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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Lenin Pascha und die deutsche Rolomaipolitik

uuglimpfungen gegenüber, die das Beginnen Emins hat über sich ergehen
lassen müssen, scheuen wir uns nicht, offen eine abweichende Meinung auszu¬
sprechen, und wollen nun abwarten, wem die Zukunft Recht geben wird. Aber
wie auch die Beurteilung der Ereignisse schließlich ausfallen mag, Emins
Charakter und Intelligenz scheint uns durch nichts in ein schlechteres Licht
gerückt zu werden, und nichts nötigt zu der Annahme, daß etwa "nicht alles
gesund" in Emin Pascha gewesen sei, eilige Worte, die dem Reichskanzler
von Caprivi in einer Erwiderung auf eine feine kolonialfeindliche Äußerung
Herrn Ludwig Bambergers entschlüpften. Aber ganz abgesehen von dem Werte
oder der Wertlosigkeit des Abstechers nach Norden, den sich Emin mit einigem
Recht erlaubte, ohne daß damit zukünftige Grenzüberschreitungen, wenn hier
überhaupt eine stattgefunden hat, für entschuldigt ausgegeben werden sollen,
hat die Expedition verschiedne nicht unwichtige Ergebnisse gehabt. Bei dem
für uns Deutsche in mancher Hinsicht so ungünstigen englisch-deutschen Ab¬
kommen von 1890 wurde, Wohl auf Betrieb Stanleys, der auf seiner soge¬
nannten Emiubefreiungstour mit dem Bantustaat Aukori, zu dem der Staat
Mpöroro in einer Art Abhängigkeitsverhältnis stand, Verträge abgeschlossen
hatte, ein "Berg Mfumbiro," auch wenn er südlich von dem ersten Parallel¬
kreis südlicher Breite liegen sollte, den Engländern zugesprochen. Niemand
hatte bis dahin den Berg berührt oder bestiegen; er war nur von mehreren
Reisenden in weiter Ferne gesehen worden. Niemand konnte auch sagen, ob
er zu Mpöroro gehöre, ob der Name Mfumbiro irgend ein richtiger Name
sei, ob es nur ein Berg, ein Gebirge oder eine Bergkette sei. Wie viel oder
wie wenig Deutschland bei einer spätern Grenzrcgelung abzutreten hätte, wußte
niemand. Obwohl nun Emin und Stuhlmann den Berg Mfumbiro -- denn
es ist uur ein Berg -- ebenfalls nur aus einer gewissen Entfernung zu Ge¬
sichte bekommen haben, so konnten doch ziemlich ausführliche Nachrichten über
den Berg selbst und seine Umgebung eingezogen werden. Darnach bedeutet
Mfumbiro soviel wie Koch, und die Waganda und die Leute von Karagwe
nennen so den östlichsten und ersten Kegelberg in einer Reihe vou sechs Vul¬
kanen, von denen einer, der westlichste oder sechste, noch heute thätig sein soll.
Nach Stuhlmnnns Peilungen liegen diese Vulkane zwischen 1° 20' und t" 30'
südlicher Breite, sodaß also das englische Gebiet vielleicht der Länge nach
zwischen siebenunddreißig und fünfundfünfzig Kilometer in das deutsche ein-
schritte, wenn nicht der Kongostaat bessere Rechte als Großbritannien geltend zu
machen haben sollte, da nach Stuhlmanu sämtliche sechs Vulkane wahrscheinlich
im Westen jenseits des 30. Grades östlicher Länge liegen. Niemand hat bei
Abschluß des englisch-deutschen Abkommens an diese Möglichkeit gedacht, sodaß
sich späterhin unter Umständen eine mehr oder weniger internationale Ab¬
machung als erforderlich herausstellen konnte, wobei in Bezug auf deu Kongo¬
staat die Frage, ob die fließenden Gewässer in diesen Gegenden zum Nil oder


