Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.Die Bekämpfung der Socialdemokratie vom psychologischen Standpunkt draufgeht. Dagegen sollte der Staat schon jetzt nicht ruhig zusehen, daß die Vorläufig wären staatliche unentgeltliche Fortbildungsschulen für die Ar¬ Es wird aber weiter wünschenswert sein, daß alle Sinn Ausnahme der ge¬ Die Bekämpfung der Socialdemokratie vom psychologischen Standpunkt draufgeht. Dagegen sollte der Staat schon jetzt nicht ruhig zusehen, daß die Vorläufig wären staatliche unentgeltliche Fortbildungsschulen für die Ar¬ Es wird aber weiter wünschenswert sein, daß alle Sinn Ausnahme der ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0068" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211236"/> <fw type="header" place="top"> Die Bekämpfung der Socialdemokratie vom psychologischen Standpunkt</fw><lb/> <p xml:id="ID_201" prev="#ID_200"> draufgeht. Dagegen sollte der Staat schon jetzt nicht ruhig zusehen, daß die<lb/> Arbeiterschaft die Sache ihrer Fortbildung selbst in die Hand nimmt, er sollte<lb/> selbst überall unentgeltliche Fortbildungsschulen für die Arbeiter errichten oder<lb/> die Arbeitgeber dazu anhalten. Die von den Sozialdemokraten erhaltenen<lb/> Fortbildungsschulen erziehen ihre Besucher nicht nur wieder zu Sozialdemo¬<lb/> kraten, sie erziehen sie zum Materialismus, zu jener bodenlos oberflächlichen<lb/> Denkweise, die auch tiefdenkende naturwissenschaftliche Forscher verworfen haben.<lb/> Behält die Arbeiterschaft ihre Fortbildung in der Hand, so wird sie eine eigne<lb/> Art von Bildung und Litteratur im Gegensatz zu der der heutigen Gebildeten<lb/> entwickelt!, sie wird diesen Gegensatz immer mehr vertiefen und schließlich eine<lb/> unüberbrückbare Kluft zwischen sich und den übrigen Gebildeten schaffet!, sie<lb/> wird die soziale Revolution geistig vorbereiten wie die Philosophen im vo-<lb/> rigen Jahrhundert die französische. Der Staat darf nie und nirgends die<lb/> öffentliche Erziehung ans der Hand geben, denn dadurch begiebt er sich des<lb/> einzigen Mittels, auf das nachfolgende Menschenalter einzuwirken. Vielleicht<lb/> ist es schon zu spät, aus die Arbeiter erziehend einwirken zu wollen, weil ihr<lb/> Mißtrauen gegen den Staat schon zu groß ist; jedenfalls wird es zu spät werden,<lb/> wenn man noch lauge zögert.</p><lb/> <p xml:id="ID_202"> Vorläufig wären staatliche unentgeltliche Fortbildungsschulen für die Ar¬<lb/> beiter das, was zunächst anzustreben wäre. Das Endziel aber, das allerdings<lb/> sehr in der Ferne liegt, wäre eine unentgeltliche Schule sür alle herzustellen,<lb/> in der ueben der Elementarbildung fast ausschließlich die allgemeine Bildung<lb/> berücksichtigt werden müßte. Eine noch fo gute Fachbildung wird niemcindeu<lb/> zum gebildeten Manne machen, weil sie ihm jene Vielseitigkeit des Denkens und<lb/> Fühlens uicht geben kann, die ihm die allgemeine Bildung verleiht. Der<lb/> tüchtigste Fachmann kann ja bekanntlich, wenn er nur Fachmann ist, oft<lb/> die größte Geistesbeschränktheit zeigen. Gerade aber eine Vielseitigkeit des<lb/> Denkens und Fühlens verbunden mit der Fähigkeit, einen allgemeinen Stand¬<lb/> punkt einzunehmen, ist die erste Forderung seinem gesellschaftlichen Verkehrs.</p><lb/> <p xml:id="ID_203" next="#ID_204"> Es wird aber weiter wünschenswert sein, daß alle Sinn Ausnahme der ge¬<lb/> lehrten Stände) den Grundlagen nach dieselbe allgemeine Bildung besitzen; nur<lb/> dann können sich alle, soweit sie in den, Grade ihrer Bildung übereinstimmen,<lb/> auch als gesellschaftlich gleichberechtigt ansehen, so verschieden auch sonst ihre<lb/> Stellung und ihr Vermögen sein mag. Daß dadurch keineswegs eine ganz<lb/> gleiche Bildung aller bewirkt werden würde, ist einleuchtend; die Vermögenden<lb/> würden außerhalb der Schule und nach deren Vollendung ihre Bildung er-<lb/> weitern, sie würde« in der ästhetischen Bildung ihrer größern Mittel wegen<lb/> allen voranstellen. Es ist aber auch gar nicht wünschenswert, daß die allge¬<lb/> meine Bildung aller durchweg gleichartig sei. Alle Ungleichheit wirkt anspannend<lb/> und belebend, wo sie nicht zu groß ist; wo sie sehlt, tritt Versumpfung ein.<lb/> Es würde daher genügen, wenn die Grundlage der allgemeinen Bildung für</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0068]
