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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Seltsame Fortschritte

durch das Volk." Und seltsam, der Fürst, der vor hundert Jahren aus voller
Überzeugung seine Völker wider ihren Willen auf seine Fa?on glücklich machen
wollte und, nachdem sich in diesem Bemühen seine Kraft ausgezehrt hatte, sein
Lebenswerk scheitern sehen mußte, Joseph II,, wird noch immer von freisinnigen
Deutschen als das Ideal eines Herrschers verehrt. Vor dreißig Jahren sprach
der Historiker Ottokar Lorenz sein Erstaunen darüber aus, daß "einige nicht
müde würden, jenes Kaisers höchst verderblichen Negierungsmaximen Weihrauch
zu streuen." Und obgleich in der Zwischenzeit so viel neues Material zur
Charakteristik des unglücklichen Monarchen zu Tage gefördert worden ist, wollen
noch heute nur wenige einsehen, wie sehr gerade die zur Durchführung seiner
guten Absichten angewandten verkehrten Mittel eine gesunde Entwicklung des
Staatslebens erschwert haben.

Die angeführte" Worte von Lorenz stehen in einer Schrift "Joseph II.
und die belgische Revolution," die den Fachgenossen des Verfassers ohne Zweisel
wohlbekannt, in weitere Kreise, wenigstens des heutige" Geschlechts, aber
schwerlich gedrungen ist und doch so sehr verdiente, gelesen zu werde". Sie
teilt die geheimen Instruktionen des Kaisers für den Grafen Murray mit, der
im Jahre 1787 als Generalgouvemeur der österreichischen Niederlande die
Statthalter, Herzog Albert von Sachssn-Teschen und dessen Gemahlin, des
Kaisers Schwester Marie Christine, ersetzen mußte, weil sie sich nach des Kaisers
Allsicht zu nachgiebig benommen hatten. Für den Verlauf der dortigen Dinge
war die Sendung vou geringem Belang. Auch Murray entsprach Josephs Er¬
wartungen nicht, in raschem Wechsel folgten ihm Graf Trauttmansdorff und
der Jrländer General d'Akkon, und der Ausgang war, daß der Kaiser, nachdem
er sich herbeigelassen hatte, die Vermittlung des von ihm so schroff behandelten
Papstes anzurufen, auf dem Sterbebette die aufstäudischen Belgier als Sieger
und das Land sür Österreich verloren sah. Bietet der thatsächliche Inhalt der
Schrift nichts neues, so find doch die erwähnten Instruktionen von hohem
Werte für Vergangenheit und Gegenwart. Da es sich um die Herrschaft der
Habsburger in den Niederlanden handelt, stellt Lorenz in geistvoller Weise die
Erhebullgen des Volkes unter Philipp II, und unter Joseph II, neben einander
und findet, daß die beiden in ihren Zielen den stärksten Gegensatz bildenden
Regenten eben als solche doch die größte Ähnlichkeit mit einander haben.
Voll Philipp II. von Spanien haben es die Zeitgenossen als eine auffallende
Eigentümlichkeit seiner Regierung hervorgehoben, daß er die weitläufigen Ge¬
schäfte seines Staates in seinem Kabinett besorgte, ohne daß seine Minister
ihm dabei hilfreich zur Seite gestanden hätten. An seinem einfachen Schreib-
pulte liefen die Fäden der Regierung einer halben Welt zusammen, und hier
sanden die wichtigsten Fragen ihre Lösung durch die höchstpersönlichen Ent¬
schließungen des Königs, vou denen niemand sagen konnte oder wissen durfte,
welche Menschen und welche Umstände aus sie Einfluß genommen haben. Der


Seltsame Fortschritte

durch das Volk." Und seltsam, der Fürst, der vor hundert Jahren aus voller
Überzeugung seine Völker wider ihren Willen auf seine Fa?on glücklich machen
wollte und, nachdem sich in diesem Bemühen seine Kraft ausgezehrt hatte, sein
Lebenswerk scheitern sehen mußte, Joseph II,, wird noch immer von freisinnigen
Deutschen als das Ideal eines Herrschers verehrt. Vor dreißig Jahren sprach
der Historiker Ottokar Lorenz sein Erstaunen darüber aus, daß „einige nicht
müde würden, jenes Kaisers höchst verderblichen Negierungsmaximen Weihrauch
zu streuen." Und obgleich in der Zwischenzeit so viel neues Material zur
Charakteristik des unglücklichen Monarchen zu Tage gefördert worden ist, wollen
noch heute nur wenige einsehen, wie sehr gerade die zur Durchführung seiner
guten Absichten angewandten verkehrten Mittel eine gesunde Entwicklung des
Staatslebens erschwert haben.

