Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Tuiskoland alles, was er berührt, in Gold zu verwandeln, scheinen alle auf den indo¬ Auch Rotkäppchen und der Däumling werden an den Himmel versetzt. Das Spiel der Volksphantasie in den Mythen und Sagen zu verfolgen, Viererlei glauben wir ohne alle prähistorische Gelehrsamkeit mit voller Tuiskoland alles, was er berührt, in Gold zu verwandeln, scheinen alle auf den indo¬ Auch Rotkäppchen und der Däumling werden an den Himmel versetzt. Das Spiel der Volksphantasie in den Mythen und Sagen zu verfolgen, Viererlei glauben wir ohne alle prähistorische Gelehrsamkeit mit voller <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0229" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212705"/> <fw type="header" place="top"> Tuiskoland</fw><lb/> <p xml:id="ID_744" prev="#ID_743"> alles, was er berührt, in Gold zu verwandeln, scheinen alle auf den indo¬<lb/> germanischen Mythus zurückzugehen, daß der Feuergott die Sonnenjnngfran<lb/> in Gestalt einer umschattenden eselsgrauen Wolke umarmen wollte, wobei aber<lb/> die goldnen Ohren des Midas (im mongolischen Märchen), d. h. die goldnen<lb/> Spitzen und Ränder der Wolke, den Verräter abgeben."</p><lb/> <p xml:id="ID_745"> Auch Rotkäppchen und der Däumling werden an den Himmel versetzt.<lb/> Das vom Wols gesreßne Rotkäppchen bedeutet die verfinsterte Sonne, und<lb/> Däumling ist der kleine Stern, der auf dem mittelsten Stern der Deichsel des<lb/> großen Himmelswagens oder auf dem mittelsten Zugtier reitet. Der Not-<lb/> käppchensage schreibt der Verfasser ein Alter von fünftausend, der Däumlings¬<lb/> geschichte eines von dreitausend Jahren zu. Und damit wir Nordländer ja<lb/> keines Ruhms ermangeln, muß auch der Priapkultus von uns herstammen.<lb/> Allerdings bemerkt der Verfasser mit den Worten Rudbecks, dieser Kult sei im<lb/> Norden ein „höchst ehrbarer" gewesen; er sei aber auch hier von den Frauen<lb/> besorgt worden, „für die sich an den Gedanken der Unfruchtbarkeit die höchste<lb/> Verachtung knüpfte."</p><lb/> <p xml:id="ID_746"> Das Spiel der Volksphantasie in den Mythen und Sagen zu verfolgen,<lb/> gehört zu den angenehmsten Beschäftigungen und ist auch nicht ohne Nutzen,<lb/> sofern sich ja in der verschiednen Gestaltung desselben Sagenstoffs, an ver-<lb/> schiednen Orten und zu verschiednen Zeiten die verschiednen Volkscharaktere<lb/> und Kulturzustüude wiederspiegeln. Aber zur sichern Beantwortung prähisto¬<lb/> rischer Fragen wird dieses Studium so wenig wie irgend ein andres führen,<lb/> weil eben von den Dingen, die sich vor aller Geschichte ereignet haben, irgend¬<lb/> welche historisch zuverlässige Kunde schlechterdings nicht zu erlangen ist. Und<lb/> bei der Frage, die Krause zu beantworten unternommen hat, waltet noch dazu<lb/> der eigentümliche Umstand ob, daß wir noch gar nicht einmal wissen, was sie<lb/> für einen Sinn hat. Was soll das heißen: Urheimat der Arier? Das Land,<lb/> in dem die Arier auf Eschenbäumen gewachsen, oder von Gott erschaffen worden<lb/> sind, oder sich aus Menschen andrer Nasse oder aus Tieren entwickelt haben?</p><lb/> <p xml:id="ID_747" next="#ID_748"> Viererlei glauben wir ohne alle prähistorische Gelehrsamkeit mit voller<lb/> Klarheit zu erkennen und ganz bestimmt zu wissen. 1. Daß es edle und un¬<lb/> edle Menschenrassen giebt- 2. Daß die Arier unter den edeln Rassen die edelste<lb/> sind. 3. Daß diese Nasse die Fülle ihrer körperlichen Vorzüge nur in einem<lb/> solchen Lande erwerben oder wenigstens bewahren konnte, das einen ordentlichen,<lb/> erfrischenden Winter hat, und solche Länder giebts in Hochasien auch. 4. Daß<lb/> sich die Fülle ihrer geistigen Vorzüge uur in Europa entfalten konnte. Aber<lb/> über ihren Ursprungsort vermag schon darum keine Wissenschaft Auskunft zu<lb/> geben, weil nicht einmal der Begriff des Ursprungs oder der Entstehung fest¬<lb/> steht und wissenschaftlich auch gar nicht festgestellt werden kann. Man bekennt<lb/> sich entweder zum Schöpfungswunder oder zur Darwinischen Hypothese. Im<lb/> ersten Falle ist als zweites Wunder die Verzweigung der Nachkommen des</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0229]
Tuiskoland
alles, was er berührt, in Gold zu verwandeln, scheinen alle auf den indo¬
germanischen Mythus zurückzugehen, daß der Feuergott die Sonnenjnngfran
in Gestalt einer umschattenden eselsgrauen Wolke umarmen wollte, wobei aber
die goldnen Ohren des Midas (im mongolischen Märchen), d. h. die goldnen
Spitzen und Ränder der Wolke, den Verräter abgeben."
