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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Das Straßenrecht zur See und seine Mängel

um Stundenunterschiede, wenn man von guter oder schlechter Reise spricht.
Die Dampfergesellschaften wollen natürlich nur Kapitäne haben, die "gute" Reisen
machen, damit sie ihre Kvnkurrenzlinien überflügeln können. An genügender
Auswahl an Personal fehlt es auch nicht, da diese Stellen besser bezahlt
werden als die eines kommandirenden Generals oder Admirals (merkwürdiger¬
weise fordert man noch heutiges Tages von diesen Kapitänen, denen etwa
zweitausend Menschenleben und Schiff und Waren von Millionen an Wert
anvertraut sind, nur dieselben nautisch-wissenschaftlichen Kenntnisse, wie von
dem Führer eines Schoners mit etwa sechs Mann Besatzung). Jede Mäßigung
der Geschwindigkeit bei Nebel hat kostbaren Zeitverlust zur Folge; ein vor¬
sichtiger Kapitän riskirt daher, daß seine Gesellschaft ihn achselzuckend entläßt,
weil er "schlechte" Reisen macht.

Die hier angeführten Mißstände wurden nun auch auf der internationalen
Marinekonferenz sehr eingehend besprochen. Besonders interessant sind die
Äußerungen des norwegischen Abgeordneten, des Segelschiffskapitän Flood.
Dieser sagte: "Die größte Gefahr der Schifffahrt, die ich kenne, ist die, während
eines Nebels in die Nähe eines der Ozeanrenner oder Windhunde, wie sie
treffend genannt werden, zu kommen, die sorglos, mit Volldampf oder was
sie "mäßige" Geschwindigkeit nennen (ein oder zwei Knoten weniger in der
Stunde oder ein paar nichtssagende Umdrehungen der Maschine weniger in der
Minute), den Ozean kreuzen unter dem wohlbekannten Verfahren, das seine schärfste
(rentrer "utting) Charakteristik in folgendem Ausruf findet, der von der Kom¬
mandobrücke eines dieser Prachtschiffe gekommen sein soll: "Himmel, Hölle oder
Newyork in sieben Tagen ist meine Ordre!" Sie sausen dahin wie ein Blitz¬
schlag, und wenn sie ein einsames Fahrzeug im Nebel tötlich treffen, so sind
sie schließlich durch ihre eigne Geschwindigkeit verhindert, Beistand zu leisten
oder Menschenleben zu retten. In ein bis zwei Sekunden zersplittert der
Bug eines solchen Schiffes das unglückliche Fahrzeug, das seinen Weg kreuzt,
von einer Bordwand zur andern -- ganz gleichgültig, ob es eine einsame
Fischerschmack mit ein paar Mann an Bord oder einer der großen Postdampfer
war, die die Bevölkerung einer Stadt tragen." Flood führt anch eine Rede
des Amerikaners Cheney an, worin dieser von dem Wahnsinn (or^v) des
Wettrennens über den atlantischen Ozean spricht, das nur den Zweck habe,
vielleicht eine Stunde (auf einer Reise von dreitausend Seemeilen) eher als
ein andrer anzukommen. Dann sagt er: "Dieser Wahnsinn wird solange fort¬
geführt werden, glaube ich, bis eines Tages die ganze Welt erbleicht vor
Schrecken infolge eines Seeunfalls, wenn zwei Seewindhnnde (oesW-ArsMonnäs)
im Nebel zusammenstoßen mit einer gemeinsamen Geschwindigkeit von vielleicht
fttnfnndvierzig Seemeilen (^- dreiundachtzig Kilometer) in der Stunde oder
einer Seemeile in weniger als anderthalb Minuten und Tausende voll
Menschen die Strafe solcher Narrheit (woliZniiöss) zahlen." Weiter bemerkt


Das Straßenrecht zur See und seine Mängel

um Stundenunterschiede, wenn man von guter oder schlechter Reise spricht.
Die Dampfergesellschaften wollen natürlich nur Kapitäne haben, die „gute" Reisen
machen, damit sie ihre Kvnkurrenzlinien überflügeln können. An genügender
Auswahl an Personal fehlt es auch nicht, da diese Stellen besser bezahlt
werden als die eines kommandirenden Generals oder Admirals (merkwürdiger¬
weise fordert man noch heutiges Tages von diesen Kapitänen, denen etwa
zweitausend Menschenleben und Schiff und Waren von Millionen an Wert
anvertraut sind, nur dieselben nautisch-wissenschaftlichen Kenntnisse, wie von
dem Führer eines Schoners mit etwa sechs Mann Besatzung). Jede Mäßigung
der Geschwindigkeit bei Nebel hat kostbaren Zeitverlust zur Folge; ein vor¬
sichtiger Kapitän riskirt daher, daß seine Gesellschaft ihn achselzuckend entläßt,
weil er „schlechte" Reisen macht.

