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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Aus dänischer Zeit

ordentlich ans Herz ging, und denn kam ein langen Zug, Zuerst die Jungens
von die Schule mit Gesangbüchern, und sie sangen ein Lied von das christ¬
liche Sterben, Mas an Johann Bohnsack sein Adresse ging, und er ging denn
auch gleich hinter die Schulkinder her. Ich kannte ihn ein büschen von früher,
wo er noch kein Mörder war; aber leiden konnte ich ihn niemalen, und als
er seinen leibhaftigen Brodherrn tvtslug, sagte ich gleich, daß ich mich sowas
bloß von Johann Bohnsack denken konnte. Und auch nich ein büschen be¬
scheiden sah der Sweinigel aus: er kuckte sich um, als neun er sich was
darauf einbildete, daß so" Fest ans sei" Sterben gemacht wurde. Er hatte
ein graues Hemd an; das war das Armsünderhemd, und die Pastoren ginge"
rechts und links von Bohnsack, Dann kam der Aintman" lind Herr Stizrat
lind denn noch ein ganze" Berg Leute; aber alle gingen sie an mich und
meinen Stuhlwagen vorbei. Ein klein büschen näher fuhr ich noch um das
swarze Gerüst, und denn hörten die Glocken auf zu lauten. Herr Stizrat
trat vor Johann Bohnsack hin und fing a" ganz laut was vorzulesen. Das
war das Todesurteil von den dänischen König unterschrieben, und alle die
Menschens wurden still, und jedes Wort konnte über das ganze Feld gehört
werden. Und denn nahm der Herr ein weißen Stab und hielt ihn den Mörder
gerade vors Gesicht, und ich mußte ordentlich den Atem anhalte", weil mich
was ans die Brust drückte, und die andern Menschen gings ebenso und denn
brach der Stab milde" durch -- ein jeder konnte es hören. Ein paar
Sperlinge bissen sich dicht bei meinem Wagen -- die dummen Dingers ver¬
steh" ja nix von die Gcsetzens; ich aber mußte ganz genau, daß kein irdischer
Mensch Johann Bohnsack mehr helfen konnte, und daß er nun gleich vor
seinen himmlische" Richter stehe" würde. So kam es auch. Der Mann in
roten Rock ans Kiel verstand den Rummel -- eins, zwei, drei lag Bohn-
sacken in sein Sarg, und die Glocken fingen wieder an zu läuten. Als ich
nachher mit den Herrn nach Hause fahre, kommt ein Einspänner plang Kajehr
an uns vorbei -- das war Bohnsack, der nun nach Kiel in die Antomarie
reiste. Die Studenten sollten ja Geographie vo" den inwendigen Menschen bei
ihn lernen, was natürlichemeise ein ganz verkehrten Idee war, denn bei so"
gottverlassenen Kerl kann man nix profetieren!

Hinrich griff nach dem Geschirr, das ihn bei": eifrigen Erzählen vom
Schoß geglitten war, und begann wieder seinen Lappen in das Lederfett zu
tauchen. Er war lebhaft geworden, wir aber sehr still.

Kam Bohnsack nun von Petersdorf gleich i" die Hölle oder erst von
Kiel? fragte ich.

Von Petersdorf! sagte Hinrich mit Bestimmtheit. Uns' Herrgott, der
fackelt nich, das mußt d" nich glauben. Der Pastor in Feldkircheu, der schrieb
nachher ein Buch von Bohnsack und von sei" christlichen Tod, von den kein
Mensch nix merkte. Mitn roten Umslag war es, das Buch, mein ich, und


Aus dänischer Zeit

ordentlich ans Herz ging, und denn kam ein langen Zug, Zuerst die Jungens
von die Schule mit Gesangbüchern, und sie sangen ein Lied von das christ¬
liche Sterben, Mas an Johann Bohnsack sein Adresse ging, und er ging denn
auch gleich hinter die Schulkinder her. Ich kannte ihn ein büschen von früher,
wo er noch kein Mörder war; aber leiden konnte ich ihn niemalen, und als
er seinen leibhaftigen Brodherrn tvtslug, sagte ich gleich, daß ich mich sowas
bloß von Johann Bohnsack denken konnte. Und auch nich ein büschen be¬
scheiden sah der Sweinigel aus: er kuckte sich um, als neun er sich was
darauf einbildete, daß so» Fest ans sei» Sterben gemacht wurde. Er hatte
ein graues Hemd an; das war das Armsünderhemd, und die Pastoren ginge»
rechts und links von Bohnsack, Dann kam der Aintman» lind Herr Stizrat
lind denn noch ein ganze» Berg Leute; aber alle gingen sie an mich und
meinen Stuhlwagen vorbei. Ein klein büschen näher fuhr ich noch um das
swarze Gerüst, und denn hörten die Glocken auf zu lauten. Herr Stizrat
trat vor Johann Bohnsack hin und fing a» ganz laut was vorzulesen. Das
war das Todesurteil von den dänischen König unterschrieben, und alle die
Menschens wurden still, und jedes Wort konnte über das ganze Feld gehört
werden. Und denn nahm der Herr ein weißen Stab und hielt ihn den Mörder
gerade vors Gesicht, und ich mußte ordentlich den Atem anhalte», weil mich
was ans die Brust drückte, und die andern Menschen gings ebenso und denn
brach der Stab milde» durch — ein jeder konnte es hören. Ein paar
Sperlinge bissen sich dicht bei meinem Wagen — die dummen Dingers ver¬
steh« ja nix von die Gcsetzens; ich aber mußte ganz genau, daß kein irdischer
Mensch Johann Bohnsack mehr helfen konnte, und daß er nun gleich vor
seinen himmlische» Richter stehe» würde. So kam es auch. Der Mann in
roten Rock ans Kiel verstand den Rummel — eins, zwei, drei lag Bohn-
sacken in sein Sarg, und die Glocken fingen wieder an zu läuten. Als ich
nachher mit den Herrn nach Hause fahre, kommt ein Einspänner plang Kajehr
an uns vorbei — das war Bohnsack, der nun nach Kiel in die Antomarie
reiste. Die Studenten sollten ja Geographie vo» den inwendigen Menschen bei
ihn lernen, was natürlichemeise ein ganz verkehrten Idee war, denn bei so»
gottverlassenen Kerl kann man nix profetieren!

