Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Alle diese Beispiele sind falsch, den" in allen stehen die Eigenschaftswörter in
verkehrter Reihenfolge. In einer Grammatik wird man schwerlich eine Regel
hierüber finden; ein Grammatiker denkt ja gar nicht daran, daß so etwas
falsch gemacht werden könne, der gewöhnlichste Mensch, der nie über Sprach¬
dinge nachgedacht hat, macht es ja von selber richtig. Aber in unsrer Schrift¬
sprache ist eben jetzt alles möglich, die selbstverständlichsten Dinge möchten be¬
sonders vorgeschrieben, vor den unglaublichsten Fehlern möchte besonders ge¬
warnt werdend)

In einzelnen Fällen, wo Erbe von ungenauen oder unrichtigen Regeln
meines Buches spricht, trägt er die Unrichtigkeit erst künstlich hinein,
um sie dann mit großem Ernst und großer Ausführlichkeit bekämpfen zu
können. So, wenn er mir unterschiebt, ich wollte Formen bilden wie anders
Geld (statt andres), dunkelr Wolken (statt dunkler)! Aus den Beispielen,
die ich anführe, geht doch zur Genüge hervor, in welchen Fällen ich bei den
Adjektivstämmen auf el und er das e des Stammes bewahrt und das der
Endung geopfert sehen will- nur in den Fällen, wo der Sprachgebrauch
schwankt. So, wenn er meine Auseinandersetzung über den unerkennbaren
Konjunktiv in Nebensätzen auf die Absichtssätze ausdehnt und auch das dann
umständlich bekämpft, während doch alle meine Beispiele deutlich zeigen,
daß ich nur die Jnhaltssätze im Auge gehabt habe! Gualt nicht aus solchen
absichtlichen Mißverständnissen ein bischen der Schulmeister heraus, der sich
auf dem Katheder harthörig stellt, wenn sich der Junge unten "ungenau"
oder "unrichtig" ausdrückt?

Grundverschieden fühlen wir, wenn Erbe behauptet, man könne auch einen
in seiner äußern Form unerkennbaren Konjunktiv der Gegenwart als Kon¬
junktiv fühlen, wo er zwischen erkennbaren Konjunktiven stehe; die regel¬
mäßige Ersetzung solcher unerkennbaren Konjunktive durch den Konjunktiv
des Präteritums beraube uns der Möglichkeit, die konditionale Ausdrucksweise
in abhängigen Sätzen deutlich zu machen. Es ist mir interessant gewesen,
gerade aus Schwaben noch von andrer Seite dasselbe aussprechen zu hören.
In einem kürzlich abgedruckten Grenzbotenaufsatze eines schwäbischen Mit¬
arbeiters stand in der Handschrift der Satz (übrigens neben vielen ähnlichen
Sätzen): "Einer der Anklagepunkte gegen die beiden Anwälte ging dahin, sie
haben sich einer Verletzung der dem Verteidiger obliegenden Pflichten dadurch
schuldig gemacht, daß sie die Angeklagten zur Verweigerung der Aussage zu
bestimmen versucht haben." Die Redaktion änderte beide haben in hätte"



*) Die angeführten Beispiele sind deshalb falsch, weil von zwei Eigenschaften einer Sache
die wesentlichere stets dem Hauptworte naher stehen muß, als die weniger wesentliche. Als
die wesentlichere Eigenschaft aber fühlt jeder natürlich fühlende Mensch die, die den Stoss
(hölzern, seiden) und die Herkunft (sächsisch, ausländisch) bezeichne"! die weniger
wesentlichen sind: jung, gesamt, groß, verblaßt.

Alle diese Beispiele sind falsch, den» in allen stehen die Eigenschaftswörter in
verkehrter Reihenfolge. In einer Grammatik wird man schwerlich eine Regel
hierüber finden; ein Grammatiker denkt ja gar nicht daran, daß so etwas
falsch gemacht werden könne, der gewöhnlichste Mensch, der nie über Sprach¬
dinge nachgedacht hat, macht es ja von selber richtig. Aber in unsrer Schrift¬
sprache ist eben jetzt alles möglich, die selbstverständlichsten Dinge möchten be¬
sonders vorgeschrieben, vor den unglaublichsten Fehlern möchte besonders ge¬
warnt werdend)

In einzelnen Fällen, wo Erbe von ungenauen oder unrichtigen Regeln
meines Buches spricht, trägt er die Unrichtigkeit erst künstlich hinein,
um sie dann mit großem Ernst und großer Ausführlichkeit bekämpfen zu
können. So, wenn er mir unterschiebt, ich wollte Formen bilden wie anders
Geld (statt andres), dunkelr Wolken (statt dunkler)! Aus den Beispielen,
die ich anführe, geht doch zur Genüge hervor, in welchen Fällen ich bei den
Adjektivstämmen auf el und er das e des Stammes bewahrt und das der
Endung geopfert sehen will- nur in den Fällen, wo der Sprachgebrauch
schwankt. So, wenn er meine Auseinandersetzung über den unerkennbaren
Konjunktiv in Nebensätzen auf die Absichtssätze ausdehnt und auch das dann
umständlich bekämpft, während doch alle meine Beispiele deutlich zeigen,
daß ich nur die Jnhaltssätze im Auge gehabt habe! Gualt nicht aus solchen
absichtlichen Mißverständnissen ein bischen der Schulmeister heraus, der sich
auf dem Katheder harthörig stellt, wenn sich der Junge unten „ungenau"
oder „unrichtig" ausdrückt?

