten, die<lb/> nun schon ein paar Jahrhunderte vom Vater auf den Sohn als ein Heiligtum<lb/> Deutschlands empfohlen wurden, wie mögen sie sich wundern, wenn das Volk<lb/> es auch so macht und auch für nichts mehr Pietät bewahrt."</p><lb/> <p xml:id="ID_877" next="#ID_878"> Im Jahre 1855 mußte er sich für immer von seinem lieben Wolmar</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0270]
Bischof Walter
die Schule nicht den kleinsten Teil seiner Sorge in Anspruch. Nachdem er
schon in Neuermühlen, weil sonst niemand die Mittel dazu gab, in seinem
Hause ans eigne Kosten eine Schule eingerichtet hatte, gründete er in Wolmar
eine Armenschule für die Kinder der im Lande zerstreut lebenden Deutschen
und in seinem Hause eine Koufirmnndenanstalt, die, wie vormals die Katecheten¬
schule zu Alexandria, den Charakter einer christlichen Akademie annahm. End¬
lich machte er sich durch Gründung eines Lehrerseminars um das Volksschul-
wesen von ganz Livland verdient. Sehr energisch bekämpfte er die Herrnhuter
als Zerstörer des Gemeindelebens, obwohl er ihre guten Seiten rückhaltlos
anerkannte.
Im Jahre 1842 wurde diese fruchtreiche Thätigkeit durch seine Berufung
ins Generalkonsistvrium unterbrochen, die ihn zwar nicht zur Niederlegung
seines Pfarramts, aber zu mehrjährigem Aufenthalt in Riga und zu öfter»
Reisen nach Petersburg zwang. Die aufreibenden Kämpfe, die diese Stellung
mit sich brachte, erschütterten seine Gesundheit und nötigten ihn 1849 zur Kur
in Karlsbad. Hier wurde er aus dem Inkognito, »vorauf er sich gefreut hatte,
sehr bald herausgetrieben, zum Mittelpunkt der vornehmen Gesellschaft und
Vertreter der evangelischen Interessen gepreßt; die evangelischen Kurgäste Karls¬
bads verdanken ihm die Kirche, deren sie sich jetzt erfreuen. Aus seinen hübschen
Neiseaufzeichuungen wollen wir nur zwei Stellen mitteilen. Aus Karlsbad
schreibt er einmal: „Das ist doch eine sonderbare Sache um die hiesige Bil¬
dung. Die Dienstmädchen werden Fräulein genannt oder Sie, wenn man von
ihnen etwas verlangt, und doch bedienen sie mit einer Aufmerksamkeit, wie
man sie nur wünschen kann, und tragen Wasser und andre Lasten auf dem
Rücken, wie bei uns keinem Manne darf zugemutet werden. Die Frau und
Tochter des Joseph Wagner, meines Wirten, sind immer ganz einfach gekleidet,
obwohl er ein paar dreistöckige Häuser besitzt; sie leben sehr einfach, essen sehr
gut, ob sie auch mit den Fingern den Braten zerlegen helfen, greifen selbst
gleich an, wenn Bedienung nötig ist und die Magd nicht zur Hand ist — und
doch spielt die eben von der gröbsten Arbeit in der Küche kommende Tochter
so sKlaviers, daß alle Musikfreunde, die hierher kommen, sie besuchen und mit
ihr so freundlich und herzlich thun, wie mit einer Virtuosin von Ruf. Das
aber ist sie auch." Ju der sächsischen Schweiz sodann ärgert er sich darüber,
daß sie an den schönsten Stellen angefangen haben, Sandstein zu brechen, und
schreibt die wirklich weisheitsvollen Worte nieder: „Das unselige jetzige Nütz-
lichkeitsprinzip ist prinzipiell unnütz; und wenn die Regierungen, wie hier,
selbst vorangehen in solcher Verletzung der Pietät gegen schöne Ansichten, die
nun schon ein paar Jahrhunderte vom Vater auf den Sohn als ein Heiligtum
Deutschlands empfohlen wurden, wie mögen sie sich wundern, wenn das Volk
es auch so macht und auch für nichts mehr Pietät bewahrt."
Im Jahre 1855 mußte er sich für immer von seinem lieben Wolmar
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