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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Seltsame Fortschritte

worden sein wird und thatsächlich durch die Vertreibung der kaiserlichen Truppen
beantwortet wurde.

War also das Verfahre" völlig gleich, als die Niederländer vom Prote¬
stantismus und als sie zum Staatskatholizismus bekehrt werden solltet!, so ist
dabei doch ein Unterschied sehr bemerkenswert. Der strenggläubige Konig von
Spanien ist berechtigt, sich als unmittelbares Werkzeug der Vorsehung zur Aus¬
rottung der Ketzerei zu betrachten und sich zu diesem Zwecke mit einer Weis¬
heit ausgerüstet zu glauben, ^die Verstand und Urteil seiner Unterthanen weit
überrage; das Widerstreben gegen seine Maßregeln durste ihm gleichbedeutend
sein mit Auflehnung gegen die Gebote Gottes. Der Nationalist aus dem
Kniserthrone dagegen wäre durch diese Theorie in einen unlösbaren Zwiespalt
mit sich selbst geraten, und es bleibt für sein Handeln nnr eine maßlose Über¬
schätzung seiner persönlichen Einsicht wie feiner Macht als Erklärungsgrund
übrig. Und in der That warf ihm schon seine Mutter vor, daß er, der jugend¬
liche Mitregent, dessen Lebensanschauung die Frucht ungeregelter Lektüre war,
die Erfahrungen der Kaiserin, die ein Vierteljahrhundert lang unter den schwie¬
rigsten Verhältnissen regiert hatte, und ihrer erprobten Räte mit Geringschätzung
behandle. Nur zu sehr der Sohn seines Jahrhunderts, hielt er sich für be¬
rufen, eine neue Ordnung in allem und jedem einzuführen, und zwar nach
einer Schablone für alle die verschiedenen Nationalitäten und Religionsgenossen-
schaften seines Reiches.' Historische Rechte und Nechtsgewohnheiten, Über¬
zeugungen und Sitten galten bei ihm nichts; was nicht mit seinen Überzeu-
gungen übereinstimmte, war ihn: Aberglaube, Vorurteil, träges Beharren bei dem
Hergebrachten. Gezwungen werden sollten die Völker zur Glückseligkeit nach
seiner Manier, und daß die treuesten von ihnen, Tiroler, Ungarn, Belgier,
durch feine Ordonnanzen zur Empörung getrieben wurden, kränkte ihn, aber nur,
weil er sich verkannt wähnte. Todesmatt zog er die überstürzten Reformgesetze
zurück, doch daß er den Irrtum in seinem System eingesehen habe, wird nicht
berichtet. Wahrlich, das vielbernfue l^tat, e'sse Noi! hatte auch an diesem
liberalen Herrscher einen Bekenner.

Daß er wirklich immer das Beste wollte und aufopferungsfähig war, ist
uicht zu leugnen, und die Aufhebung der Leibeigenschaft wird ihm immerdar
zum Ruhme gereichen. Aber was seine Bewunderer am höchsten preisen, sein
revolutionäres Vorgehen in kirchlichen Angelegenheiten/ hat genau genommen
mehr Unheil angerichtet, als Segen gebracht. Der "Schätzer der Menschen" mi߬
achtete das teuerste Recht des Menschen, die Gewissensfreiheit. An die Stelle
des Papstes setzte er sich selbst. Auch den Protestanten gegenüber brachte er
es nnr zur "Toleranz," sie blieben "Akatholiken," Menschen, die geduldet wurden,
obgleich sie, vom Katholizismus abgefallen waren; Staatsreligion blieb der
Katholizismus, wie er ihn wollte. Die Rücksichtslosigkeit gegen die religiösen
Gefühle des größten Teiles seiner Unterthanen, die Übertreibung und absichtliche


Seltsame Fortschritte

worden sein wird und thatsächlich durch die Vertreibung der kaiserlichen Truppen
beantwortet wurde.

War also das Verfahre» völlig gleich, als die Niederländer vom Prote¬
stantismus und als sie zum Staatskatholizismus bekehrt werden solltet!, so ist
dabei doch ein Unterschied sehr bemerkenswert. Der strenggläubige Konig von
Spanien ist berechtigt, sich als unmittelbares Werkzeug der Vorsehung zur Aus¬
rottung der Ketzerei zu betrachten und sich zu diesem Zwecke mit einer Weis¬
heit ausgerüstet zu glauben, ^die Verstand und Urteil seiner Unterthanen weit
überrage; das Widerstreben gegen seine Maßregeln durste ihm gleichbedeutend
sein mit Auflehnung gegen die Gebote Gottes. Der Nationalist aus dem
Kniserthrone dagegen wäre durch diese Theorie in einen unlösbaren Zwiespalt
mit sich selbst geraten, und es bleibt für sein Handeln nnr eine maßlose Über¬
schätzung seiner persönlichen Einsicht wie feiner Macht als Erklärungsgrund
übrig. Und in der That warf ihm schon seine Mutter vor, daß er, der jugend¬
liche Mitregent, dessen Lebensanschauung die Frucht ungeregelter Lektüre war,
die Erfahrungen der Kaiserin, die ein Vierteljahrhundert lang unter den schwie¬
rigsten Verhältnissen regiert hatte, und ihrer erprobten Räte mit Geringschätzung
behandle. Nur zu sehr der Sohn seines Jahrhunderts, hielt er sich für be¬
rufen, eine neue Ordnung in allem und jedem einzuführen, und zwar nach
einer Schablone für alle die verschiedenen Nationalitäten und Religionsgenossen-
schaften seines Reiches.' Historische Rechte und Nechtsgewohnheiten, Über¬
zeugungen und Sitten galten bei ihm nichts; was nicht mit seinen Überzeu-
gungen übereinstimmte, war ihn: Aberglaube, Vorurteil, träges Beharren bei dem
Hergebrachten. Gezwungen werden sollten die Völker zur Glückseligkeit nach
seiner Manier, und daß die treuesten von ihnen, Tiroler, Ungarn, Belgier,
durch feine Ordonnanzen zur Empörung getrieben wurden, kränkte ihn, aber nur,
weil er sich verkannt wähnte. Todesmatt zog er die überstürzten Reformgesetze
zurück, doch daß er den Irrtum in seinem System eingesehen habe, wird nicht
berichtet. Wahrlich, das vielbernfue l^tat, e'sse Noi! hatte auch an diesem
liberalen Herrscher einen Bekenner.

