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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Selbstverständlich, rief der Pfarrer, und Speckkuchen möchten wir hente
haben, echten Leipziger Speckkuchen!

Als die Magd verschwunden war, fuhr der Pfarrer fort: Ja, anfangs
dachte ich wohl an schnelle Flucht, noch ehe mich der Professor erkannt hätte.
Aber ich bemerkte bald, daß er gar nicht in der Verfassung war, mich zu
erkennen. Der unglückselige "Schillerrezitator," den er auf dem Feste gehört
hatte, beschäftigte ihn dermaßen, daß er aus seinem Bannkreise nicht heraus¬
kam und sich allmählich, während er an meinem Arme vorwärts stolperte, in
eine wahre Wut auf den Menschen hineintobte.

Ich wußte zwar nicht recht, um was es sich handelte, hütete mich aber
vor Widerspruch und schimpfte zu seiner Befriedigung wacker mit. Nachdem
wir ungefähr zwanzigmal stehen geblieben waren, hatte ich ihn glücklich über
den Augustusplatz. Auf seine Vorträge konnte ich dabei wenig Acht geben,
denn meine ganze Kraft und Aufmerksamkeit war völlig dadurch in Anspruch
genommen, die gerade Linie soviel wie möglich einzuhalten. Nur eine Stelle
seiner ästhetischen Irrgänge, die sich auf den Taucher bezog, ist mir in der
Erinnerung geblieben. Der Mensch hat ja keine Ahnung davon, rief er aus,
als wir über die Promenade wankten, daß der Hofstaat da oben auf der
Klippe ein ordentliches Weingelage abgehalten hat! Alle die Männer umher
und Frauen, der Knappen zagender Chor und die liebliche Tochter mit weichem
Gefühl sind in sentimentaler Weinlaune. Nur der König ist seiner Würde
gemäß bezecht, und da läßt ihn der Rezitator reden wie König Philipp und
den Edelknecht wie Marquis Posn! El" jämmerlicher Kerl, dieser Schiller¬
rezitator !

Die frische Luft wirkte auf den Professor wie Gift; die dreitägige Feier
schien alle seine Kräfte aufgezehrt zu haben, vielleicht war es auch der Schiller-
champaguer. Er klappte immer mehr zusammen, und ich war froh, als ich
ihn glücklich in die Querstraße hinciugesteuert hatte. Dort bewohnte er allein
mit seiner Tochter ein kleines Gartenhaus.

Ich klopfte an die Thür. Sie wurde vorsichtig geöffnet, und ich schob
den Professor langsam dnrch die Thürspalte. Dann hörte ich einen Aufschrei
und eine angstvoll jammernde Stimme. Ich blickte in den Vorsaal und sah
ein junges, etwa sechzehnjähriges Mädchen mit einer Lampe in der Hand rat-
und hilflos vor der geknickten Gestalt des Professors stehn, der sich mit dem
Chlinder auf dem linken Ohr gegen die Wand gelehnt hatte und im Anblick
seiner Tochter vergeblich versuchte, Herr der Situation zu werden.

Ach Gott, rief sie schluchzend, Bater, lieber Vater, was ist dir denn?
Dann stellte sie die Lampe weg und lief händeringend und weinend hin und her.

Ich muß sagen, daß mich diese Szene, so komisch sie war, doch etwas
ergriff. Ich trat entschlossen ein, stellte mich dem armen, in ihrem Schmerze
doppelt entzückenden Mädchen vor und suchte es mit einer Flut von Redens-


Selbstverständlich, rief der Pfarrer, und Speckkuchen möchten wir hente
haben, echten Leipziger Speckkuchen!

Als die Magd verschwunden war, fuhr der Pfarrer fort: Ja, anfangs
dachte ich wohl an schnelle Flucht, noch ehe mich der Professor erkannt hätte.
Aber ich bemerkte bald, daß er gar nicht in der Verfassung war, mich zu
erkennen. Der unglückselige „Schillerrezitator," den er auf dem Feste gehört
hatte, beschäftigte ihn dermaßen, daß er aus seinem Bannkreise nicht heraus¬
kam und sich allmählich, während er an meinem Arme vorwärts stolperte, in
eine wahre Wut auf den Menschen hineintobte.

Ich wußte zwar nicht recht, um was es sich handelte, hütete mich aber
vor Widerspruch und schimpfte zu seiner Befriedigung wacker mit. Nachdem
wir ungefähr zwanzigmal stehen geblieben waren, hatte ich ihn glücklich über
den Augustusplatz. Auf seine Vorträge konnte ich dabei wenig Acht geben,
denn meine ganze Kraft und Aufmerksamkeit war völlig dadurch in Anspruch
genommen, die gerade Linie soviel wie möglich einzuhalten. Nur eine Stelle
seiner ästhetischen Irrgänge, die sich auf den Taucher bezog, ist mir in der
Erinnerung geblieben. Der Mensch hat ja keine Ahnung davon, rief er aus,
als wir über die Promenade wankten, daß der Hofstaat da oben auf der
Klippe ein ordentliches Weingelage abgehalten hat! Alle die Männer umher
und Frauen, der Knappen zagender Chor und die liebliche Tochter mit weichem
Gefühl sind in sentimentaler Weinlaune. Nur der König ist seiner Würde
gemäß bezecht, und da läßt ihn der Rezitator reden wie König Philipp und
den Edelknecht wie Marquis Posn! El» jämmerlicher Kerl, dieser Schiller¬
rezitator !

