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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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land reisen und griff ungebeten überall ein, wo sie konnte. Als sie aber später
eine europäische Berühmtheit wurde, hat sie für Schulen und gemeinnützige
Anstalten wahrhaft fürstliche Summen gespendet; für sich selbst behielt sie nur,
was zu einem einfachen, anständigen Lebensgenuß nötig war. Auch darin ver¬
schieden von ihren Kunftgenossinnen, die mit den Bankhaltern an Luxus zu
wetteifern pflegen, auch darin eine unvergleichliche Frau!

Nur ungern sagen wir zum Schluß noch ein Wort über die biographische
Arbeit der beiden englischen Autoren, denn sie haben die Veranlassung ge¬
geben, uns mit Jenny Lind zu beschäftigen. Es sind uns schon harte Urteile
über diese Biographie zu Gesicht gekommen, denen wir nicht ohne weiteres bei¬
treten wollen. Der deutsche Leser muß berücksichtigen, daß das Werk sür Eng¬
land geschrieben ist. Daraus erklärt sich manche Umständlichkeit mit. Freilich
ist es auch in England nicht durchaus nötig, Herrn Benedict oder andre öffent¬
liche Männer mit ihren gesamten Titeln einzuführen oder in jedem Fall zu be¬
merken, daß die betreffende bürgerliche Persönlichkeit später "Sir" geworden sei.
Aber immerhin mag in England diese durch das Buch hindurchgehende Gro߬
thuerei weniger unangenehm ausfallen. Die Rücksicht auf englische Leser ent¬
schuldigt es auch, daß über eine Menge von Personen und Werken breite Ein¬
führungen gegeben werden, die es genügt hätte, zu nennen. Weiter muß zur
Entlastung der Verfasser berücksichtigt werden, daß sie unter den Augen des
Herrn Goldschmidt, des Gatten der verstorbenen Sängerin, schrieben, sich nicht
frei fühlten und nun in ihrem Eifer etwas über das richtige Maß biographischer
Begeisterung hinansgerietcn. Aus deu belebenden Schatten haben sie ganz
verzichtet. Sie schwärmen und führen eine verzückte und überheizte Sprache;
einmal wird ihre Heldin direkt mit einer heiligen Margarete verglichen. Der
gute Wille der Autoren war jedenfalls riesengroß. Herr Goldschmidt hat ihnen
das Material gegeben und jedenfalls auch den Plan entworfen. Das ist der
erste Vorwurf, der den Herren Holland und Rockstro gemacht werden muß, daß
sie sich damit genügen küßen. Denn das Material ist unvollständig und ein-
seitig, der Plau verfehlt. Es geht nicht, daß man bei Künstlern überhaupt
nur die Mnstlcrische Laufbahn beleuchtet; es geht am allerwenigsten bei einem
Musiker, dessen Leistungen aufs engste mit seinem Temperament zusammen¬
hängen. Es geht zweitens nicht, daß man eine Künstlcrbivgraphie an zwei
Verfasser verteilt. Bei einem Lexikon, bei einem Lehrbuch, zur Not auch noch
bei einem Theaterstück mag das ganz leidliche Ergebnisse haben. Das größte
Versehen war aber, daß für den Hauptteil dieser Zweimännerarbeit, für den
musikalischen und deu mnsikgeschichtlichen, Herr Rockstro gewählt wurde. Er
ist der Verfasser eiuer sür das Jubiläumsjahr 1885 herausgeworsueu englischen
Biographie Händels, die, in Plan und Wissen sehr dürftig, geradezu unangenehm
berührt durch ihr Verhältnis zu Friedrich Chrysauder. Herr Rockstro lebt von
den Arbeiten dieses Mannes und sucht ihn doch beständig herabzusetzen. Weiter


Iimny Lind

land reisen und griff ungebeten überall ein, wo sie konnte. Als sie aber später
eine europäische Berühmtheit wurde, hat sie für Schulen und gemeinnützige
Anstalten wahrhaft fürstliche Summen gespendet; für sich selbst behielt sie nur,
was zu einem einfachen, anständigen Lebensgenuß nötig war. Auch darin ver¬
schieden von ihren Kunftgenossinnen, die mit den Bankhaltern an Luxus zu
wetteifern pflegen, auch darin eine unvergleichliche Frau!

Nur ungern sagen wir zum Schluß noch ein Wort über die biographische
Arbeit der beiden englischen Autoren, denn sie haben die Veranlassung ge¬
geben, uns mit Jenny Lind zu beschäftigen. Es sind uns schon harte Urteile
über diese Biographie zu Gesicht gekommen, denen wir nicht ohne weiteres bei¬
treten wollen. Der deutsche Leser muß berücksichtigen, daß das Werk sür Eng¬
land geschrieben ist. Daraus erklärt sich manche Umständlichkeit mit. Freilich
ist es auch in England nicht durchaus nötig, Herrn Benedict oder andre öffent¬
liche Männer mit ihren gesamten Titeln einzuführen oder in jedem Fall zu be¬
merken, daß die betreffende bürgerliche Persönlichkeit später „Sir" geworden sei.
Aber immerhin mag in England diese durch das Buch hindurchgehende Gro߬
thuerei weniger unangenehm ausfallen. Die Rücksicht auf englische Leser ent¬
schuldigt es auch, daß über eine Menge von Personen und Werken breite Ein¬
führungen gegeben werden, die es genügt hätte, zu nennen. Weiter muß zur
Entlastung der Verfasser berücksichtigt werden, daß sie unter den Augen des
Herrn Goldschmidt, des Gatten der verstorbenen Sängerin, schrieben, sich nicht
frei fühlten und nun in ihrem Eifer etwas über das richtige Maß biographischer
Begeisterung hinansgerietcn. Aus deu belebenden Schatten haben sie ganz
verzichtet. Sie schwärmen und führen eine verzückte und überheizte Sprache;
einmal wird ihre Heldin direkt mit einer heiligen Margarete verglichen. Der
gute Wille der Autoren war jedenfalls riesengroß. Herr Goldschmidt hat ihnen
das Material gegeben und jedenfalls auch den Plan entworfen. Das ist der
erste Vorwurf, der den Herren Holland und Rockstro gemacht werden muß, daß
sie sich damit genügen küßen. Denn das Material ist unvollständig und ein-
seitig, der Plau verfehlt. Es geht nicht, daß man bei Künstlern überhaupt
nur die Mnstlcrische Laufbahn beleuchtet; es geht am allerwenigsten bei einem
Musiker, dessen Leistungen aufs engste mit seinem Temperament zusammen¬
hängen. Es geht zweitens nicht, daß man eine Künstlcrbivgraphie an zwei
Verfasser verteilt. Bei einem Lexikon, bei einem Lehrbuch, zur Not auch noch
bei einem Theaterstück mag das ganz leidliche Ergebnisse haben. Das größte
Versehen war aber, daß für den Hauptteil dieser Zweimännerarbeit, für den
musikalischen und deu mnsikgeschichtlichen, Herr Rockstro gewählt wurde. Er
ist der Verfasser eiuer sür das Jubiläumsjahr 1885 herausgeworsueu englischen
Biographie Händels, die, in Plan und Wissen sehr dürftig, geradezu unangenehm
berührt durch ihr Verhältnis zu Friedrich Chrysauder. Herr Rockstro lebt von
den Arbeiten dieses Mannes und sucht ihn doch beständig herabzusetzen. Weiter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/98>, abgerufen am 23.07.2024.