Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

er: "Nimmt mau zu dieser Sachlage noch die Thatsache hinzu, daß die Dampf¬
pfeife und das Nebelhorn von sehr geringem Nutzen sind, so scheint es, als
ob das Chaos wiedergekommen wäre -- so ist die Situation'im Nebel; denn
bei einer gewissen Beschaffenheit der Atmosphäre kann selbst eine Dampfpfeife
nicht genügend gehört werden. Außerdem aber sind treibende Wracks und
Eisberge zu befürchten, die weder Lichter führen noch auf Signale antworten.
Unter solchen Umständen ist es Tollheit (ing-ängss), während eines Nebels,
wo man oft den Bug des eignen Schiffes vom Heat aus uicht mehr sehen, noch
auf diese Entfernung ein Schallsignal hören kann, mit Volldampf zu rennen."

Die Mehrzahl der praktischen Seeleute der Konferenz war der Ansicht,
daß der dehnbare Begriff "mäßige Geschwindigkeit" festgesetzt werden müsse,
während es die Juristen der Konferenz für nötig hielten, jeden einzelnen Fall
"unter sorgfältiger Berücksichtigung der vorliegenden Umstände und Bedin¬
gungen" zu beurteilen und die jeweilige Mäßigung ganz dem Urteil des Ka¬
pitäns -- also wie bisher -- zu überlassen. Aber abgesehen davon, daß ein
vorsichtiger Schnelldampferkapitün seine Stellung ungern aufs Spiel setzt, giebt
es gerade unter den Seeleuten eine gute Zahl solcher, die es als einen der
schlimmsten Vorwürfe ansehen, die ihnen gemacht werden können, wenn man
ihnen sagt, sie seien zu vorsichtig. Andrerseits wird die heutige dehnbare
Fassung der Vorschrift für den Seemann dadurch von Nachteil, daß er trotz
umsichtigen Handelns auf Grund des Artikels 13 stets als schuldig befunden
werden kann; denn wenn z. V. der Schnelldampfer seine Geschwindigkeit auf
zehn Seemeilen gemüßigt hatte, so kaun das Seegericht stets sagen: in diesem
Falle hätte auf fünf Seemeilen gemäßigt werden müssen.

Die zweckmäßigsten Vorschläge in dieser Beziehung gingen von fran¬
zösischer Seite aus. Der Linienschiffskapitäu Richard von der französischen
Marine begründete die Notwendigkeit der Feststellung des Begriffs "mäßige
Geschwindigkeit" in folgender Weise: "Wie sind bei all den Nationen, die sich
mit der Nebelfrage beschäftigt haben, die Instruktionen für die Kriegsmarinen?
In England ist unter diesen Umständen die Geschwindigkeit auf vier oder fünf
Seemeilen festgesetzt. In der französischen Marine dürfen sechs Knoten nicht
überschritten werden. (Dieselbe Geschwindigkeit ist bei Nebel in der deutschen
Kriegsmarine befohlen.) Hierbei hat man es jedoch mit Offizieren zu thun,
die ihren Beruf vorzüglich kennen, besser als die Mehrzahl der über die Erde
verstreuten Handclsschiffskapitäue, und die vorzüglich mauövrirte Schiffe haben,
auf denen eine solche Wachsamkeit ausgeübt wird, wie man sie sich sür ein
Handelsschiff gar nicht träumen kann. Trotzdem beschränkt man sich darauf,
dem Führer des Handelsschiffs zu sagen: Wenn du Nebel hast, geh mit
mäßiger Geschwindigkeit, indem man seiner Schätzung die Umstände der Wit¬
terung und die Bestimmung der Geschwindigkeit überläßt. Ihm würve es
tausendmal lieber sein, wenn man ihm sagte: Du darfst bei so und so be-


er: „Nimmt mau zu dieser Sachlage noch die Thatsache hinzu, daß die Dampf¬
pfeife und das Nebelhorn von sehr geringem Nutzen sind, so scheint es, als
ob das Chaos wiedergekommen wäre — so ist die Situation'im Nebel; denn
bei einer gewissen Beschaffenheit der Atmosphäre kann selbst eine Dampfpfeife
nicht genügend gehört werden. Außerdem aber sind treibende Wracks und
Eisberge zu befürchten, die weder Lichter führen noch auf Signale antworten.
