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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Das Sittlichkeitsgesetz

Anläufe zur Kräftigung der Sitte, die unsrer Zeit zur Ehre gereichen, sich
sofort wieder verflüchtigen werden.

Über den sonstigen Inhalt des Gesetzentwurfs nur einige Worte. Sein
größtes Verdienst ist, daß er den heuchlerischen Widerspruch des Strafgesetzes
selbst und die unwürdigen .Konflikte mit den wohlfahrtspolizeilichen Aufgaben
des Staates entschlossen beseitigt und dem Staate Raum schafft, die weder
von der Religion, noch von der Sitte, noch vom Gesetz auszurotteude Pro¬
stitution ebenso zu regeln, wie Epidemien, Viehseuchen und andre unvermeid¬
liche Übel. Ebensowenig ist an sich gegen den Zuhälterparagrapheu etwas
einzuwenden, nur daß seine Fassung doch wohl zu weit geht. Darnach ist
z. V. der zu Unterhalt gesetzlich nicht berechtigte Schwager, Onkel, nach
manchen Landesgesetzen auch der Bruder einer Dirne straffällig, wenn er,
vielleicht schwer in Not und Elend, eine auch nur aus Mitleid angebotne
und nur vorübergehende Unterstützung von ihr annimmt. Immerhin ist be¬
dauerlich, daß wegen einer spezifisch berlinischen Verbrecheusform ganz Deutsch¬
land mit einem neuen Strafgesetzparagraphen heimgesucht werden soll. Vielleicht
bleibt abzuwarten, ob die bevorstehende polizeiliche Regelung des Prostitutions¬
wesens dem Zuhültertnm nicht von selbst ein Ende machen wird. Die Mög¬
lichkeit, die Strafe dnrch harte Lagerstatt und Beschränkung aus Wasser und
Brot zu verschärfen, wenn die That von besondrer Roheit und Sittenlosigkeit
des Thäters zeugt, ist eine alte und jetzt fast einstimmige Forderung aller,
die an der Rechtspflege beteiligt sind. Bedenklich ist es aber, diese Straf-
schärfung ganz allgemein, also ohne daß besondre Roheit oder Sittenlosigkeit
vorliegt, auch gegen Landstreicher, Bettler (im Rückfalle), Arbeitsscheue und
durch eignes Verschulden Obdachlose zuzulassen. Dieser doch überwiegend be¬
dauernswerten Hefe der bürgerlichen Gesellschaft kaun der Staat durch Straf¬
gesetze, und würden sie noch weit empfindlicher verschärft, überhaupt nicht
Herr werden. Der Strolch ist auf der harten Diele der warmen Zelle immer
noch besser gebettet, als hinter dem verschneiten Zaun. Dein entnervten Körper
und hungernden Magen aber gerade das zu entziehen, was ihm um dringendsten
uvtthut: warme Kost, ist einfach grausam. Hier tritt die soziale Aufgabe des
Staates in den Vordergrund. Es ist ferner logisch richtig, die öffentliche
Mitteilung aus Gerichtsverhandlungen, für die wegen Gefährdung der Sitt¬
lichkeit die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, unter Strafe zu stellen, wen"
auch ein Vorbehalt für wissenschaftliche Arbeiten geboten scheint. Ebenso un¬
logisch ist es aber, ein VeröffentlichuugSverbot zuzulassen, obschon das Gericht
die Öffentlichkeit der Verhandlung nicht eingeschränkt, damit also bereits verneint
hatte, daß eine Geführdung der Sittlichkeit zu besorgen sei. Ohnedies laden
die Zeiten nicht dazu ein, einer noch weiter gehenden Beschränkung der Öffent¬
lichkeit, eines der stärksten Schutzpfeiler im Strafprozeß, das Wort zu reden.

Wir wünschen dein Entwürfe, soweit er die Prostitutionsfrage betrifft,


Das Sittlichkeitsgesetz

Anläufe zur Kräftigung der Sitte, die unsrer Zeit zur Ehre gereichen, sich
sofort wieder verflüchtigen werden.

