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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Zu den Sprachdnmmheiten

Wenn ich auf alle Einzelheiten, die Erbe auf den fünfzig Seiten seines
Schriftchens vorbringt, eingehen wollte, fo könnte ich nun leicht wieder hundert
Seiten dagegen schreiben. Das hat natürlich keine" Zweck. Ich muß es dem Leser
überlasten, Erbes "Randbemerkungen" mit den ,,Sprachdummheiten" zu ver¬
gleichen, den behandelten Fragen selber weiter nachzugehen, selber weitere Beob¬
achtungen anzustellen und sich darnach 'zu entscheiden. Ich kann hier mir
wiederholen, was ich in der Einleitung gesagt habe: mein Buch will anregen,
die Augen offnen, das Sprachgewisfen anstacheln, es will ein Nvtmittel sein
gegen den vorhandnen Notstand. Für unfehlbar giebt es sich um so weniger
aus, als es sich darin zum guten Teil um Geschmackssragen handelt. Nur
auf einige Punkte, die mir noch allenfalls zu den wichtigern zu gehören
scheinen, möchte ich ein paar Worte erwidern.

Die Art, wie Erbe den hergebrachten Schulgebrauch zu verteidigen sucht,
jedes snbstantivirte Adjektiv oder Partizip, auch wenn Objekte oder adverbiale
Bestimmungen dabei stehen, mit dem großen Anfangsbuchstaben zu schreiben
(der tiefer Denkende, ein Medizin Studierender), scheint mir doch etwas
gekünstelt. Unsern Jungen wird gelehrt, daß Hauptwörter mit dem großen An-
fangsbuchstaben zu schreiben seien. Mag sein, wiewohl zu wünschen wäre, daß
dieser Gebrauch, den mir wir Deutschen haben, aus unsrer Schrift und unserm
Druck endlich einmal wegfiele. Wenn aber weiter gelehrt wird, in einer Ver¬
bindung wie "der tiefer denkende" werde das Partizip denkend zum Haupt¬
wort und müsse deshalb "groß" geschrieben werden, fo ist das, ich kann mir
nicht helfen, ein Verbrechen an der Logik und in der That ein beschämendes
Zeichen von der äußerlichen, mechanischen Art, wie in unserm Sprachunter¬
richt bisweilen (so habe ich geschrieben, nicht ,,bisher," wie Erbe sagt!) ver¬
fahren wird. Auf keine Weise wird mich Erbe überzeugen, daß in solchen Ver¬
bindungen das Partizip als Substantiv gefühlt (!) werden könne, auch nicht
als halbes Substantiv, wie Erbe will. Nicht das Partizip, sondern das Par¬
tizip samt seiner Bekleidung wird substantivirt. Deshalb ist es immer noch
das Erträglichere, zu schreibein der Tieferdenkende, ein Medizinstudie¬
render. Bequem mag es ja sein, die Jungen mit einer äußerlichen Vor¬
schrift abzuspeisen, aber zu scharfem Denken, zu feinem Sprachgefühl verhilft
das nicht, und das soll doch der Sprachunterricht vor allen Dingen.

Ganz unbegreiflich ist es mir , wie Erbe meine Regel , daß periodisch wieder¬
kehrende Handlungen, die durch alle in Verbindung mit einem Zahlwort aus¬
gedrückt werden, in gutem Deutsch im Genetiv stehen müßten (aller vierzehn
Tage), damit widerlegen zu können glaubt, daß er Stellen anführt wie aus
der Bibel: seine Eltern gingen alle Jahre gen Jerusalem auf das Osterfest --
oder aus dem bekannten Kinderliede: alle Jahre wieder kommt das Christus¬
kind. In diesen Beispielen handelt sichs allerdings auch um periodisch wieder¬
kehrende Handlungen, aber es wird das nicht besonders ausgedrückt; alle Jahre


Zu den Sprachdnmmheiten

Wenn ich auf alle Einzelheiten, die Erbe auf den fünfzig Seiten seines
Schriftchens vorbringt, eingehen wollte, fo könnte ich nun leicht wieder hundert
Seiten dagegen schreiben. Das hat natürlich keine» Zweck. Ich muß es dem Leser
überlasten, Erbes „Randbemerkungen" mit den ,,Sprachdummheiten" zu ver¬
gleichen, den behandelten Fragen selber weiter nachzugehen, selber weitere Beob¬
achtungen anzustellen und sich darnach 'zu entscheiden. Ich kann hier mir
wiederholen, was ich in der Einleitung gesagt habe: mein Buch will anregen,
die Augen offnen, das Sprachgewisfen anstacheln, es will ein Nvtmittel sein
gegen den vorhandnen Notstand. Für unfehlbar giebt es sich um so weniger
aus, als es sich darin zum guten Teil um Geschmackssragen handelt. Nur
auf einige Punkte, die mir noch allenfalls zu den wichtigern zu gehören
scheinen, möchte ich ein paar Worte erwidern.