Unter solchen Umständen ist es Tollheit (ing-ängss), während eines Nebels,
wo man oft den Bug des eignen Schiffes vom Heat aus uicht mehr sehen, noch
auf diese Entfernung ein Schallsignal hören kann, mit Volldampf zu rennen."

Die Mehrzahl der praktischen Seeleute der Konferenz war der Ansicht,
daß der dehnbare Begriff „mäßige Geschwindigkeit" festgesetzt werden müsse,
während es die Juristen der Konferenz für nötig hielten, jeden einzelnen Fall
„unter sorgfältiger Berücksichtigung der vorliegenden Umstände und Bedin¬
gungen" zu beurteilen und die jeweilige Mäßigung ganz dem Urteil des Ka¬
pitäns — also wie bisher — zu überlassen. Aber abgesehen davon, daß ein
vorsichtiger Schnelldampferkapitün seine Stellung ungern aufs Spiel setzt, giebt
es gerade unter den Seeleuten eine gute Zahl solcher, die es als einen der
schlimmsten Vorwürfe ansehen, die ihnen gemacht werden können, wenn man
ihnen sagt, sie seien zu vorsichtig. Andrerseits wird die heutige dehnbare
Fassung der Vorschrift für den Seemann dadurch von Nachteil, daß er trotz
umsichtigen Handelns auf Grund des Artikels 13 stets als schuldig befunden
werden kann; denn wenn z. V. der Schnelldampfer seine Geschwindigkeit auf
zehn Seemeilen gemüßigt hatte, so kaun das Seegericht stets sagen: in diesem
Falle hätte auf fünf Seemeilen gemäßigt werden müssen.

Die zweckmäßigsten Vorschläge in dieser Beziehung gingen von fran¬
zösischer Seite aus. Der Linienschiffskapitäu Richard von der französischen
Marine begründete die Notwendigkeit der Feststellung des Begriffs „mäßige
Geschwindigkeit" in folgender Weise: „Wie sind bei all den Nationen, die sich
mit der Nebelfrage beschäftigt haben, die Instruktionen für die Kriegsmarinen?
In England ist unter diesen Umständen die Geschwindigkeit auf vier oder fünf
Seemeilen festgesetzt. In der französischen Marine dürfen sechs Knoten nicht
überschritten werden. (Dieselbe Geschwindigkeit ist bei Nebel in der deutschen
Kriegsmarine befohlen.) Hierbei hat man es jedoch mit Offizieren zu thun,
die ihren Beruf vorzüglich kennen, besser als die Mehrzahl der über die Erde
verstreuten Handclsschiffskapitäue, und die vorzüglich mauövrirte Schiffe haben,
auf denen eine solche Wachsamkeit ausgeübt wird, wie man sie sich sür ein
Handelsschiff gar nicht träumen kann. Trotzdem beschränkt man sich darauf,
dem Führer des Handelsschiffs zu sagen: Wenn du Nebel hast, geh mit
mäßiger Geschwindigkeit, indem man seiner Schätzung die Umstände der Wit¬
terung und die Bestimmung der Geschwindigkeit überläßt. Ihm würve es
tausendmal lieber sein, wenn man ihm sagte: Du darfst bei so und so be-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0582" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211750"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1695" prev="#ID_1694"> er: &#x201E;Nimmt mau zu dieser Sachlage noch die Thatsache hinzu, daß die Dampf¬<lb/>
pfeife und das Nebelhorn von sehr geringem Nutzen sind, so scheint es, als<lb/>
ob das Chaos wiedergekommen wäre &#x2014; so ist die Situation'im Nebel; denn<lb/>
bei einer gewissen Beschaffenheit der Atmosphäre kann selbst eine Dampfpfeife<lb/>
