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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Das Straßenrecht zur See und seine Mängel

schrift (Artikel 13): Jedes Schiff, einerlei ob Segelschiff oder Dampfschiff,
muß bei Nebel, dickem Wetter oder Schneefall mit mäßiger Geschwindigkeit
fahren. Dieser Artikel -- der noch zum Überfluß die dem Seemann besonders
verhaßte Zahl 13 trügt -- ist der wundeste Punkt des heutigen Straßenrechts
zur See. Er überläßt die Mäßigung der Geschwindigkeit dem Belieben jedes
Einzelnen. Dem Wortlaute des Gesetzes geschieht Genüge, wenn die Schiffs¬
maschine bei Eintritt des Nebels ein paar Umdrehungen in der Minute weniger
macht. So halten denn Führer von Schiffen, die zwanzig Seemeilen lau¬
fen, schon sechzehn Seemeilen in der Stunde für eine "mäßige" Geschwin¬
digkeit, während Kapitäne von Schiffen, die zehn Seemeilen machen, schon
sieben Seemeilen für "mäßig" erklären. Allen Fachleuten ist es bekannt und
in England und Frankreich auch oft genug von solchen ausgesprochen worden,
daß Artikel 13 gerade seiner unbestimmten Fassung halber keinen Schutz
gewährt. Von den Interessenten der Schnelldampferlinien ist geradezu der
Wunsch nach Aufhebung dieses Artikels ausgesprochen worden, und zwar unter
folgender Begründung: die Schnelldampfer seien manövrirfähiger, was that¬
sächlich wegen ihrer meist sehr beträchtlichen Länge nicht zutrifft. Ferner sollen
sie das Risiko des Zusammenstoßes vermindern, weil sie schneller durch den
Nebel kommen; auch das ist entschieden kein stichhaltiger Grund, wenn man
bedenkt, daß das Risiko dadurch vermehrt wird, daß beim Passiren eines ent¬
gegenkommenden Schiffs viel weniger Zeit zur Ausführung von Ausweich¬
manövern übrig bleibt. Ferner soll bei einem Zusammenstoß der Schnell¬
dampfer größere Aussicht haben, die geringere Verletzung davonzutragen; dies
ist gewiß ein geringer Trost für das Schiff, das von ihm überrennt wird.
Ferner halten sich die Schnelldampfergesellschaften wegen der technischen
Vollkommenheit und des ausgesucht tüchtigen und zahlreichen Personals
ihrer Schiffe zu schnellem Fahren selbst bei Nebel berechtigt. Schließlich heißt
es -- und das ist der wichtigste Punkt --: der Schnelldampfer darf der Kon¬
kurrenten wegen nicht auf seine Geschwindigkeit verzichten, er muß das Gesetz
brechen; und das wird dadurch erleichtert, daß sich niemand darum kümmert,
ob die Geschwindigkeit zweckentsprechend gemäßigt worden ist, es sei denn, daß
sich ein Unfall ereignet, der die gesetzliche Untersuchung po8t. t'68wir nach den
darüber bestehenden Vorschriften -- in Deutschland durch die sogenannten
Secämter -- zur Folge haben muß.

Darüber muß sich der Laie, besonders als Passagier eines Schnelldampfers,
vor allem klar werden, daß er einen sehr verkehrten Schluß zieht, wenn er
sich sagt: der Kapitän und die übrigen Seeleute haben ihr Leben auch lieb,
folglich werden sie schon aus Selbsterhaltungstrieb uns Landratten so gut als
möglich schützen. Das trifft heutiges Tages vor allem auf den Schnell¬
dampfern nicht mehr zu; da steht der Kapitän uuter dem Drucke, schnelle
Reisen machen zu müssen. Bei dem Ozeanwettlauf handelt sichs heute schon


Das Straßenrecht zur See und seine Mängel

schrift (Artikel 13): Jedes Schiff, einerlei ob Segelschiff oder Dampfschiff,
muß bei Nebel, dickem Wetter oder Schneefall mit mäßiger Geschwindigkeit
fahren. Dieser Artikel — der noch zum Überfluß die dem Seemann besonders
verhaßte Zahl 13 trügt — ist der wundeste Punkt des heutigen Straßenrechts
zur See. Er überläßt die Mäßigung der Geschwindigkeit dem Belieben jedes
Einzelnen. Dem Wortlaute des Gesetzes geschieht Genüge, wenn die Schiffs¬
maschine bei Eintritt des Nebels ein paar Umdrehungen in der Minute weniger
macht. So halten denn Führer von Schiffen, die zwanzig Seemeilen lau¬
fen, schon sechzehn Seemeilen in der Stunde für eine „mäßige" Geschwin¬
digkeit, während Kapitäne von Schiffen, die zehn Seemeilen machen, schon
sieben Seemeilen für „mäßig" erklären. Allen Fachleuten ist es bekannt und
in England und Frankreich auch oft genug von solchen ausgesprochen worden,
daß Artikel 13 gerade seiner unbestimmten Fassung halber keinen Schutz
gewährt. Von den Interessenten der Schnelldampferlinien ist geradezu der
Wunsch nach Aufhebung dieses Artikels ausgesprochen worden, und zwar unter
folgender Begründung: die Schnelldampfer seien manövrirfähiger, was that¬
sächlich wegen ihrer meist sehr beträchtlichen Länge nicht zutrifft. Ferner sollen
sie das Risiko des Zusammenstoßes vermindern, weil sie schneller durch den
Nebel kommen; auch das ist entschieden kein stichhaltiger Grund, wenn man
bedenkt, daß das Risiko dadurch vermehrt wird, daß beim Passiren eines ent¬
gegenkommenden Schiffs viel weniger Zeit zur Ausführung von Ausweich¬
manövern übrig bleibt. Ferner soll bei einem Zusammenstoß der Schnell¬
dampfer größere Aussicht haben, die geringere Verletzung davonzutragen; dies
ist gewiß ein geringer Trost für das Schiff, das von ihm überrennt wird.
Ferner halten sich die Schnelldampfergesellschaften wegen der technischen
Vollkommenheit und des ausgesucht tüchtigen und zahlreichen Personals
ihrer Schiffe zu schnellem Fahren selbst bei Nebel berechtigt. Schließlich heißt
es — und das ist der wichtigste Punkt —: der Schnelldampfer darf der Kon¬
kurrenten wegen nicht auf seine Geschwindigkeit verzichten, er muß das Gesetz
brechen; und das wird dadurch erleichtert, daß sich niemand darum kümmert,
ob die Geschwindigkeit zweckentsprechend gemäßigt worden ist, es sei denn, daß
sich ein Unfall ereignet, der die gesetzliche Untersuchung po8t. t'68wir nach den
darüber bestehenden Vorschriften — in Deutschland durch die sogenannten
Secämter — zur Folge haben muß.