Die hier angeführten Mißstände wurden nun auch auf der internationalen
Marinekonferenz sehr eingehend besprochen. Besonders interessant sind die
Äußerungen des norwegischen Abgeordneten, des Segelschiffskapitän Flood.
Dieser sagte: „Die größte Gefahr der Schifffahrt, die ich kenne, ist die, während
eines Nebels in die Nähe eines der Ozeanrenner oder Windhunde, wie sie
treffend genannt werden, zu kommen, die sorglos, mit Volldampf oder was
sie „mäßige" Geschwindigkeit nennen (ein oder zwei Knoten weniger in der
Stunde oder ein paar nichtssagende Umdrehungen der Maschine weniger in der
Minute), den Ozean kreuzen unter dem wohlbekannten Verfahren, das seine schärfste
(rentrer «utting) Charakteristik in folgendem Ausruf findet, der von der Kom¬
mandobrücke eines dieser Prachtschiffe gekommen sein soll: »Himmel, Hölle oder
Newyork in sieben Tagen ist meine Ordre!« Sie sausen dahin wie ein Blitz¬
schlag, und wenn sie ein einsames Fahrzeug im Nebel tötlich treffen, so sind
sie schließlich durch ihre eigne Geschwindigkeit verhindert, Beistand zu leisten
oder Menschenleben zu retten. In ein bis zwei Sekunden zersplittert der
Bug eines solchen Schiffes das unglückliche Fahrzeug, das seinen Weg kreuzt,
von einer Bordwand zur andern — ganz gleichgültig, ob es eine einsame
Fischerschmack mit ein paar Mann an Bord oder einer der großen Postdampfer
war, die die Bevölkerung einer Stadt tragen." Flood führt anch eine Rede
des Amerikaners Cheney an, worin dieser von dem Wahnsinn (or^v) des
Wettrennens über den atlantischen Ozean spricht, das nur den Zweck habe,
vielleicht eine Stunde (auf einer Reise von dreitausend Seemeilen) eher als
ein andrer anzukommen. Dann sagt er: „Dieser Wahnsinn wird solange fort¬
geführt werden, glaube ich, bis eines Tages die ganze Welt erbleicht vor
Schrecken infolge eines Seeunfalls, wenn zwei Seewindhnnde (oesW-ArsMonnäs)
im Nebel zusammenstoßen mit einer gemeinsamen Geschwindigkeit von vielleicht
fttnfnndvierzig Seemeilen (^- dreiundachtzig Kilometer) in der Stunde oder
einer Seemeile in weniger als anderthalb Minuten und Tausende voll
Menschen die Strafe solcher Narrheit (woliZniiöss) zahlen." Weiter bemerkt


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[0581] Das Straßenrecht zur See und seine Mängel um Stundenunterschiede, wenn man von guter oder schlechter Reise spricht. Die Dampfergesellschaften wollen natürlich nur Kapitäne haben, die „gute" Reisen machen, damit sie ihre Kvnkurrenzlinien überflügeln können. An genügender Auswahl an Personal fehlt es auch nicht, da diese Stellen besser bezahlt werden als die eines kommandirenden Generals oder Admirals (merkwürdiger¬ weise fordert man noch heutiges Tages von diesen Kapitänen, denen etwa zweitausend Menschenleben und Schiff und Waren von Millionen an Wert anvertraut sind, nur dieselben nautisch-wissenschaftlichen Kenntnisse, wie von dem Führer eines Schoners mit etwa sechs Mann Besatzung). Jede Mäßigung der Geschwindigkeit bei Nebel hat kostbaren Zeitverlust zur Folge; ein vor¬ sichtiger Kapitän riskirt daher, daß seine Gesellschaft ihn achselzuckend entläßt, weil er „schlechte" Reisen macht. Die hier angeführten Mißstände wurden nun auch auf der internationalen Marinekonferenz sehr eingehend besprochen. Besonders interessant sind die Äußerungen des norwegischen Abgeordneten, des Segelschiffskapitän Flood. Dieser sagte: „Die größte Gefahr der Schifffahrt, die ich kenne, ist die, während eines Nebels in die Nähe eines der Ozeanrenner oder Windhunde, wie sie treffend genannt werden, zu kommen, die sorglos, mit Volldampf oder was sie „mäßige" Geschwindigkeit nennen (ein oder zwei Knoten weniger in der Stunde oder ein paar nichtssagende Umdrehungen der Maschine weniger in der Minute), den Ozean kreuzen unter dem wohlbekannten Verfahren, das seine schärfste (rentrer «utting) Charakteristik in folgendem Ausruf findet, der von der Kom¬ mandobrücke eines dieser Prachtschiffe gekommen sein soll: »Himmel, Hölle oder Newyork in sieben Tagen ist meine Ordre!« Sie sausen dahin wie ein Blitz¬ schlag, und wenn sie ein einsames Fahrzeug im Nebel tötlich treffen, so sind sie schließlich durch ihre eigne Geschwindigkeit verhindert, Beistand zu leisten oder Menschenleben zu retten. In ein bis zwei Sekunden zersplittert der Bug eines solchen Schiffes das unglückliche Fahrzeug, das seinen Weg kreuzt, von einer Bordwand zur andern — ganz gleichgültig, ob es eine einsame Fischerschmack mit ein paar Mann an Bord oder einer der großen Postdampfer war, die die Bevölkerung einer Stadt tragen." Flood führt anch eine Rede des Amerikaners Cheney an, worin dieser von dem Wahnsinn (or^v) des Wettrennens über den atlantischen Ozean spricht, das nur den Zweck habe, vielleicht eine Stunde (auf einer Reise von dreitausend Seemeilen) eher als ein andrer anzukommen. Dann sagt er: „Dieser Wahnsinn wird solange fort¬ geführt werden, glaube ich, bis eines Tages die ganze Welt erbleicht vor Schrecken infolge eines Seeunfalls, wenn zwei Seewindhnnde (oesW-ArsMonnäs) im Nebel zusammenstoßen mit einer gemeinsamen Geschwindigkeit von vielleicht fttnfnndvierzig Seemeilen (^- dreiundachtzig Kilometer) in der Stunde oder einer Seemeile in weniger als anderthalb Minuten und Tausende voll Menschen die Strafe solcher Narrheit (woliZniiöss) zahlen." Weiter bemerkt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/581>, abgerufen am 23.07.2024.