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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Die Schlacht bei Marathon

schließen, daß auf den Flügeln Joner, Inselgriechen und kleinasiatische Söldner
standen." 1), "Die auf beiden Flügeln geschlagner Feinde hatten sich nicht
mehr zum Kampfe gesammelt, sondern waren sogleich auf die Schiffe ge¬
flohen. Dies rührt wohl daher, daß sie größtenteils Griechen waren, die
von Anfang an nicht große Lust zum Kampfe gegen Stammgenossen hatten.
Herodot bezeichnet zwar die Fliehenden gleichfalls als Barbaren; aber auf
diese Bezeichnung ist kein Gewicht zu legen, zumal da nach seinem eignen Be¬
richte die Teilnahme von Jvnern, Äolern und Inselgriechen an dem Kriege
zweifellos ist." 12. Die Athener erbeuteten "nur sieben Schiffe, keineswegs
Kriegsschiffe, sondern Transportschiffe, die vielleicht schon vorher schadhaft
waren." 13. Der mühsam errungene Sieg "war mit schweren Opfern erkauft.
Herodot sagt, daß 192 Athener fielen . . . Ganz unglaublich aber erscheint
mir Herodots Angabe über den Verlust der Feinde. Er sagt, daß sie 6400
Tote hatten. Hier hat die Überlieferung gewaltig übertrieben." 14. "Der
sogenannte Perserkrieg vom Jahre 490 vor Christo ist nichts anders als
der Kampf mit einem vertriebenen Tyrannen. Der Augriff des Hippias
erfolgte, während Datis mit dein Hauptheere bereits auf dem Rückwege nach
Asien war." 15. "Herodot berichtet schließlich von den Spartanern, daß sie,
obgleich zu spät angelangt, Verlangen trugen, die Meder zu sehen; sie gingen
also nach Marathon und sahen sie; dann die Athener und ihre That lobend,
zogen sie wieder heim. Dieser Bericht ist eine Ausschmückung, die sich aus der
spätern Anffcisfnng ergab." 16. "In der bunten Halle ans dem athenischen
Marktplatze fand ein den Siegern schmeichelndes Gemälde der marathonischen
Schlacht Platz; es verstieß gegen die Wahrheit, wenn man auch Datis und
Artaphernes auf demselben darstellte."

Was die erste Behauptung anlangt, so ist kein Beweis dafür gebracht,
daß sich Herodot irre, wenn er sagt, der Perserkönig habe diejenigen Hellenen
unterwerfen lassen wollen, die ihm die Zeichen der Knechtschaft nicht über-
schicken wollten. Da nun auch keine innere Unwahrscheinliche in dieser weitern
Verfolgung der frühern persischen Politik liegt, so wird jeder unparteiische
Richter bei der Erzählung Herodots stehen bleiben.

Den zweiten Punkt können wir übergehen; es wäre freilich kein nationales
Unglück, wenn die Fahnen unsers Heeres statt unsrer Farben die Trikolore
Frankreichs trügen, aber es wäre das Symbol des größten nationalen Un¬
glücks, und ebenso stand es mit den Zeichen der Schmach, die Dareios von
Athen und Sparta verlangte.

Der dritte Punkt ist eine jener Anekdoten, wie sie große historische Er¬
eignisse gewissermaßen illustriren, und die allerdings, wenn auch gut überliefert,
doch uicht als so beglaubigt anzusehen sind, wie wichtige geschichtliche That¬
sachen, die auf dieselben Gewährsmänner zurückgehen, weil bei der Überlieferung
anekdotenhafter Erzählung die Phantasie eine große Rolle spielt. Wer sich


Die Schlacht bei Marathon

schließen, daß auf den Flügeln Joner, Inselgriechen und kleinasiatische Söldner
standen." 1), „Die auf beiden Flügeln geschlagner Feinde hatten sich nicht
mehr zum Kampfe gesammelt, sondern waren sogleich auf die Schiffe ge¬
flohen. Dies rührt wohl daher, daß sie größtenteils Griechen waren, die
von Anfang an nicht große Lust zum Kampfe gegen Stammgenossen hatten.
Herodot bezeichnet zwar die Fliehenden gleichfalls als Barbaren; aber auf
diese Bezeichnung ist kein Gewicht zu legen, zumal da nach seinem eignen Be¬
richte die Teilnahme von Jvnern, Äolern und Inselgriechen an dem Kriege
zweifellos ist." 12. Die Athener erbeuteten „nur sieben Schiffe, keineswegs
Kriegsschiffe, sondern Transportschiffe, die vielleicht schon vorher schadhaft
waren." 13. Der mühsam errungene Sieg „war mit schweren Opfern erkauft.
Herodot sagt, daß 192 Athener fielen . . . Ganz unglaublich aber erscheint
mir Herodots Angabe über den Verlust der Feinde. Er sagt, daß sie 6400
Tote hatten. Hier hat die Überlieferung gewaltig übertrieben." 14. „Der
sogenannte Perserkrieg vom Jahre 490 vor Christo ist nichts anders als
der Kampf mit einem vertriebenen Tyrannen. Der Augriff des Hippias
erfolgte, während Datis mit dein Hauptheere bereits auf dem Rückwege nach
Asien war." 15. „Herodot berichtet schließlich von den Spartanern, daß sie,
obgleich zu spät angelangt, Verlangen trugen, die Meder zu sehen; sie gingen
also nach Marathon und sahen sie; dann die Athener und ihre That lobend,
zogen sie wieder heim. Dieser Bericht ist eine Ausschmückung, die sich aus der
spätern Anffcisfnng ergab." 16. „In der bunten Halle ans dem athenischen
Marktplatze fand ein den Siegern schmeichelndes Gemälde der marathonischen
Schlacht Platz; es verstieß gegen die Wahrheit, wenn man auch Datis und
Artaphernes auf demselben darstellte."