Grundverschieden fühlen wir, wenn Erbe behauptet, man könne auch einen
in seiner äußern Form unerkennbaren Konjunktiv der Gegenwart als Kon¬
junktiv fühlen, wo er zwischen erkennbaren Konjunktiven stehe; die regel¬
mäßige Ersetzung solcher unerkennbaren Konjunktive durch den Konjunktiv
des Präteritums beraube uns der Möglichkeit, die konditionale Ausdrucksweise
in abhängigen Sätzen deutlich zu machen. Es ist mir interessant gewesen,
gerade aus Schwaben noch von andrer Seite dasselbe aussprechen zu hören.
In einem kürzlich abgedruckten Grenzbotenaufsatze eines schwäbischen Mit¬
arbeiters stand in der Handschrift der Satz (übrigens neben vielen ähnlichen
Sätzen): „Einer der Anklagepunkte gegen die beiden Anwälte ging dahin, sie
haben sich einer Verletzung der dem Verteidiger obliegenden Pflichten dadurch
schuldig gemacht, daß sie die Angeklagten zur Verweigerung der Aussage zu
bestimmen versucht haben." Die Redaktion änderte beide haben in hätte»



*) Die angeführten Beispiele sind deshalb falsch, weil von zwei Eigenschaften einer Sache
die wesentlichere stets dem Hauptworte naher stehen muß, als die weniger wesentliche. Als
die wesentlichere Eigenschaft aber fühlt jeder natürlich fühlende Mensch die, die den Stoss
(hölzern, seiden) und die Herkunft (sächsisch, ausländisch) bezeichne»! die weniger
wesentlichen sind: jung, gesamt, groß, verblaßt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0598" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211766"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1753" prev="#ID_1752"> Alle diese Beispiele sind falsch, den» in allen stehen die Eigenschaftswörter in<lb/>
verkehrter Reihenfolge. In einer Grammatik wird man schwerlich eine Regel<lb/>
hierüber finden; ein Grammatiker denkt ja gar nicht daran, daß so etwas<lb/>
falsch gemacht werden könne, der gewöhnlichste Mensch, der nie über Sprach¬<lb/>
dinge nachgedacht hat, macht es ja von selber richtig. Aber in unsrer Schrift¬<lb/>
sprache ist eben jetzt alles möglich, die selbstverständlichsten Dinge möchten be¬<lb/>
sonders vorgeschrieben, vor den unglaublichsten Fehlern möchte besonders ge¬<lb/>
warnt werdend)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1754"> In einzelnen Fällen, wo Erbe von ungenauen oder unrichtigen Regeln<lb/>
meines Buches spricht, trägt er die Unrichtigkeit erst künstlich hinein,<lb/>
um sie dann mit großem Ernst und großer Ausführlichkeit bekämpfen zu<lb/>
können. So, wenn er mir unterschiebt, ich wollte Formen bilden wie anders<lb/>
Geld (statt andres), dunkelr Wolken (statt dunkler)! Aus den Beispielen,<lb/>
die ich anführe, geht doch zur Genüge hervor, in welchen Fällen ich bei den<lb/>
Adjektivstämmen auf el und er das e des Stammes bewahrt und das der<lb/>
Endung geopfert sehen will- nur in den Fällen, wo der Sprachgebrauch<lb/>
schwankt. So, wenn er meine Auseinandersetzung über den unerkennbaren<lb/>
Konjunktiv in Nebensätzen auf die Absichtssätze ausdehnt und auch das dann<lb/>
umständlich bekämpft, während doch alle meine Beispiele deutlich zeigen,<lb/>
daß ich nur die Jnhaltssätze im Auge gehabt habe! Gualt nicht aus solchen<lb/>
absichtlichen Mißverständnissen ein bischen der Schulmeister heraus, der sich<lb/>
auf dem Katheder harthörig stellt, wenn sich der Junge unten &#x201E;ungenau"<lb/>
oder &#x201E;unrichtig" ausdrückt?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1755" next="#ID_1756"> Grundverschieden fühlen wir, wenn Erbe behauptet, man könne auch einen<lb/>
in seiner äußern Form unerkennbaren Konjunktiv der Gegenwart als Kon¬<lb/>
junktiv fühlen, wo er zwischen erkennbaren Konjunktiven stehe; die regel¬<lb/>
mäßige Ersetzung solcher unerkennbaren Konjunktive durch den Konjunktiv<lb/>
des Präteritums beraube uns der Möglichkeit, die konditionale Ausdrucksweise<lb/>
in abhängigen Sätzen deutlich zu machen. Es ist mir interessant gewesen,<lb/>
gerade aus Schwaben noch von andrer Seite dasselbe aussprechen zu hören.<lb/>
In einem kürzlich abgedruckten Grenzbotenaufsatze eines schwäbischen Mit¬<lb/>