Die Bekämpfung der Socialdemokratie vom psychologischen Standpunkt
draufgeht. Dagegen sollte der Staat schon jetzt nicht ruhig zusehen, daß die
Arbeiterschaft die Sache ihrer Fortbildung selbst in die Hand nimmt, er sollte
selbst überall unentgeltliche Fortbildungsschulen für die Arbeiter errichten oder
die Arbeitgeber dazu anhalten. Die von den Sozialdemokraten erhaltenen
Fortbildungsschulen erziehen ihre Besucher nicht nur wieder zu Sozialdemo¬
kraten, sie erziehen sie zum Materialismus, zu jener bodenlos oberflächlichen
Denkweise, die auch tiefdenkende naturwissenschaftliche Forscher verworfen haben.
Behält die Arbeiterschaft ihre Fortbildung in der Hand, so wird sie eine eigne
Art von Bildung und Litteratur im Gegensatz zu der der heutigen Gebildeten
entwickelt!, sie wird diesen Gegensatz immer mehr vertiefen und schließlich eine
unüberbrückbare Kluft zwischen sich und den übrigen Gebildeten schaffet!, sie
wird die soziale Revolution geistig vorbereiten wie die Philosophen im vo-
rigen Jahrhundert die französische. Der Staat darf nie und nirgends die
öffentliche Erziehung ans der Hand geben, denn dadurch begiebt er sich des
einzigen Mittels, auf das nachfolgende Menschenalter einzuwirken. Vielleicht
ist es schon zu spät, aus die Arbeiter erziehend einwirken zu wollen, weil ihr
Mißtrauen gegen den Staat schon zu groß ist; jedenfalls wird es zu spät werden,
wenn man noch lauge zögert.
Vorläufig wären staatliche unentgeltliche Fortbildungsschulen für die Ar¬
beiter das, was zunächst anzustreben wäre. Das Endziel aber, das allerdings
sehr in der Ferne liegt, wäre eine unentgeltliche Schule sür alle herzustellen,
in der ueben der Elementarbildung fast ausschließlich die allgemeine Bildung
berücksichtigt werden müßte. Eine noch fo gute Fachbildung wird niemcindeu
zum gebildeten Manne machen, weil sie ihm jene Vielseitigkeit des Denkens und
Fühlens uicht geben kann, die ihm die allgemeine Bildung verleiht. Der
tüchtigste Fachmann kann ja bekanntlich, wenn er nur Fachmann ist, oft
die größte Geistesbeschränktheit zeigen. Gerade aber eine Vielseitigkeit des
Denkens und Fühlens verbunden mit der Fähigkeit, einen allgemeinen Stand¬
punkt einzunehmen, ist die erste Forderung seinem gesellschaftlichen Verkehrs.
Es wird aber weiter wünschenswert sein, daß alle Sinn Ausnahme der ge¬
lehrten Stände) den Grundlagen nach dieselbe allgemeine Bildung besitzen; nur
dann können sich alle, soweit sie in den, Grade ihrer Bildung übereinstimmen,
auch als gesellschaftlich gleichberechtigt ansehen, so verschieden auch sonst ihre
Stellung und ihr Vermögen sein mag. Daß dadurch keineswegs eine ganz
gleiche Bildung aller bewirkt werden würde, ist einleuchtend; die Vermögenden
würden außerhalb der Schule und nach deren Vollendung ihre Bildung er-
weitern, sie würde« in der ästhetischen Bildung ihrer größern Mittel wegen
allen voranstellen. Es ist aber auch gar nicht wünschenswert, daß die allge¬
meine Bildung aller durchweg gleichartig sei. Alle Ungleichheit wirkt anspannend
und belebend, wo sie nicht zu groß ist; wo sie sehlt, tritt Versumpfung ein.
Es würde daher genügen, wenn die Grundlage der allgemeinen Bildung für
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