Die frische Luft wirkte auf den Professor wie Gift; die dreitägige Feier
schien alle seine Kräfte aufgezehrt zu haben, vielleicht war es auch der Schiller-
champaguer. Er klappte immer mehr zusammen, und ich war froh, als ich
ihn glücklich in die Querstraße hinciugesteuert hatte. Dort bewohnte er allein
mit seiner Tochter ein kleines Gartenhaus.

Ich klopfte an die Thür. Sie wurde vorsichtig geöffnet, und ich schob
den Professor langsam dnrch die Thürspalte. Dann hörte ich einen Aufschrei
und eine angstvoll jammernde Stimme. Ich blickte in den Vorsaal und sah
ein junges, etwa sechzehnjähriges Mädchen mit einer Lampe in der Hand rat-
und hilflos vor der geknickten Gestalt des Professors stehn, der sich mit dem
Chlinder auf dem linken Ohr gegen die Wand gelehnt hatte und im Anblick
seiner Tochter vergeblich versuchte, Herr der Situation zu werden.

Ach Gott, rief sie schluchzend, Bater, lieber Vater, was ist dir denn?
Dann stellte sie die Lampe weg und lief händeringend und weinend hin und her.

Ich muß sagen, daß mich diese Szene, so komisch sie war, doch etwas
ergriff. Ich trat entschlossen ein, stellte mich dem armen, in ihrem Schmerze
doppelt entzückenden Mädchen vor und suchte es mit einer Flut von Redens-


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[0142] Selbstverständlich, rief der Pfarrer, und Speckkuchen möchten wir hente haben, echten Leipziger Speckkuchen! Als die Magd verschwunden war, fuhr der Pfarrer fort: Ja, anfangs dachte ich wohl an schnelle Flucht, noch ehe mich der Professor erkannt hätte. Aber ich bemerkte bald, daß er gar nicht in der Verfassung war, mich zu erkennen. Der unglückselige „Schillerrezitator," den er auf dem Feste gehört hatte, beschäftigte ihn dermaßen, daß er aus seinem Bannkreise nicht heraus¬ kam und sich allmählich, während er an meinem Arme vorwärts stolperte, in eine wahre Wut auf den Menschen hineintobte. Ich wußte zwar nicht recht, um was es sich handelte, hütete mich aber vor Widerspruch und schimpfte zu seiner Befriedigung wacker mit. Nachdem wir ungefähr zwanzigmal stehen geblieben waren, hatte ich ihn glücklich über den Augustusplatz. Auf seine Vorträge konnte ich dabei wenig Acht geben, denn meine ganze Kraft und Aufmerksamkeit war völlig dadurch in Anspruch genommen, die gerade Linie soviel wie möglich einzuhalten. Nur eine Stelle seiner ästhetischen Irrgänge, die sich auf den Taucher bezog, ist mir in der Erinnerung geblieben. Der Mensch hat ja keine Ahnung davon, rief er aus, als wir über die Promenade wankten, daß der Hofstaat da oben auf der Klippe ein ordentliches Weingelage abgehalten hat! Alle die Männer umher und Frauen, der Knappen zagender Chor und die liebliche Tochter mit weichem Gefühl sind in sentimentaler Weinlaune. Nur der König ist seiner Würde gemäß bezecht, und da läßt ihn der Rezitator reden wie König Philipp und den Edelknecht wie Marquis Posn! El» jämmerlicher Kerl, dieser Schiller¬ rezitator ! Die frische Luft wirkte auf den Professor wie Gift; die dreitägige Feier schien alle seine Kräfte aufgezehrt zu haben, vielleicht war es auch der Schiller- champaguer. Er klappte immer mehr zusammen, und ich war froh, als ich ihn glücklich in die Querstraße hinciugesteuert hatte. Dort bewohnte er allein mit seiner Tochter ein kleines Gartenhaus. Ich klopfte an die Thür. Sie wurde vorsichtig geöffnet, und ich schob den Professor langsam dnrch die Thürspalte. Dann hörte ich einen Aufschrei und eine angstvoll jammernde Stimme. Ich blickte in den Vorsaal und sah ein junges, etwa sechzehnjähriges Mädchen mit einer Lampe in der Hand rat- und hilflos vor der geknickten Gestalt des Professors stehn, der sich mit dem Chlinder auf dem linken Ohr gegen die Wand gelehnt hatte und im Anblick seiner Tochter vergeblich versuchte, Herr der Situation zu werden. Ach Gott, rief sie schluchzend, Bater, lieber Vater, was ist dir denn? Dann stellte sie die Lampe weg und lief händeringend und weinend hin und her. Ich muß sagen, daß mich diese Szene, so komisch sie war, doch etwas ergriff. Ich trat entschlossen ein, stellte mich dem armen, in ihrem Schmerze doppelt entzückenden Mädchen vor und suchte es mit einer Flut von Redens-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/142>, abgerufen am 08.01.2025.