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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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keit, der Respekt vor dem Gesetze keine andre Quelle mehr hat, als die Furcht
vor Strafe!" Er hat damit den Nagel auf den Kopf getroffen. In der
That, das Geschlecht, das heute in Italien heranwächst, hat nicht das Aus¬
sehen, als ob es das leisten könnte, was unter viel schwierigern Umständen
die Väter geleistet haben. Wenn das aber anders werden soll, so darf nicht
am falschen Ende angefangen, so darf die Jngend nicht erst, wenn sie schon
auf der Universität ist, zur Zucht erzogen werden. Das mögen die im Auge
behalten, denen die Möglichkeit gegeben ist, kraft ihrer Stellung dem Lande
die Augen zu öffnen. Sie werden ihr Ziel nicht ohne Kampf erreichen, aber
ohne Kampf kein Sieg. Möge sie in diesem Kampfe das Ideal der wahren
Freiheit leiten, das auch den Begründern des heutigen Italiens vorgeschwebt
hat, das aber nicht erreicht wurde, weil das Volk nicht genügend dazu vor¬
bereitet war. Die Freiheit ist eine gute Kost, aber sie verlangt auch einen
guten Magen.




Goethes ^traßburger lyrische Gedichte
von Heinrich Viintzer (Schlich)

in andrer Besuch Sesenheims wird von den vier heitern Strophen
"Bälde seh ich Riekchen wieder" in Aussicht gestellt, die in dem¬
selben Versmaße wie das zuletzt besprochnc Gedicht verfaßt
sind. Auch diese hat Bielschvwski Lenz zuzuschreiben und so
eine Trilogie von Gedichte" herzustellen gesucht, von der auch
kein Schatten nachzuweisen ist, wenn man nicht das deutlich ausgcsprochue
geradezu mißversteht. Der Inhalt der Verse ist keineswegs der, den B.
angiebt: "Riekchen ist dem Dichter entflohen, wie er sich ausdrückt, aber
sie kehrt bald zu ihm zurück, und darüber bekundet er seine Freude." Freude
giebt ihm vielmehr die Gewißheit, bald Friederiken in Sesenheim wieder
besuchen zu können, woran er so lange durch seine Lage verhindert worden
war. Im Vorgefühl dieses Glücks erwacht wieder sein Sang, den er mit solcher
Lust von Friederikens Lippen gehört hatte, aber in der tmnrigen Zeit, wo er
Straßburg nicht verlassen konnte, war er verstummt, weil er den Kummer,
ihre Gegenwart zu entbehre", nicht im Liede ergießen kaun. Jetzt aber singt
er wieder i" voller Freude; diese ist ihm kostbarer als alles. In den Worten
"Lange, liebe Liebe lang" muß natürlich "liebe Liebe" als Anrede gefaßt und
dies durch ein Komma angedeutet werden, wie schon die "Studien" (S. 38)
bemerkt haben. Freilich wird das Gedicht dort irrig ganz auakreoutisch ge-


keit, der Respekt vor dem Gesetze keine andre Quelle mehr hat, als die Furcht
vor Strafe!" Er hat damit den Nagel auf den Kopf getroffen. In der
That, das Geschlecht, das heute in Italien heranwächst, hat nicht das Aus¬
sehen, als ob es das leisten könnte, was unter viel schwierigern Umständen
die Väter geleistet haben. Wenn das aber anders werden soll, so darf nicht
am falschen Ende angefangen, so darf die Jngend nicht erst, wenn sie schon
auf der Universität ist, zur Zucht erzogen werden. Das mögen die im Auge
behalten, denen die Möglichkeit gegeben ist, kraft ihrer Stellung dem Lande
die Augen zu öffnen. Sie werden ihr Ziel nicht ohne Kampf erreichen, aber
ohne Kampf kein Sieg. Möge sie in diesem Kampfe das Ideal der wahren
Freiheit leiten, das auch den Begründern des heutigen Italiens vorgeschwebt
hat, das aber nicht erreicht wurde, weil das Volk nicht genügend dazu vor¬
bereitet war. Die Freiheit ist eine gute Kost, aber sie verlangt auch einen
guten Magen.