Auch Rotkäppchen und der Däumling werden an den Himmel versetzt.
Das vom Wols gesreßne Rotkäppchen bedeutet die verfinsterte Sonne, und
Däumling ist der kleine Stern, der auf dem mittelsten Stern der Deichsel des
großen Himmelswagens oder auf dem mittelsten Zugtier reitet. Der Not-
käppchensage schreibt der Verfasser ein Alter von fünftausend, der Däumlings¬
geschichte eines von dreitausend Jahren zu. Und damit wir Nordländer ja
keines Ruhms ermangeln, muß auch der Priapkultus von uns herstammen.
Allerdings bemerkt der Verfasser mit den Worten Rudbecks, dieser Kult sei im
Norden ein „höchst ehrbarer" gewesen; er sei aber auch hier von den Frauen
besorgt worden, „für die sich an den Gedanken der Unfruchtbarkeit die höchste
Verachtung knüpfte."
Das Spiel der Volksphantasie in den Mythen und Sagen zu verfolgen,
gehört zu den angenehmsten Beschäftigungen und ist auch nicht ohne Nutzen,
sofern sich ja in der verschiednen Gestaltung desselben Sagenstoffs, an ver-
schiednen Orten und zu verschiednen Zeiten die verschiednen Volkscharaktere
und Kulturzustüude wiederspiegeln. Aber zur sichern Beantwortung prähisto¬
rischer Fragen wird dieses Studium so wenig wie irgend ein andres führen,
weil eben von den Dingen, die sich vor aller Geschichte ereignet haben, irgend¬
welche historisch zuverlässige Kunde schlechterdings nicht zu erlangen ist. Und
bei der Frage, die Krause zu beantworten unternommen hat, waltet noch dazu
der eigentümliche Umstand ob, daß wir noch gar nicht einmal wissen, was sie
für einen Sinn hat. Was soll das heißen: Urheimat der Arier? Das Land,
in dem die Arier auf Eschenbäumen gewachsen, oder von Gott erschaffen worden
sind, oder sich aus Menschen andrer Nasse oder aus Tieren entwickelt haben?
Viererlei glauben wir ohne alle prähistorische Gelehrsamkeit mit voller
Klarheit zu erkennen und ganz bestimmt zu wissen. 1. Daß es edle und un¬
edle Menschenrassen giebt- 2. Daß die Arier unter den edeln Rassen die edelste
sind. 3. Daß diese Nasse die Fülle ihrer körperlichen Vorzüge nur in einem
solchen Lande erwerben oder wenigstens bewahren konnte, das einen ordentlichen,
erfrischenden Winter hat, und solche Länder giebts in Hochasien auch. 4. Daß
sich die Fülle ihrer geistigen Vorzüge uur in Europa entfalten konnte. Aber
über ihren Ursprungsort vermag schon darum keine Wissenschaft Auskunft zu
geben, weil nicht einmal der Begriff des Ursprungs oder der Entstehung fest¬
steht und wissenschaftlich auch gar nicht festgestellt werden kann. Man bekennt
sich entweder zum Schöpfungswunder oder zur Darwinischen Hypothese. Im
ersten Falle ist als zweites Wunder die Verzweigung der Nachkommen des
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