Über den sonstigen Inhalt des Gesetzentwurfs nur einige Worte. Sein
größtes Verdienst ist, daß er den heuchlerischen Widerspruch des Strafgesetzes
selbst und die unwürdigen .Konflikte mit den wohlfahrtspolizeilichen Aufgaben
des Staates entschlossen beseitigt und dem Staate Raum schafft, die weder
von der Religion, noch von der Sitte, noch vom Gesetz auszurotteude Pro¬
stitution ebenso zu regeln, wie Epidemien, Viehseuchen und andre unvermeid¬
liche Übel. Ebensowenig ist an sich gegen den Zuhälterparagrapheu etwas
einzuwenden, nur daß seine Fassung doch wohl zu weit geht. Darnach ist
z. V. der zu Unterhalt gesetzlich nicht berechtigte Schwager, Onkel, nach
manchen Landesgesetzen auch der Bruder einer Dirne straffällig, wenn er,
vielleicht schwer in Not und Elend, eine auch nur aus Mitleid angebotne
und nur vorübergehende Unterstützung von ihr annimmt. Immerhin ist be¬
dauerlich, daß wegen einer spezifisch berlinischen Verbrecheusform ganz Deutsch¬
land mit einem neuen Strafgesetzparagraphen heimgesucht werden soll. Vielleicht
bleibt abzuwarten, ob die bevorstehende polizeiliche Regelung des Prostitutions¬
wesens dem Zuhültertnm nicht von selbst ein Ende machen wird. Die Mög¬
lichkeit, die Strafe dnrch harte Lagerstatt und Beschränkung aus Wasser und
Brot zu verschärfen, wenn die That von besondrer Roheit und Sittenlosigkeit
des Thäters zeugt, ist eine alte und jetzt fast einstimmige Forderung aller,
die an der Rechtspflege beteiligt sind. Bedenklich ist es aber, diese Straf-
schärfung ganz allgemein, also ohne daß besondre Roheit oder Sittenlosigkeit
vorliegt, auch gegen Landstreicher, Bettler (im Rückfalle), Arbeitsscheue und
durch eignes Verschulden Obdachlose zuzulassen. Dieser doch überwiegend be¬
dauernswerten Hefe der bürgerlichen Gesellschaft kaun der Staat durch Straf¬
gesetze, und würden sie noch weit empfindlicher verschärft, überhaupt nicht
Herr werden. Der Strolch ist auf der harten Diele der warmen Zelle immer
noch besser gebettet, als hinter dem verschneiten Zaun. Dein entnervten Körper
und hungernden Magen aber gerade das zu entziehen, was ihm um dringendsten
uvtthut: warme Kost, ist einfach grausam. Hier tritt die soziale Aufgabe des
Staates in den Vordergrund. Es ist ferner logisch richtig, die öffentliche
Mitteilung aus Gerichtsverhandlungen, für die wegen Gefährdung der Sitt¬
lichkeit die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, unter Strafe zu stellen, wen»
auch ein Vorbehalt für wissenschaftliche Arbeiten geboten scheint. Ebenso un¬
logisch ist es aber, ein VeröffentlichuugSverbot zuzulassen, obschon das Gericht
die Öffentlichkeit der Verhandlung nicht eingeschränkt, damit also bereits verneint
hatte, daß eine Geführdung der Sittlichkeit zu besorgen sei. Ohnedies laden
die Zeiten nicht dazu ein, einer noch weiter gehenden Beschränkung der Öffent¬
lichkeit, eines der stärksten Schutzpfeiler im Strafprozeß, das Wort zu reden.

Wir wünschen dein Entwürfe, soweit er die Prostitutionsfrage betrifft,


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[0628] Das Sittlichkeitsgesetz Anläufe zur Kräftigung der Sitte, die unsrer Zeit zur Ehre gereichen, sich sofort wieder verflüchtigen werden. Über den sonstigen Inhalt des Gesetzentwurfs nur einige Worte. Sein größtes Verdienst ist, daß er den heuchlerischen Widerspruch des Strafgesetzes selbst und die unwürdigen .Konflikte mit den wohlfahrtspolizeilichen Aufgaben des Staates entschlossen beseitigt und dem Staate Raum schafft, die weder von der Religion, noch von der Sitte, noch vom Gesetz auszurotteude Pro¬ stitution ebenso zu regeln, wie Epidemien, Viehseuchen und andre unvermeid¬ liche Übel. Ebensowenig ist an sich gegen den Zuhälterparagrapheu etwas einzuwenden, nur daß seine Fassung doch wohl zu weit geht. Darnach ist z. V. der zu Unterhalt gesetzlich nicht berechtigte Schwager, Onkel, nach manchen Landesgesetzen auch der Bruder einer Dirne straffällig, wenn er, vielleicht schwer in Not und Elend, eine auch nur aus Mitleid angebotne und nur vorübergehende Unterstützung von ihr annimmt. Immerhin ist be¬ dauerlich, daß wegen einer spezifisch berlinischen Verbrecheusform ganz Deutsch¬ land mit einem neuen Strafgesetzparagraphen heimgesucht werden soll. Vielleicht bleibt abzuwarten, ob die bevorstehende polizeiliche Regelung des Prostitutions¬ wesens dem Zuhültertnm nicht von selbst ein Ende machen wird. Die Mög¬ lichkeit, die Strafe dnrch harte Lagerstatt und Beschränkung aus Wasser und Brot zu verschärfen, wenn die That von besondrer Roheit und Sittenlosigkeit des Thäters zeugt, ist eine alte und jetzt fast einstimmige Forderung aller, die an der Rechtspflege beteiligt sind. Bedenklich ist es aber, diese Straf- schärfung ganz allgemein, also ohne daß besondre Roheit oder Sittenlosigkeit vorliegt, auch gegen Landstreicher, Bettler (im Rückfalle), Arbeitsscheue und durch eignes Verschulden Obdachlose zuzulassen. Dieser doch überwiegend be¬ dauernswerten Hefe der bürgerlichen Gesellschaft kaun der Staat durch Straf¬ gesetze, und würden sie noch weit empfindlicher verschärft, überhaupt nicht Herr werden. Der Strolch ist auf der harten Diele der warmen Zelle immer noch besser gebettet, als hinter dem verschneiten Zaun. Dein entnervten Körper und hungernden Magen aber gerade das zu entziehen, was ihm um dringendsten uvtthut: warme Kost, ist einfach grausam. Hier tritt die soziale Aufgabe des Staates in den Vordergrund. Es ist ferner logisch richtig, die öffentliche Mitteilung aus Gerichtsverhandlungen, für die wegen Gefährdung der Sitt¬ lichkeit die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, unter Strafe zu stellen, wen» auch ein Vorbehalt für wissenschaftliche Arbeiten geboten scheint. Ebenso un¬ logisch ist es aber, ein VeröffentlichuugSverbot zuzulassen, obschon das Gericht die Öffentlichkeit der Verhandlung nicht eingeschränkt, damit also bereits verneint hatte, daß eine Geführdung der Sittlichkeit zu besorgen sei. Ohnedies laden die Zeiten nicht dazu ein, einer noch weiter gehenden Beschränkung der Öffent¬ lichkeit, eines der stärksten Schutzpfeiler im Strafprozeß, das Wort zu reden. Wir wünschen dein Entwürfe, soweit er die Prostitutionsfrage betrifft,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/628>, abgerufen am 23.07.2024.