nicht genügend gehört werden. Außerdem aber sind treibende Wracks und<lb/>
Eisberge zu befürchten, die weder Lichter führen noch auf Signale antworten.<lb/>
Unter solchen Umständen ist es Tollheit (ing-ängss), während eines Nebels,<lb/>
wo man oft den Bug des eignen Schiffes vom Heat aus uicht mehr sehen, noch<lb/>
auf diese Entfernung ein Schallsignal hören kann, mit Volldampf zu rennen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1696"> Die Mehrzahl der praktischen Seeleute der Konferenz war der Ansicht,<lb/>
daß der dehnbare Begriff &#x201E;mäßige Geschwindigkeit" festgesetzt werden müsse,<lb/>
während es die Juristen der Konferenz für nötig hielten, jeden einzelnen Fall<lb/>
&#x201E;unter sorgfältiger Berücksichtigung der vorliegenden Umstände und Bedin¬<lb/>
gungen" zu beurteilen und die jeweilige Mäßigung ganz dem Urteil des Ka¬<lb/>
pitäns &#x2014; also wie bisher &#x2014; zu überlassen. Aber abgesehen davon, daß ein<lb/>
vorsichtiger Schnelldampferkapitün seine Stellung ungern aufs Spiel setzt, giebt<lb/>
es gerade unter den Seeleuten eine gute Zahl solcher, die es als einen der<lb/>
schlimmsten Vorwürfe ansehen, die ihnen gemacht werden können, wenn man<lb/>
ihnen sagt, sie seien zu vorsichtig. Andrerseits wird die heutige dehnbare<lb/>
Fassung der Vorschrift für den Seemann dadurch von Nachteil, daß er trotz<lb/>
umsichtigen Handelns auf Grund des Artikels 13 stets als schuldig befunden<lb/>
werden kann; denn wenn z. V. der Schnelldampfer seine Geschwindigkeit auf<lb/>
zehn Seemeilen gemüßigt hatte, so kaun das Seegericht stets sagen: in diesem<lb/>
Falle hätte auf fünf Seemeilen gemäßigt werden müssen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1697" next="#ID_1698"> Die zweckmäßigsten Vorschläge in dieser Beziehung gingen von fran¬<lb/>
zösischer Seite aus. Der Linienschiffskapitäu Richard von der französischen<lb/>
Marine begründete die Notwendigkeit der Feststellung des Begriffs &#x201E;mäßige<lb/>
Geschwindigkeit" in folgender Weise: &#x201E;Wie sind bei all den Nationen, die sich<lb/>
mit der Nebelfrage beschäftigt haben, die Instruktionen für die Kriegsmarinen?<lb/>
In England ist unter diesen Umständen die Geschwindigkeit auf vier oder fünf<lb/>
Seemeilen festgesetzt. In der französischen Marine dürfen sechs Knoten nicht<lb/>
überschritten werden. (Dieselbe Geschwindigkeit ist bei Nebel in der deutschen<lb/>
Kriegsmarine befohlen.) Hierbei hat man es jedoch mit Offizieren zu thun,<lb/>
die ihren Beruf vorzüglich kennen, besser als die Mehrzahl der über die Erde<lb/>
verstreuten Handclsschiffskapitäue, und die vorzüglich mauövrirte Schiffe haben,<lb/>
auf denen eine solche Wachsamkeit ausgeübt wird, wie man sie sich sür ein<lb/>
Handelsschiff gar nicht träumen kann. Trotzdem beschränkt man sich darauf,<lb/>
dem Führer des Handelsschiffs zu sagen: Wenn du Nebel hast, geh mit<lb/>
mäßiger Geschwindigkeit, indem man seiner Schätzung die Umstände der Wit¬<lb/>
terung und die Bestimmung der Geschwindigkeit überläßt. Ihm würve es<lb/>