Daß er wirklich immer das Beste wollte und aufopferungsfähig war, ist
uicht zu leugnen, und die Aufhebung der Leibeigenschaft wird ihm immerdar
zum Ruhme gereichen. Aber was seine Bewunderer am höchsten preisen, sein
revolutionäres Vorgehen in kirchlichen Angelegenheiten/ hat genau genommen
mehr Unheil angerichtet, als Segen gebracht. Der „Schätzer der Menschen" mi߬
achtete das teuerste Recht des Menschen, die Gewissensfreiheit. An die Stelle
des Papstes setzte er sich selbst. Auch den Protestanten gegenüber brachte er
es nnr zur „Toleranz," sie blieben „Akatholiken," Menschen, die geduldet wurden,
obgleich sie, vom Katholizismus abgefallen waren; Staatsreligion blieb der
Katholizismus, wie er ihn wollte. Die Rücksichtslosigkeit gegen die religiösen
Gefühle des größten Teiles seiner Unterthanen, die Übertreibung und absichtliche


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[0063] Seltsame Fortschritte worden sein wird und thatsächlich durch die Vertreibung der kaiserlichen Truppen beantwortet wurde. War also das Verfahre» völlig gleich, als die Niederländer vom Prote¬ stantismus und als sie zum Staatskatholizismus bekehrt werden solltet!, so ist dabei doch ein Unterschied sehr bemerkenswert. Der strenggläubige Konig von Spanien ist berechtigt, sich als unmittelbares Werkzeug der Vorsehung zur Aus¬ rottung der Ketzerei zu betrachten und sich zu diesem Zwecke mit einer Weis¬ heit ausgerüstet zu glauben, ^die Verstand und Urteil seiner Unterthanen weit überrage; das Widerstreben gegen seine Maßregeln durste ihm gleichbedeutend sein mit Auflehnung gegen die Gebote Gottes. Der Nationalist aus dem Kniserthrone dagegen wäre durch diese Theorie in einen unlösbaren Zwiespalt mit sich selbst geraten, und es bleibt für sein Handeln nnr eine maßlose Über¬ schätzung seiner persönlichen Einsicht wie feiner Macht als Erklärungsgrund übrig. Und in der That warf ihm schon seine Mutter vor, daß er, der jugend¬ liche Mitregent, dessen Lebensanschauung die Frucht ungeregelter Lektüre war, die Erfahrungen der Kaiserin, die ein Vierteljahrhundert lang unter den schwie¬ rigsten Verhältnissen regiert hatte, und ihrer erprobten Räte mit Geringschätzung behandle. Nur zu sehr der Sohn seines Jahrhunderts, hielt er sich für be¬ rufen, eine neue Ordnung in allem und jedem einzuführen, und zwar nach einer Schablone für alle die verschiedenen Nationalitäten und Religionsgenossen- schaften seines Reiches.' Historische Rechte und Nechtsgewohnheiten, Über¬ zeugungen und Sitten galten bei ihm nichts; was nicht mit seinen Überzeu- gungen übereinstimmte, war ihn: Aberglaube, Vorurteil, träges Beharren bei dem Hergebrachten. Gezwungen werden sollten die Völker zur Glückseligkeit nach seiner Manier, und daß die treuesten von ihnen, Tiroler, Ungarn, Belgier, durch feine Ordonnanzen zur Empörung getrieben wurden, kränkte ihn, aber nur, weil er sich verkannt wähnte. Todesmatt zog er die überstürzten Reformgesetze zurück, doch daß er den Irrtum in seinem System eingesehen habe, wird nicht berichtet. Wahrlich, das vielbernfue l^tat, e'sse Noi! hatte auch an diesem liberalen Herrscher einen Bekenner. Daß er wirklich immer das Beste wollte und aufopferungsfähig war, ist uicht zu leugnen, und die Aufhebung der Leibeigenschaft wird ihm immerdar zum Ruhme gereichen. Aber was seine Bewunderer am höchsten preisen, sein revolutionäres Vorgehen in kirchlichen Angelegenheiten/ hat genau genommen mehr Unheil angerichtet, als Segen gebracht. Der „Schätzer der Menschen" mi߬ achtete das teuerste Recht des Menschen, die Gewissensfreiheit. An die Stelle des Papstes setzte er sich selbst. Auch den Protestanten gegenüber brachte er es nnr zur „Toleranz," sie blieben „Akatholiken," Menschen, die geduldet wurden, obgleich sie, vom Katholizismus abgefallen waren; Staatsreligion blieb der Katholizismus, wie er ihn wollte. Die Rücksichtslosigkeit gegen die religiösen Gefühle des größten Teiles seiner Unterthanen, die Übertreibung und absichtliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/63>, abgerufen am 23.07.2024.