Was die erste Behauptung anlangt, so ist kein Beweis dafür gebracht,
daß sich Herodot irre, wenn er sagt, der Perserkönig habe diejenigen Hellenen
unterwerfen lassen wollen, die ihm die Zeichen der Knechtschaft nicht über-
schicken wollten. Da nun auch keine innere Unwahrscheinliche in dieser weitern
Verfolgung der frühern persischen Politik liegt, so wird jeder unparteiische
Richter bei der Erzählung Herodots stehen bleiben.

Den zweiten Punkt können wir übergehen; es wäre freilich kein nationales
Unglück, wenn die Fahnen unsers Heeres statt unsrer Farben die Trikolore
Frankreichs trügen, aber es wäre das Symbol des größten nationalen Un¬
glücks, und ebenso stand es mit den Zeichen der Schmach, die Dareios von
Athen und Sparta verlangte.

Der dritte Punkt ist eine jener Anekdoten, wie sie große historische Er¬
eignisse gewissermaßen illustriren, und die allerdings, wenn auch gut überliefert,
doch uicht als so beglaubigt anzusehen sind, wie wichtige geschichtliche That¬
sachen, die auf dieselben Gewährsmänner zurückgehen, weil bei der Überlieferung
anekdotenhafter Erzählung die Phantasie eine große Rolle spielt. Wer sich


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[0589] Die Schlacht bei Marathon schließen, daß auf den Flügeln Joner, Inselgriechen und kleinasiatische Söldner standen." 1), „Die auf beiden Flügeln geschlagner Feinde hatten sich nicht mehr zum Kampfe gesammelt, sondern waren sogleich auf die Schiffe ge¬ flohen. Dies rührt wohl daher, daß sie größtenteils Griechen waren, die von Anfang an nicht große Lust zum Kampfe gegen Stammgenossen hatten. Herodot bezeichnet zwar die Fliehenden gleichfalls als Barbaren; aber auf diese Bezeichnung ist kein Gewicht zu legen, zumal da nach seinem eignen Be¬ richte die Teilnahme von Jvnern, Äolern und Inselgriechen an dem Kriege zweifellos ist." 12. Die Athener erbeuteten „nur sieben Schiffe, keineswegs Kriegsschiffe, sondern Transportschiffe, die vielleicht schon vorher schadhaft waren." 13. Der mühsam errungene Sieg „war mit schweren Opfern erkauft. Herodot sagt, daß 192 Athener fielen . . . Ganz unglaublich aber erscheint mir Herodots Angabe über den Verlust der Feinde. Er sagt, daß sie 6400 Tote hatten. Hier hat die Überlieferung gewaltig übertrieben." 14. „Der sogenannte Perserkrieg vom Jahre 490 vor Christo ist nichts anders als der Kampf mit einem vertriebenen Tyrannen. Der Augriff des Hippias erfolgte, während Datis mit dein Hauptheere bereits auf dem Rückwege nach Asien war." 15. „Herodot berichtet schließlich von den Spartanern, daß sie, obgleich zu spät angelangt, Verlangen trugen, die Meder zu sehen; sie gingen also nach Marathon und sahen sie; dann die Athener und ihre That lobend, zogen sie wieder heim. Dieser Bericht ist eine Ausschmückung, die sich aus der spätern Anffcisfnng ergab." 16. „In der bunten Halle ans dem athenischen Marktplatze fand ein den Siegern schmeichelndes Gemälde der marathonischen Schlacht Platz; es verstieß gegen die Wahrheit, wenn man auch Datis und Artaphernes auf demselben darstellte." Was die erste Behauptung anlangt, so ist kein Beweis dafür gebracht, daß sich Herodot irre, wenn er sagt, der Perserkönig habe diejenigen Hellenen unterwerfen lassen wollen, die ihm die Zeichen der Knechtschaft nicht über- schicken wollten. Da nun auch keine innere Unwahrscheinliche in dieser weitern Verfolgung der frühern persischen Politik liegt, so wird jeder unparteiische Richter bei der Erzählung Herodots stehen bleiben. Den zweiten Punkt können wir übergehen; es wäre freilich kein nationales Unglück, wenn die Fahnen unsers Heeres statt unsrer Farben die Trikolore Frankreichs trügen, aber es wäre das Symbol des größten nationalen Un¬ glücks, und ebenso stand es mit den Zeichen der Schmach, die Dareios von Athen und Sparta verlangte. Der dritte Punkt ist eine jener Anekdoten, wie sie große historische Er¬ eignisse gewissermaßen illustriren, und die allerdings, wenn auch gut überliefert, doch uicht als so beglaubigt anzusehen sind, wie wichtige geschichtliche That¬ sachen, die auf dieselben Gewährsmänner zurückgehen, weil bei der Überlieferung anekdotenhafter Erzählung die Phantasie eine große Rolle spielt. Wer sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/589>, abgerufen am 23.07.2024.