tausendmal lieber sein, wenn man ihm sagte: Du darfst bei so und so be-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0582] er: „Nimmt mau zu dieser Sachlage noch die Thatsache hinzu, daß die Dampf¬ pfeife und das Nebelhorn von sehr geringem Nutzen sind, so scheint es, als ob das Chaos wiedergekommen wäre — so ist die Situation'im Nebel; denn bei einer gewissen Beschaffenheit der Atmosphäre kann selbst eine Dampfpfeife nicht genügend gehört werden. Außerdem aber sind treibende Wracks und Eisberge zu befürchten, die weder Lichter führen noch auf Signale antworten. Unter solchen Umständen ist es Tollheit (ing-ängss), während eines Nebels, wo man oft den Bug des eignen Schiffes vom Heat aus uicht mehr sehen, noch auf diese Entfernung ein Schallsignal hören kann, mit Volldampf zu rennen." Die Mehrzahl der praktischen Seeleute der Konferenz war der Ansicht, daß der dehnbare Begriff „mäßige Geschwindigkeit" festgesetzt werden müsse, während es die Juristen der Konferenz für nötig hielten, jeden einzelnen Fall „unter sorgfältiger Berücksichtigung der vorliegenden Umstände und Bedin¬ gungen" zu beurteilen und die jeweilige Mäßigung ganz dem Urteil des Ka¬ pitäns — also wie bisher — zu überlassen. Aber abgesehen davon, daß ein vorsichtiger Schnelldampferkapitün seine Stellung ungern aufs Spiel setzt, giebt es gerade unter den Seeleuten eine gute Zahl solcher, die es als einen der schlimmsten Vorwürfe ansehen, die ihnen gemacht werden können, wenn man ihnen sagt, sie seien zu vorsichtig. Andrerseits wird die heutige dehnbare Fassung der Vorschrift für den Seemann dadurch von Nachteil, daß er trotz umsichtigen Handelns auf Grund des Artikels 13 stets als schuldig befunden werden kann; denn wenn z. V. der Schnelldampfer seine Geschwindigkeit auf zehn Seemeilen gemüßigt hatte, so kaun das Seegericht stets sagen: in diesem Falle hätte auf fünf Seemeilen gemäßigt werden müssen. Die zweckmäßigsten Vorschläge in dieser Beziehung gingen von fran¬ zösischer Seite aus. Der Linienschiffskapitäu Richard von der französischen Marine begründete die Notwendigkeit der Feststellung des Begriffs „mäßige Geschwindigkeit" in folgender Weise: „Wie sind bei all den Nationen, die sich mit der Nebelfrage beschäftigt haben, die Instruktionen für die Kriegsmarinen? In England ist unter diesen Umständen die Geschwindigkeit auf vier oder fünf Seemeilen festgesetzt. In der französischen Marine dürfen sechs Knoten nicht überschritten werden. (Dieselbe Geschwindigkeit ist bei Nebel in der deutschen Kriegsmarine befohlen.) Hierbei hat man es jedoch mit Offizieren zu thun, die ihren Beruf vorzüglich kennen, besser als die Mehrzahl der über die Erde verstreuten Handclsschiffskapitäue, und die vorzüglich mauövrirte Schiffe haben, auf denen eine solche Wachsamkeit ausgeübt wird, wie man sie sich sür ein Handelsschiff gar nicht träumen kann. Trotzdem beschränkt man sich darauf, dem Führer des Handelsschiffs zu sagen: Wenn du Nebel hast, geh mit mäßiger Geschwindigkeit, indem man seiner Schätzung die Umstände der Wit¬ terung und die Bestimmung der Geschwindigkeit überläßt. Ihm würve es tausendmal lieber sein, wenn man ihm sagte: Du darfst bei so und so be-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/582
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/582>, abgerufen am 23.07.2024.