Hinrich griff nach dem Geschirr, das ihn bei»: eifrigen Erzählen vom
Schoß geglitten war, und begann wieder seinen Lappen in das Lederfett zu
tauchen. Er war lebhaft geworden, wir aber sehr still.

Kam Bohnsack nun von Petersdorf gleich i» die Hölle oder erst von
Kiel? fragte ich.

Von Petersdorf! sagte Hinrich mit Bestimmtheit. Uns' Herrgott, der
fackelt nich, das mußt d» nich glauben. Der Pastor in Feldkircheu, der schrieb
nachher ein Buch von Bohnsack und von sei» christlichen Tod, von den kein
Mensch nix merkte. Mitn roten Umslag war es, das Buch, mein ich, und


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[0653] Aus dänischer Zeit ordentlich ans Herz ging, und denn kam ein langen Zug, Zuerst die Jungens von die Schule mit Gesangbüchern, und sie sangen ein Lied von das christ¬ liche Sterben, Mas an Johann Bohnsack sein Adresse ging, und er ging denn auch gleich hinter die Schulkinder her. Ich kannte ihn ein büschen von früher, wo er noch kein Mörder war; aber leiden konnte ich ihn niemalen, und als er seinen leibhaftigen Brodherrn tvtslug, sagte ich gleich, daß ich mich sowas bloß von Johann Bohnsack denken konnte. Und auch nich ein büschen be¬ scheiden sah der Sweinigel aus: er kuckte sich um, als neun er sich was darauf einbildete, daß so» Fest ans sei» Sterben gemacht wurde. Er hatte ein graues Hemd an; das war das Armsünderhemd, und die Pastoren ginge» rechts und links von Bohnsack, Dann kam der Aintman» lind Herr Stizrat lind denn noch ein ganze» Berg Leute; aber alle gingen sie an mich und meinen Stuhlwagen vorbei. Ein klein büschen näher fuhr ich noch um das swarze Gerüst, und denn hörten die Glocken auf zu lauten. Herr Stizrat trat vor Johann Bohnsack hin und fing a» ganz laut was vorzulesen. Das war das Todesurteil von den dänischen König unterschrieben, und alle die Menschens wurden still, und jedes Wort konnte über das ganze Feld gehört werden. Und denn nahm der Herr ein weißen Stab und hielt ihn den Mörder gerade vors Gesicht, und ich mußte ordentlich den Atem anhalte», weil mich was ans die Brust drückte, und die andern Menschen gings ebenso und denn brach der Stab milde» durch — ein jeder konnte es hören. Ein paar Sperlinge bissen sich dicht bei meinem Wagen — die dummen Dingers ver¬ steh« ja nix von die Gcsetzens; ich aber mußte ganz genau, daß kein irdischer Mensch Johann Bohnsack mehr helfen konnte, und daß er nun gleich vor seinen himmlische» Richter stehe» würde. So kam es auch. Der Mann in roten Rock ans Kiel verstand den Rummel — eins, zwei, drei lag Bohn- sacken in sein Sarg, und die Glocken fingen wieder an zu läuten. Als ich nachher mit den Herrn nach Hause fahre, kommt ein Einspänner plang Kajehr an uns vorbei — das war Bohnsack, der nun nach Kiel in die Antomarie reiste. Die Studenten sollten ja Geographie vo» den inwendigen Menschen bei ihn lernen, was natürlichemeise ein ganz verkehrten Idee war, denn bei so» gottverlassenen Kerl kann man nix profetieren! Hinrich griff nach dem Geschirr, das ihn bei»: eifrigen Erzählen vom Schoß geglitten war, und begann wieder seinen Lappen in das Lederfett zu tauchen. Er war lebhaft geworden, wir aber sehr still. Kam Bohnsack nun von Petersdorf gleich i» die Hölle oder erst von Kiel? fragte ich. Von Petersdorf! sagte Hinrich mit Bestimmtheit. Uns' Herrgott, der fackelt nich, das mußt d» nich glauben. Der Pastor in Feldkircheu, der schrieb nachher ein Buch von Bohnsack und von sei» christlichen Tod, von den kein Mensch nix merkte. Mitn roten Umslag war es, das Buch, mein ich, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/653>, abgerufen am 23.07.2024.