Goethes ^traßburger lyrische Gedichte
von Heinrich Viintzer (Schlich)

in andrer Besuch Sesenheims wird von den vier heitern Strophen
„Bälde seh ich Riekchen wieder" in Aussicht gestellt, die in dem¬
selben Versmaße wie das zuletzt besprochnc Gedicht verfaßt
sind. Auch diese hat Bielschvwski Lenz zuzuschreiben und so
eine Trilogie von Gedichte» herzustellen gesucht, von der auch
kein Schatten nachzuweisen ist, wenn man nicht das deutlich ausgcsprochue
geradezu mißversteht. Der Inhalt der Verse ist keineswegs der, den B.
angiebt: „Riekchen ist dem Dichter entflohen, wie er sich ausdrückt, aber
sie kehrt bald zu ihm zurück, und darüber bekundet er seine Freude." Freude
giebt ihm vielmehr die Gewißheit, bald Friederiken in Sesenheim wieder
besuchen zu können, woran er so lange durch seine Lage verhindert worden
war. Im Vorgefühl dieses Glücks erwacht wieder sein Sang, den er mit solcher
Lust von Friederikens Lippen gehört hatte, aber in der tmnrigen Zeit, wo er
Straßburg nicht verlassen konnte, war er verstummt, weil er den Kummer,
ihre Gegenwart zu entbehre», nicht im Liede ergießen kaun. Jetzt aber singt
er wieder i» voller Freude; diese ist ihm kostbarer als alles. In den Worten
„Lange, liebe Liebe lang" muß natürlich „liebe Liebe" als Anrede gefaßt und
dies durch ein Komma angedeutet werden, wie schon die „Studien" (S. 38)
bemerkt haben. Freilich wird das Gedicht dort irrig ganz auakreoutisch ge-


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[0637] keit, der Respekt vor dem Gesetze keine andre Quelle mehr hat, als die Furcht vor Strafe!" Er hat damit den Nagel auf den Kopf getroffen. In der That, das Geschlecht, das heute in Italien heranwächst, hat nicht das Aus¬ sehen, als ob es das leisten könnte, was unter viel schwierigern Umständen die Väter geleistet haben. Wenn das aber anders werden soll, so darf nicht am falschen Ende angefangen, so darf die Jngend nicht erst, wenn sie schon auf der Universität ist, zur Zucht erzogen werden. Das mögen die im Auge behalten, denen die Möglichkeit gegeben ist, kraft ihrer Stellung dem Lande die Augen zu öffnen. Sie werden ihr Ziel nicht ohne Kampf erreichen, aber ohne Kampf kein Sieg. Möge sie in diesem Kampfe das Ideal der wahren Freiheit leiten, das auch den Begründern des heutigen Italiens vorgeschwebt hat, das aber nicht erreicht wurde, weil das Volk nicht genügend dazu vor¬ bereitet war. Die Freiheit ist eine gute Kost, aber sie verlangt auch einen guten Magen. Goethes ^traßburger lyrische Gedichte von Heinrich Viintzer (Schlich) in andrer Besuch Sesenheims wird von den vier heitern Strophen „Bälde seh ich Riekchen wieder" in Aussicht gestellt, die in dem¬ selben Versmaße wie das zuletzt besprochnc Gedicht verfaßt sind. Auch diese hat Bielschvwski Lenz zuzuschreiben und so eine Trilogie von Gedichte» herzustellen gesucht, von der auch kein Schatten nachzuweisen ist, wenn man nicht das deutlich ausgcsprochue geradezu mißversteht. Der Inhalt der Verse ist keineswegs der, den B. angiebt: „Riekchen ist dem Dichter entflohen, wie er sich ausdrückt, aber sie kehrt bald zu ihm zurück, und darüber bekundet er seine Freude." Freude giebt ihm vielmehr die Gewißheit, bald Friederiken in Sesenheim wieder besuchen zu können, woran er so lange durch seine Lage verhindert worden war. Im Vorgefühl dieses Glücks erwacht wieder sein Sang, den er mit solcher Lust von Friederikens Lippen gehört hatte, aber in der tmnrigen Zeit, wo er Straßburg nicht verlassen konnte, war er verstummt, weil er den Kummer, ihre Gegenwart zu entbehre», nicht im Liede ergießen kaun. Jetzt aber singt er wieder i» voller Freude; diese ist ihm kostbarer als alles. In den Worten „Lange, liebe Liebe lang" muß natürlich „liebe Liebe" als Anrede gefaßt und dies durch ein Komma angedeutet werden, wie schon die „Studien" (S. 38) bemerkt haben. Freilich wird das Gedicht dort irrig ganz auakreoutisch ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/637>, abgerufen am 23.07.2024.