arbeiters stand in der Handschrift der Satz (übrigens neben vielen ähnlichen<lb/>
Sätzen): &#x201E;Einer der Anklagepunkte gegen die beiden Anwälte ging dahin, sie<lb/>
haben sich einer Verletzung der dem Verteidiger obliegenden Pflichten dadurch<lb/>
schuldig gemacht, daß sie die Angeklagten zur Verweigerung der Aussage zu<lb/>
bestimmen versucht haben."  Die Redaktion änderte beide haben in hätte»</p><lb/>
          <note xml:id="FID_56" place="foot"> *) Die angeführten Beispiele sind deshalb falsch, weil von zwei Eigenschaften einer Sache<lb/>
die wesentlichere stets dem Hauptworte naher stehen muß, als die weniger wesentliche. Als<lb/>
die wesentlichere Eigenschaft aber fühlt jeder natürlich fühlende Mensch die, die den Stoss<lb/>
(hölzern, seiden) und die Herkunft (sächsisch, ausländisch) bezeichne»! die weniger<lb/>
wesentlichen sind: jung, gesamt, groß, verblaßt.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0598] Alle diese Beispiele sind falsch, den» in allen stehen die Eigenschaftswörter in verkehrter Reihenfolge. In einer Grammatik wird man schwerlich eine Regel hierüber finden; ein Grammatiker denkt ja gar nicht daran, daß so etwas falsch gemacht werden könne, der gewöhnlichste Mensch, der nie über Sprach¬ dinge nachgedacht hat, macht es ja von selber richtig. Aber in unsrer Schrift¬ sprache ist eben jetzt alles möglich, die selbstverständlichsten Dinge möchten be¬ sonders vorgeschrieben, vor den unglaublichsten Fehlern möchte besonders ge¬ warnt werdend) In einzelnen Fällen, wo Erbe von ungenauen oder unrichtigen Regeln meines Buches spricht, trägt er die Unrichtigkeit erst künstlich hinein, um sie dann mit großem Ernst und großer Ausführlichkeit bekämpfen zu können. So, wenn er mir unterschiebt, ich wollte Formen bilden wie anders Geld (statt andres), dunkelr Wolken (statt dunkler)! Aus den Beispielen, die ich anführe, geht doch zur Genüge hervor, in welchen Fällen ich bei den Adjektivstämmen auf el und er das e des Stammes bewahrt und das der Endung geopfert sehen will- nur in den Fällen, wo der Sprachgebrauch schwankt. So, wenn er meine Auseinandersetzung über den unerkennbaren Konjunktiv in Nebensätzen auf die Absichtssätze ausdehnt und auch das dann umständlich bekämpft, während doch alle meine Beispiele deutlich zeigen, daß ich nur die Jnhaltssätze im Auge gehabt habe! Gualt nicht aus solchen absichtlichen Mißverständnissen ein bischen der Schulmeister heraus, der sich auf dem Katheder harthörig stellt, wenn sich der Junge unten „ungenau" oder „unrichtig" ausdrückt? Grundverschieden fühlen wir, wenn Erbe behauptet, man könne auch einen in seiner äußern Form unerkennbaren Konjunktiv der Gegenwart als Kon¬ junktiv fühlen, wo er zwischen erkennbaren Konjunktiven stehe; die regel¬ mäßige Ersetzung solcher unerkennbaren Konjunktive durch den Konjunktiv des Präteritums beraube uns der Möglichkeit, die konditionale Ausdrucksweise in abhängigen Sätzen deutlich zu machen. Es ist mir interessant gewesen, gerade aus Schwaben noch von andrer Seite dasselbe aussprechen zu hören. In einem kürzlich abgedruckten Grenzbotenaufsatze eines schwäbischen Mit¬ arbeiters stand in der Handschrift der Satz (übrigens neben vielen ähnlichen Sätzen): „Einer der Anklagepunkte gegen die beiden Anwälte ging dahin, sie haben sich einer Verletzung der dem Verteidiger obliegenden Pflichten dadurch schuldig gemacht, daß sie die Angeklagten zur Verweigerung der Aussage zu bestimmen versucht haben." Die Redaktion änderte beide haben in hätte» *) Die angeführten Beispiele sind deshalb falsch, weil von zwei Eigenschaften einer Sache die wesentlichere stets dem Hauptworte naher stehen muß, als die weniger wesentliche. Als die wesentlichere Eigenschaft aber fühlt jeder natürlich fühlende Mensch die, die den Stoss (hölzern, seiden) und die Herkunft (sächsisch, ausländisch) bezeichne»! die weniger wesentlichen sind: jung, gesamt, groß, verblaßt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/598
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/598>, abgerufen am 23.07.2024.