Die angeführte» Worte von Lorenz stehen in einer Schrift „Joseph II.
und die belgische Revolution," die den Fachgenossen des Verfassers ohne Zweisel
wohlbekannt, in weitere Kreise, wenigstens des heutige» Geschlechts, aber
schwerlich gedrungen ist und doch so sehr verdiente, gelesen zu werde». Sie
teilt die geheimen Instruktionen des Kaisers für den Grafen Murray mit, der
im Jahre 1787 als Generalgouvemeur der österreichischen Niederlande die
Statthalter, Herzog Albert von Sachssn-Teschen und dessen Gemahlin, des
Kaisers Schwester Marie Christine, ersetzen mußte, weil sie sich nach des Kaisers
Allsicht zu nachgiebig benommen hatten. Für den Verlauf der dortigen Dinge
war die Sendung vou geringem Belang. Auch Murray entsprach Josephs Er¬
wartungen nicht, in raschem Wechsel folgten ihm Graf Trauttmansdorff und
der Jrländer General d'Akkon, und der Ausgang war, daß der Kaiser, nachdem
er sich herbeigelassen hatte, die Vermittlung des von ihm so schroff behandelten
Papstes anzurufen, auf dem Sterbebette die aufstäudischen Belgier als Sieger
und das Land sür Österreich verloren sah. Bietet der thatsächliche Inhalt der
Schrift nichts neues, so find doch die erwähnten Instruktionen von hohem
Werte für Vergangenheit und Gegenwart. Da es sich um die Herrschaft der
Habsburger in den Niederlanden handelt, stellt Lorenz in geistvoller Weise die
Erhebullgen des Volkes unter Philipp II, und unter Joseph II, neben einander
und findet, daß die beiden in ihren Zielen den stärksten Gegensatz bildenden
Regenten eben als solche doch die größte Ähnlichkeit mit einander haben.
Voll Philipp II. von Spanien haben es die Zeitgenossen als eine auffallende
Eigentümlichkeit seiner Regierung hervorgehoben, daß er die weitläufigen Ge¬
schäfte seines Staates in seinem Kabinett besorgte, ohne daß seine Minister
ihm dabei hilfreich zur Seite gestanden hätten. An seinem einfachen Schreib-
pulte liefen die Fäden der Regierung einer halben Welt zusammen, und hier
sanden die wichtigsten Fragen ihre Lösung durch die höchstpersönlichen Ent¬
schließungen des Königs, vou denen niemand sagen konnte oder wissen durfte,
welche Menschen und welche Umstände aus sie Einfluß genommen haben. Der


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[0061] Seltsame Fortschritte durch das Volk." Und seltsam, der Fürst, der vor hundert Jahren aus voller Überzeugung seine Völker wider ihren Willen auf seine Fa?on glücklich machen wollte und, nachdem sich in diesem Bemühen seine Kraft ausgezehrt hatte, sein Lebenswerk scheitern sehen mußte, Joseph II,, wird noch immer von freisinnigen Deutschen als das Ideal eines Herrschers verehrt. Vor dreißig Jahren sprach der Historiker Ottokar Lorenz sein Erstaunen darüber aus, daß „einige nicht müde würden, jenes Kaisers höchst verderblichen Negierungsmaximen Weihrauch zu streuen." Und obgleich in der Zwischenzeit so viel neues Material zur Charakteristik des unglücklichen Monarchen zu Tage gefördert worden ist, wollen noch heute nur wenige einsehen, wie sehr gerade die zur Durchführung seiner guten Absichten angewandten verkehrten Mittel eine gesunde Entwicklung des Staatslebens erschwert haben. Die angeführte» Worte von Lorenz stehen in einer Schrift „Joseph II. und die belgische Revolution," die den Fachgenossen des Verfassers ohne Zweisel wohlbekannt, in weitere Kreise, wenigstens des heutige» Geschlechts, aber schwerlich gedrungen ist und doch so sehr verdiente, gelesen zu werde». Sie teilt die geheimen Instruktionen des Kaisers für den Grafen Murray mit, der im Jahre 1787 als Generalgouvemeur der österreichischen Niederlande die Statthalter, Herzog Albert von Sachssn-Teschen und dessen Gemahlin, des Kaisers Schwester Marie Christine, ersetzen mußte, weil sie sich nach des Kaisers Allsicht zu nachgiebig benommen hatten. Für den Verlauf der dortigen Dinge war die Sendung vou geringem Belang. Auch Murray entsprach Josephs Er¬ wartungen nicht, in raschem Wechsel folgten ihm Graf Trauttmansdorff und der Jrländer General d'Akkon, und der Ausgang war, daß der Kaiser, nachdem er sich herbeigelassen hatte, die Vermittlung des von ihm so schroff behandelten Papstes anzurufen, auf dem Sterbebette die aufstäudischen Belgier als Sieger und das Land sür Österreich verloren sah. Bietet der thatsächliche Inhalt der Schrift nichts neues, so find doch die erwähnten Instruktionen von hohem Werte für Vergangenheit und Gegenwart. Da es sich um die Herrschaft der Habsburger in den Niederlanden handelt, stellt Lorenz in geistvoller Weise die Erhebullgen des Volkes unter Philipp II, und unter Joseph II, neben einander und findet, daß die beiden in ihren Zielen den stärksten Gegensatz bildenden Regenten eben als solche doch die größte Ähnlichkeit mit einander haben. Voll Philipp II. von Spanien haben es die Zeitgenossen als eine auffallende Eigentümlichkeit seiner Regierung hervorgehoben, daß er die weitläufigen Ge¬ schäfte seines Staates in seinem Kabinett besorgte, ohne daß seine Minister ihm dabei hilfreich zur Seite gestanden hätten. An seinem einfachen Schreib- pulte liefen die Fäden der Regierung einer halben Welt zusammen, und hier sanden die wichtigsten Fragen ihre Lösung durch die höchstpersönlichen Ent¬ schließungen des Königs, vou denen niemand sagen konnte oder wissen durfte, welche Menschen und welche Umstände aus sie Einfluß genommen haben. Der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/61>, abgerufen am 23.07.2024.