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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Die Bekämpfung der Sozialdemokratie vom psychologischen Standpunkt

und Denkens in Einzelforfchungeu aufgelöst hat, denen jedes innere und schließlich
auch jedes äußere Band fehlen wird. Dann erst wird man zu der Erkenntnis
kommen, daß die beste Gewähr für eine tüchtige Fachbildung eine tüchtige
Grundlage in der allgemeinen Bildung ist, die allein den Zusammenhang des
ganzen Wissens und den Zusammenhang des einzelnen Menschcns mit dem
ganzen Wissen herstellen und erhalten kann. Denn das einzelne Wissen kann
immer nur eine rein äußerliche Gründlichkeit besitzen, die nur vertieft werden
kann durch Erforschung seines Zusammenhanges mit dem Ganzen. Ich weiß,
daß ich alle diese Worte, die noch zu Anfang dieses Jahrhunderts volles Ver¬
ständnis gefunden hätten, jetzt in den Wind spreche; ich bin aber überzeugt,
daß sie sich in der Zukunft vollständig bewahrheiten werden.

Die allgemeine Bildung aber wird das Ziel zu verfolgen haben, die Ver¬
gangenheit als Grundlage der Gegenwart dem Verständnis zu öffnen (Geschichte,
klassische Bildung), den Blick auf die Sprache und ihren Zusammenhang mit
dem Denken und Fühlen bei sich und den Mitmenschen zu lenken und diesen
Zusammenhang kennen zu lehren (Sprachbildung und Litteratur) und schließlich
die Freuden und Vergnügungen des Menschen zu läutern, indem sie diese zu einer
thatsächlichen körperlichen und geistigen Erholung macht Kunst und Litteratur).

Es liegt nun im Interesse aller, daß eine möglichst große allgemeine
Bildung das Gemeingut aller werde. Es giebt nur zwei Wege, die untern
Stände mit ihrem untergeordneten Lose zufrieden zu macheu, entweder ihre
möglichste Verdummung herbeizuführen, oder aber ihre Einsicht und Bildung so
zu heben, daß sie den Abstand zwischen sich und den obern Ständen weniger
suhlen. Der Gebildete trägt die schlechtere materielle Lage viel llichter als der
Halbgebildete, dessen Gier stets ins Ungemessene strebt; nnr der ganz unge¬
bildete trägt sie geduldig wie das liebe Vieh. Daß mit der Bildung der untern
Stände eine Hebung ihrer materiellen Lage Hand in Hand gehen muß, versteht
sich voll selbst; aber diese Hebung kann nicht bis zur Gleichstellung des materiellen
Wohlstandes aller fortschreiten, und sie braucht es dann auch nicht, weil die
größere allgemeine Bildung die soziale Stellung der untern Stände heben und
eine größere gesellschaftliche Gleichheit aller erzeugen muß, die eine Ausbesserung
des materiellen Wohlstandes allein niemals wird erreichen können.

Es fragt sich nun, inwieweit der vierte Stand an der allgemeinen Bildung
wird teilnehmen können? Es ist klar, daß er ihre Lasten nicht tragen könnte,
die ganzen Kosten der Schule müßte der Staat auf sich nehmen. Mit
andern Wortein Unterricht und Lehrmittel müßten für jedes Kind unentgeltlich
sein. Das alles würde aber derartige Lasten auf die Schultern des Staates
laden, daß er bei den heutigen Militärausgabeu sie unmöglich ertragen
könnte. Erst wenn die Abrüstung ohne Krieg oder nach einem Kriege vollzogen
wäre, würde dieser Vorschlag ausführbar sein, indem dann für die Volkser-
ziehung verwendet werden könnte, was heute ans die Erhaltung des Heeres


Die Bekämpfung der Sozialdemokratie vom psychologischen Standpunkt

und Denkens in Einzelforfchungeu aufgelöst hat, denen jedes innere und schließlich
auch jedes äußere Band fehlen wird. Dann erst wird man zu der Erkenntnis
kommen, daß die beste Gewähr für eine tüchtige Fachbildung eine tüchtige
Grundlage in der allgemeinen Bildung ist, die allein den Zusammenhang des
ganzen Wissens und den Zusammenhang des einzelnen Menschcns mit dem
ganzen Wissen herstellen und erhalten kann. Denn das einzelne Wissen kann
immer nur eine rein äußerliche Gründlichkeit besitzen, die nur vertieft werden
kann durch Erforschung seines Zusammenhanges mit dem Ganzen. Ich weiß,
daß ich alle diese Worte, die noch zu Anfang dieses Jahrhunderts volles Ver¬
ständnis gefunden hätten, jetzt in den Wind spreche; ich bin aber überzeugt,
daß sie sich in der Zukunft vollständig bewahrheiten werden.

Die allgemeine Bildung aber wird das Ziel zu verfolgen haben, die Ver¬
gangenheit als Grundlage der Gegenwart dem Verständnis zu öffnen (Geschichte,
klassische Bildung), den Blick auf die Sprache und ihren Zusammenhang mit
dem Denken und Fühlen bei sich und den Mitmenschen zu lenken und diesen
Zusammenhang kennen zu lehren (Sprachbildung und Litteratur) und schließlich
die Freuden und Vergnügungen des Menschen zu läutern, indem sie diese zu einer
thatsächlichen körperlichen und geistigen Erholung macht Kunst und Litteratur).