Die Art, wie Erbe den hergebrachten Schulgebrauch zu verteidigen sucht,
jedes snbstantivirte Adjektiv oder Partizip, auch wenn Objekte oder adverbiale
Bestimmungen dabei stehen, mit dem großen Anfangsbuchstaben zu schreiben
(der tiefer Denkende, ein Medizin Studierender), scheint mir doch etwas
gekünstelt. Unsern Jungen wird gelehrt, daß Hauptwörter mit dem großen An-
fangsbuchstaben zu schreiben seien. Mag sein, wiewohl zu wünschen wäre, daß
dieser Gebrauch, den mir wir Deutschen haben, aus unsrer Schrift und unserm
Druck endlich einmal wegfiele. Wenn aber weiter gelehrt wird, in einer Ver¬
bindung wie „der tiefer denkende" werde das Partizip denkend zum Haupt¬
wort und müsse deshalb „groß" geschrieben werden, fo ist das, ich kann mir
nicht helfen, ein Verbrechen an der Logik und in der That ein beschämendes
Zeichen von der äußerlichen, mechanischen Art, wie in unserm Sprachunter¬
richt bisweilen (so habe ich geschrieben, nicht ,,bisher," wie Erbe sagt!) ver¬
fahren wird. Auf keine Weise wird mich Erbe überzeugen, daß in solchen Ver¬
bindungen das Partizip als Substantiv gefühlt (!) werden könne, auch nicht
als halbes Substantiv, wie Erbe will. Nicht das Partizip, sondern das Par¬
tizip samt seiner Bekleidung wird substantivirt. Deshalb ist es immer noch
das Erträglichere, zu schreibein der Tieferdenkende, ein Medizinstudie¬
render. Bequem mag es ja sein, die Jungen mit einer äußerlichen Vor¬
schrift abzuspeisen, aber zu scharfem Denken, zu feinem Sprachgefühl verhilft
das nicht, und das soll doch der Sprachunterricht vor allen Dingen.

Ganz unbegreiflich ist es mir , wie Erbe meine Regel , daß periodisch wieder¬
kehrende Handlungen, die durch alle in Verbindung mit einem Zahlwort aus¬
gedrückt werden, in gutem Deutsch im Genetiv stehen müßten (aller vierzehn
Tage), damit widerlegen zu können glaubt, daß er Stellen anführt wie aus
der Bibel: seine Eltern gingen alle Jahre gen Jerusalem auf das Osterfest —
oder aus dem bekannten Kinderliede: alle Jahre wieder kommt das Christus¬
kind. In diesen Beispielen handelt sichs allerdings auch um periodisch wieder¬
kehrende Handlungen, aber es wird das nicht besonders ausgedrückt; alle Jahre


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[0596] Zu den Sprachdnmmheiten Wenn ich auf alle Einzelheiten, die Erbe auf den fünfzig Seiten seines Schriftchens vorbringt, eingehen wollte, fo könnte ich nun leicht wieder hundert Seiten dagegen schreiben. Das hat natürlich keine» Zweck. Ich muß es dem Leser überlasten, Erbes „Randbemerkungen" mit den ,,Sprachdummheiten" zu ver¬ gleichen, den behandelten Fragen selber weiter nachzugehen, selber weitere Beob¬ achtungen anzustellen und sich darnach 'zu entscheiden. Ich kann hier mir wiederholen, was ich in der Einleitung gesagt habe: mein Buch will anregen, die Augen offnen, das Sprachgewisfen anstacheln, es will ein Nvtmittel sein gegen den vorhandnen Notstand. Für unfehlbar giebt es sich um so weniger aus, als es sich darin zum guten Teil um Geschmackssragen handelt. Nur auf einige Punkte, die mir noch allenfalls zu den wichtigern zu gehören scheinen, möchte ich ein paar Worte erwidern. Die Art, wie Erbe den hergebrachten Schulgebrauch zu verteidigen sucht, jedes snbstantivirte Adjektiv oder Partizip, auch wenn Objekte oder adverbiale Bestimmungen dabei stehen, mit dem großen Anfangsbuchstaben zu schreiben (der tiefer Denkende, ein Medizin Studierender), scheint mir doch etwas gekünstelt. Unsern Jungen wird gelehrt, daß Hauptwörter mit dem großen An- fangsbuchstaben zu schreiben seien. Mag sein, wiewohl zu wünschen wäre, daß dieser Gebrauch, den mir wir Deutschen haben, aus unsrer Schrift und unserm Druck endlich einmal wegfiele. Wenn aber weiter gelehrt wird, in einer Ver¬ bindung wie „der tiefer denkende" werde das Partizip denkend zum Haupt¬ wort und müsse deshalb „groß" geschrieben werden, fo ist das, ich kann mir nicht helfen, ein Verbrechen an der Logik und in der That ein beschämendes Zeichen von der äußerlichen, mechanischen Art, wie in unserm Sprachunter¬ richt bisweilen (so habe ich geschrieben, nicht ,,bisher," wie Erbe sagt!) ver¬ fahren wird. Auf keine Weise wird mich Erbe überzeugen, daß in solchen Ver¬ bindungen das Partizip als Substantiv gefühlt (!) werden könne, auch nicht als halbes Substantiv, wie Erbe will. Nicht das Partizip, sondern das Par¬ tizip samt seiner Bekleidung wird substantivirt. Deshalb ist es immer noch das Erträglichere, zu schreibein der Tieferdenkende, ein Medizinstudie¬ render. Bequem mag es ja sein, die Jungen mit einer äußerlichen Vor¬ schrift abzuspeisen, aber zu scharfem Denken, zu feinem Sprachgefühl verhilft das nicht, und das soll doch der Sprachunterricht vor allen Dingen. Ganz unbegreiflich ist es mir , wie Erbe meine Regel , daß periodisch wieder¬ kehrende Handlungen, die durch alle in Verbindung mit einem Zahlwort aus¬ gedrückt werden, in gutem Deutsch im Genetiv stehen müßten (aller vierzehn Tage), damit widerlegen zu können glaubt, daß er Stellen anführt wie aus der Bibel: seine Eltern gingen alle Jahre gen Jerusalem auf das Osterfest — oder aus dem bekannten Kinderliede: alle Jahre wieder kommt das Christus¬ kind. In diesen Beispielen handelt sichs allerdings auch um periodisch wieder¬ kehrende Handlungen, aber es wird das nicht besonders ausgedrückt; alle Jahre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/596>, abgerufen am 23.07.2024.