Darüber muß sich der Laie, besonders als Passagier eines Schnelldampfers,
vor allem klar werden, daß er einen sehr verkehrten Schluß zieht, wenn er
sich sagt: der Kapitän und die übrigen Seeleute haben ihr Leben auch lieb,
folglich werden sie schon aus Selbsterhaltungstrieb uns Landratten so gut als
möglich schützen. Das trifft heutiges Tages vor allem auf den Schnell¬
dampfern nicht mehr zu; da steht der Kapitän uuter dem Drucke, schnelle
Reisen machen zu müssen. Bei dem Ozeanwettlauf handelt sichs heute schon


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[0580] Das Straßenrecht zur See und seine Mängel schrift (Artikel 13): Jedes Schiff, einerlei ob Segelschiff oder Dampfschiff, muß bei Nebel, dickem Wetter oder Schneefall mit mäßiger Geschwindigkeit fahren. Dieser Artikel — der noch zum Überfluß die dem Seemann besonders verhaßte Zahl 13 trügt — ist der wundeste Punkt des heutigen Straßenrechts zur See. Er überläßt die Mäßigung der Geschwindigkeit dem Belieben jedes Einzelnen. Dem Wortlaute des Gesetzes geschieht Genüge, wenn die Schiffs¬ maschine bei Eintritt des Nebels ein paar Umdrehungen in der Minute weniger macht. So halten denn Führer von Schiffen, die zwanzig Seemeilen lau¬ fen, schon sechzehn Seemeilen in der Stunde für eine „mäßige" Geschwin¬ digkeit, während Kapitäne von Schiffen, die zehn Seemeilen machen, schon sieben Seemeilen für „mäßig" erklären. Allen Fachleuten ist es bekannt und in England und Frankreich auch oft genug von solchen ausgesprochen worden, daß Artikel 13 gerade seiner unbestimmten Fassung halber keinen Schutz gewährt. Von den Interessenten der Schnelldampferlinien ist geradezu der Wunsch nach Aufhebung dieses Artikels ausgesprochen worden, und zwar unter folgender Begründung: die Schnelldampfer seien manövrirfähiger, was that¬ sächlich wegen ihrer meist sehr beträchtlichen Länge nicht zutrifft. Ferner sollen sie das Risiko des Zusammenstoßes vermindern, weil sie schneller durch den Nebel kommen; auch das ist entschieden kein stichhaltiger Grund, wenn man bedenkt, daß das Risiko dadurch vermehrt wird, daß beim Passiren eines ent¬ gegenkommenden Schiffs viel weniger Zeit zur Ausführung von Ausweich¬ manövern übrig bleibt. Ferner soll bei einem Zusammenstoß der Schnell¬ dampfer größere Aussicht haben, die geringere Verletzung davonzutragen; dies ist gewiß ein geringer Trost für das Schiff, das von ihm überrennt wird. Ferner halten sich die Schnelldampfergesellschaften wegen der technischen Vollkommenheit und des ausgesucht tüchtigen und zahlreichen Personals ihrer Schiffe zu schnellem Fahren selbst bei Nebel berechtigt. Schließlich heißt es — und das ist der wichtigste Punkt —: der Schnelldampfer darf der Kon¬ kurrenten wegen nicht auf seine Geschwindigkeit verzichten, er muß das Gesetz brechen; und das wird dadurch erleichtert, daß sich niemand darum kümmert, ob die Geschwindigkeit zweckentsprechend gemäßigt worden ist, es sei denn, daß sich ein Unfall ereignet, der die gesetzliche Untersuchung po8t. t'68wir nach den darüber bestehenden Vorschriften — in Deutschland durch die sogenannten Secämter — zur Folge haben muß. Darüber muß sich der Laie, besonders als Passagier eines Schnelldampfers, vor allem klar werden, daß er einen sehr verkehrten Schluß zieht, wenn er sich sagt: der Kapitän und die übrigen Seeleute haben ihr Leben auch lieb, folglich werden sie schon aus Selbsterhaltungstrieb uns Landratten so gut als möglich schützen. Das trifft heutiges Tages vor allem auf den Schnell¬ dampfern nicht mehr zu; da steht der Kapitän uuter dem Drucke, schnelle Reisen machen zu müssen. Bei dem Ozeanwettlauf handelt sichs heute schon

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/580>, abgerufen am 26.08.2024.