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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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hat er sich "vom Linken umgarnen" lassen; größer als diesmal ist noch nie
die Gefahr gewesen, daß er sich auf einem Ritte befindet, der nichts mit
dein Siege, sondern mit der Vernichtung aller großen Errungenschaften
religiöser, politischer und wirtschaftlicher Art endet, die die Kultur West¬
europas ausmachen.

Nachschrift.

Der vorstehende Aufsatz war bereits dem Druck übergebe",
als die Welt durch die Nachricht von der an entscheidender Stelle eingetretueu
Wendung in Sachen des Volksschnigesetzes und von der Demission des preu¬
ßischen Kultusministers überrascht wurde. Das Gesetz dürfte damit, wenigstens,
wie wir vorsichtigerweise sage" wolle", menschlicher Berechnung nach, als zur
Zeit aufgegeben zu betrachten sein. Über die Ursache" und Folge", die Art
und Plötzlichkeit des Umschwunges enthalte" wir uns in diese", Augenblicke
jeglicher Äußerung. Nur eins wollen wir an dieser Stelle betonen: besondre
Ursache, das Scheitern des Gesetzes zu beklage", haben wir nicht! Wenn auch
seine Vorteile gegenüber dem bestehende" Zustande noch so bedeutend gewesen
wären, so wären sie doch niemals so groß gewesen, daß sie den Schaden auf¬
gewogen hätten, der darin lag, daß es der Liberalismus zu einem Vorwande
benutzte, seinen ersterbenden Einfluß auf das "Bürgertum in Stadt und Land"
neu zu beleben. Diese Möglichkeit ist dem Liberalismus nun geiiommen, das
Strohfeuer, das er sich an diesem Gesetzentwürfe entzündet hat, wird nun
um so schneller verlöschen, und trauernd werden die, die jetzt frohlocken, am
Grabe des gescheiterten Volksschulgesetzes sitzen, das auch ihre Hoffnungen mit
zu Grabe genommen hat. Wenn das erste Erstürmer vorüber sein wird, dann
werden die, denen es jetzt, wie zur Zeit des seligen Kulturkampfes, "eine Lust
zu leben" war, mit Schrecken erkennen, daß sie Zweck und Ziel ihres Daseins
verloren haben. Wir aber werden uns des guten alten Sprichworts erinnern:
Wer zuletzt lacht, lacht am besten!




Das Ättlichkeitsgesetz

er soeben denn Reichstage zugegangne "Entwurf eines Gesetzes
über Abänderung von Bestimmungen des Strafgesetzbuchs, des
Gerichtsverfassungsgesetzes und des Gesetzes vom 5. April 1888,
betreffend die nnter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfindenden
Gerichtsverhandlungen" hat, von wem weiß man nicht, den
überall angenommenen Name" des "Sittlichkeitsgesetzes" erhalten. Er wäre
damit gerichtet, wenn er nnr Anforderungen der Sitte oder der Sittlichkeit
durch das Gesetz erzwingen wollte. Glücklicherweise ist das nicht durchweg,


hat er sich „vom Linken umgarnen" lassen; größer als diesmal ist noch nie
die Gefahr gewesen, daß er sich auf einem Ritte befindet, der nichts mit
dein Siege, sondern mit der Vernichtung aller großen Errungenschaften
religiöser, politischer und wirtschaftlicher Art endet, die die Kultur West¬
europas ausmachen.

Nachschrift.

Der vorstehende Aufsatz war bereits dem Druck übergebe»,
als die Welt durch die Nachricht von der an entscheidender Stelle eingetretueu
Wendung in Sachen des Volksschnigesetzes und von der Demission des preu¬
ßischen Kultusministers überrascht wurde. Das Gesetz dürfte damit, wenigstens,
wie wir vorsichtigerweise sage» wolle», menschlicher Berechnung nach, als zur
Zeit aufgegeben zu betrachten sein. Über die Ursache» und Folge», die Art
und Plötzlichkeit des Umschwunges enthalte» wir uns in diese», Augenblicke
jeglicher Äußerung. Nur eins wollen wir an dieser Stelle betonen: besondre
Ursache, das Scheitern des Gesetzes zu beklage», haben wir nicht! Wenn auch
seine Vorteile gegenüber dem bestehende» Zustande noch so bedeutend gewesen
wären, so wären sie doch niemals so groß gewesen, daß sie den Schaden auf¬
gewogen hätten, der darin lag, daß es der Liberalismus zu einem Vorwande
benutzte, seinen ersterbenden Einfluß auf das „Bürgertum in Stadt und Land"
neu zu beleben. Diese Möglichkeit ist dem Liberalismus nun geiiommen, das
Strohfeuer, das er sich an diesem Gesetzentwürfe entzündet hat, wird nun
um so schneller verlöschen, und trauernd werden die, die jetzt frohlocken, am
Grabe des gescheiterten Volksschulgesetzes sitzen, das auch ihre Hoffnungen mit
zu Grabe genommen hat. Wenn das erste Erstürmer vorüber sein wird, dann
werden die, denen es jetzt, wie zur Zeit des seligen Kulturkampfes, „eine Lust
zu leben" war, mit Schrecken erkennen, daß sie Zweck und Ziel ihres Daseins
verloren haben. Wir aber werden uns des guten alten Sprichworts erinnern:
Wer zuletzt lacht, lacht am besten!




Das Ättlichkeitsgesetz

er soeben denn Reichstage zugegangne „Entwurf eines Gesetzes
über Abänderung von Bestimmungen des Strafgesetzbuchs, des
Gerichtsverfassungsgesetzes und des Gesetzes vom 5. April 1888,
betreffend die nnter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfindenden
Gerichtsverhandlungen" hat, von wem weiß man nicht, den
überall angenommenen Name» des „Sittlichkeitsgesetzes" erhalten. Er wäre
damit gerichtet, wenn er nnr Anforderungen der Sitte oder der Sittlichkeit
durch das Gesetz erzwingen wollte. Glücklicherweise ist das nicht durchweg,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/623>, abgerufen am 23.07.2024.