Lenin Pascha und die deutsche Rolomaipolitik

uuglimpfungen gegenüber, die das Beginnen Emins hat über sich ergehen
lassen müssen, scheuen wir uns nicht, offen eine abweichende Meinung auszu¬
sprechen, und wollen nun abwarten, wem die Zukunft Recht geben wird. Aber
wie auch die Beurteilung der Ereignisse schließlich ausfallen mag, Emins
Charakter und Intelligenz scheint uns durch nichts in ein schlechteres Licht
gerückt zu werden, und nichts nötigt zu der Annahme, daß etwa „nicht alles
gesund" in Emin Pascha gewesen sei, eilige Worte, die dem Reichskanzler
von Caprivi in einer Erwiderung auf eine feine kolonialfeindliche Äußerung
Herrn Ludwig Bambergers entschlüpften. Aber ganz abgesehen von dem Werte
oder der Wertlosigkeit des Abstechers nach Norden, den sich Emin mit einigem
Recht erlaubte, ohne daß damit zukünftige Grenzüberschreitungen, wenn hier
überhaupt eine stattgefunden hat, für entschuldigt ausgegeben werden sollen,
hat die Expedition verschiedne nicht unwichtige Ergebnisse gehabt. Bei dem
für uns Deutsche in mancher Hinsicht so ungünstigen englisch-deutschen Ab¬
kommen von 1890 wurde, Wohl auf Betrieb Stanleys, der auf seiner soge¬
nannten Emiubefreiungstour mit dem Bantustaat Aukori, zu dem der Staat
Mpöroro in einer Art Abhängigkeitsverhältnis stand, Verträge abgeschlossen
hatte, ein „Berg Mfumbiro," auch wenn er südlich von dem ersten Parallel¬
kreis südlicher Breite liegen sollte, den Engländern zugesprochen. Niemand
hatte bis dahin den Berg berührt oder bestiegen; er war nur von mehreren
Reisenden in weiter Ferne gesehen worden. Niemand konnte auch sagen, ob
er zu Mpöroro gehöre, ob der Name Mfumbiro irgend ein richtiger Name
sei, ob es nur ein Berg, ein Gebirge oder eine Bergkette sei. Wie viel oder
wie wenig Deutschland bei einer spätern Grenzrcgelung abzutreten hätte, wußte
niemand. Obwohl nun Emin und Stuhlmann den Berg Mfumbiro — denn
es ist uur ein Berg — ebenfalls nur aus einer gewissen Entfernung zu Ge¬
sichte bekommen haben, so konnten doch ziemlich ausführliche Nachrichten über
den Berg selbst und seine Umgebung eingezogen werden. Darnach bedeutet
Mfumbiro soviel wie Koch, und die Waganda und die Leute von Karagwe
nennen so den östlichsten und ersten Kegelberg in einer Reihe vou sechs Vul¬
kanen, von denen einer, der westlichste oder sechste, noch heute thätig sein soll.
Nach Stuhlmnnns Peilungen liegen diese Vulkane zwischen 1° 20' und t» 30'
südlicher Breite, sodaß also das englische Gebiet vielleicht der Länge nach
zwischen siebenunddreißig und fünfundfünfzig Kilometer in das deutsche ein-
schritte, wenn nicht der Kongostaat bessere Rechte als Großbritannien geltend zu
machen haben sollte, da nach Stuhlmanu sämtliche sechs Vulkane wahrscheinlich
im Westen jenseits des 30. Grades östlicher Länge liegen. Niemand hat bei
Abschluß des englisch-deutschen Abkommens an diese Möglichkeit gedacht, sodaß
sich späterhin unter Umständen eine mehr oder weniger internationale Ab¬
machung als erforderlich herausstellen konnte, wobei in Bezug auf deu Kongo¬
staat die Frage, ob die fließenden Gewässer in diesen Gegenden zum Nil oder


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[0253] Lenin Pascha und die deutsche Rolomaipolitik uuglimpfungen gegenüber, die das Beginnen Emins hat über sich ergehen lassen müssen, scheuen wir uns nicht, offen eine abweichende Meinung auszu¬ sprechen, und wollen nun abwarten, wem die Zukunft Recht geben wird. Aber wie auch die Beurteilung der Ereignisse schließlich ausfallen mag, Emins Charakter und Intelligenz scheint uns durch nichts in ein schlechteres Licht gerückt zu werden, und nichts nötigt zu der Annahme, daß etwa „nicht alles gesund" in Emin Pascha gewesen sei, eilige Worte, die dem Reichskanzler von Caprivi in einer Erwiderung auf eine feine kolonialfeindliche Äußerung Herrn Ludwig Bambergers entschlüpften. Aber ganz abgesehen von dem Werte oder der Wertlosigkeit des Abstechers nach Norden, den sich Emin mit einigem Recht erlaubte, ohne daß damit zukünftige Grenzüberschreitungen, wenn hier überhaupt eine stattgefunden hat, für entschuldigt ausgegeben werden sollen, hat die Expedition verschiedne nicht unwichtige Ergebnisse gehabt. Bei dem für uns Deutsche in mancher Hinsicht so ungünstigen englisch-deutschen Ab¬ kommen von 1890 wurde, Wohl auf Betrieb Stanleys, der auf seiner soge¬ nannten Emiubefreiungstour mit dem Bantustaat Aukori, zu dem der Staat Mpöroro in einer Art Abhängigkeitsverhältnis stand, Verträge abgeschlossen hatte, ein „Berg Mfumbiro," auch wenn er südlich von dem ersten Parallel¬ kreis südlicher Breite liegen sollte, den Engländern zugesprochen. Niemand hatte bis dahin den Berg berührt oder bestiegen; er war nur von mehreren Reisenden in weiter Ferne gesehen worden. Niemand konnte auch sagen, ob er zu Mpöroro gehöre, ob der Name Mfumbiro irgend ein richtiger Name sei, ob es nur ein Berg, ein Gebirge oder eine Bergkette sei. Wie viel oder wie wenig Deutschland bei einer spätern Grenzrcgelung abzutreten hätte, wußte niemand. Obwohl nun Emin und Stuhlmann den Berg Mfumbiro — denn es ist uur ein Berg — ebenfalls nur aus einer gewissen Entfernung zu Ge¬ sichte bekommen haben, so konnten doch ziemlich ausführliche Nachrichten über den Berg selbst und seine Umgebung eingezogen werden. Darnach bedeutet Mfumbiro soviel wie Koch, und die Waganda und die Leute von Karagwe nennen so den östlichsten und ersten Kegelberg in einer Reihe vou sechs Vul¬ kanen, von denen einer, der westlichste oder sechste, noch heute thätig sein soll. Nach Stuhlmnnns Peilungen liegen diese Vulkane zwischen 1° 20' und t» 30' südlicher Breite, sodaß also das englische Gebiet vielleicht der Länge nach zwischen siebenunddreißig und fünfundfünfzig Kilometer in das deutsche ein- schritte, wenn nicht der Kongostaat bessere Rechte als Großbritannien geltend zu machen haben sollte, da nach Stuhlmanu sämtliche sechs Vulkane wahrscheinlich im Westen jenseits des 30. Grades östlicher Länge liegen. Niemand hat bei Abschluß des englisch-deutschen Abkommens an diese Möglichkeit gedacht, sodaß sich späterhin unter Umständen eine mehr oder weniger internationale Ab¬ machung als erforderlich herausstellen konnte, wobei in Bezug auf deu Kongo¬ staat die Frage, ob die fließenden Gewässer in diesen Gegenden zum Nil oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/253>, abgerufen am 09.01.2025.