Es liegt nun im Interesse aller, daß eine möglichst große allgemeine
Bildung das Gemeingut aller werde. Es giebt nur zwei Wege, die untern
Stände mit ihrem untergeordneten Lose zufrieden zu macheu, entweder ihre
möglichste Verdummung herbeizuführen, oder aber ihre Einsicht und Bildung so
zu heben, daß sie den Abstand zwischen sich und den obern Ständen weniger
suhlen. Der Gebildete trägt die schlechtere materielle Lage viel llichter als der
Halbgebildete, dessen Gier stets ins Ungemessene strebt; nnr der ganz unge¬
bildete trägt sie geduldig wie das liebe Vieh. Daß mit der Bildung der untern
Stände eine Hebung ihrer materiellen Lage Hand in Hand gehen muß, versteht
sich voll selbst; aber diese Hebung kann nicht bis zur Gleichstellung des materiellen
Wohlstandes aller fortschreiten, und sie braucht es dann auch nicht, weil die
größere allgemeine Bildung die soziale Stellung der untern Stände heben und
eine größere gesellschaftliche Gleichheit aller erzeugen muß, die eine Ausbesserung
des materiellen Wohlstandes allein niemals wird erreichen können.

Es fragt sich nun, inwieweit der vierte Stand an der allgemeinen Bildung
wird teilnehmen können? Es ist klar, daß er ihre Lasten nicht tragen könnte,
die ganzen Kosten der Schule müßte der Staat auf sich nehmen. Mit
andern Wortein Unterricht und Lehrmittel müßten für jedes Kind unentgeltlich
sein. Das alles würde aber derartige Lasten auf die Schultern des Staates
laden, daß er bei den heutigen Militärausgabeu sie unmöglich ertragen
könnte. Erst wenn die Abrüstung ohne Krieg oder nach einem Kriege vollzogen
wäre, würde dieser Vorschlag ausführbar sein, indem dann für die Volkser-
ziehung verwendet werden könnte, was heute ans die Erhaltung des Heeres


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[0067] Die Bekämpfung der Sozialdemokratie vom psychologischen Standpunkt und Denkens in Einzelforfchungeu aufgelöst hat, denen jedes innere und schließlich auch jedes äußere Band fehlen wird. Dann erst wird man zu der Erkenntnis kommen, daß die beste Gewähr für eine tüchtige Fachbildung eine tüchtige Grundlage in der allgemeinen Bildung ist, die allein den Zusammenhang des ganzen Wissens und den Zusammenhang des einzelnen Menschcns mit dem ganzen Wissen herstellen und erhalten kann. Denn das einzelne Wissen kann immer nur eine rein äußerliche Gründlichkeit besitzen, die nur vertieft werden kann durch Erforschung seines Zusammenhanges mit dem Ganzen. Ich weiß, daß ich alle diese Worte, die noch zu Anfang dieses Jahrhunderts volles Ver¬ ständnis gefunden hätten, jetzt in den Wind spreche; ich bin aber überzeugt, daß sie sich in der Zukunft vollständig bewahrheiten werden. Die allgemeine Bildung aber wird das Ziel zu verfolgen haben, die Ver¬ gangenheit als Grundlage der Gegenwart dem Verständnis zu öffnen (Geschichte, klassische Bildung), den Blick auf die Sprache und ihren Zusammenhang mit dem Denken und Fühlen bei sich und den Mitmenschen zu lenken und diesen Zusammenhang kennen zu lehren (Sprachbildung und Litteratur) und schließlich die Freuden und Vergnügungen des Menschen zu läutern, indem sie diese zu einer thatsächlichen körperlichen und geistigen Erholung macht Kunst und Litteratur). Es liegt nun im Interesse aller, daß eine möglichst große allgemeine Bildung das Gemeingut aller werde. Es giebt nur zwei Wege, die untern Stände mit ihrem untergeordneten Lose zufrieden zu macheu, entweder ihre möglichste Verdummung herbeizuführen, oder aber ihre Einsicht und Bildung so zu heben, daß sie den Abstand zwischen sich und den obern Ständen weniger suhlen. Der Gebildete trägt die schlechtere materielle Lage viel llichter als der Halbgebildete, dessen Gier stets ins Ungemessene strebt; nnr der ganz unge¬ bildete trägt sie geduldig wie das liebe Vieh. Daß mit der Bildung der untern Stände eine Hebung ihrer materiellen Lage Hand in Hand gehen muß, versteht sich voll selbst; aber diese Hebung kann nicht bis zur Gleichstellung des materiellen Wohlstandes aller fortschreiten, und sie braucht es dann auch nicht, weil die größere allgemeine Bildung die soziale Stellung der untern Stände heben und eine größere gesellschaftliche Gleichheit aller erzeugen muß, die eine Ausbesserung des materiellen Wohlstandes allein niemals wird erreichen können. Es fragt sich nun, inwieweit der vierte Stand an der allgemeinen Bildung wird teilnehmen können? Es ist klar, daß er ihre Lasten nicht tragen könnte, die ganzen Kosten der Schule müßte der Staat auf sich nehmen. Mit andern Wortein Unterricht und Lehrmittel müßten für jedes Kind unentgeltlich sein. Das alles würde aber derartige Lasten auf die Schultern des Staates laden, daß er bei den heutigen Militärausgabeu sie unmöglich ertragen könnte. Erst wenn die Abrüstung ohne Krieg oder nach einem Kriege vollzogen wäre, würde dieser Vorschlag ausführbar sein, indem dann für die Volkser- ziehung verwendet werden könnte, was heute ans die Erhaltung des Heeres

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/67>, abgerufen am 23.07.2024.