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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Das Strcisjenrecht zur See und seine ZNäugcl

eine ganz dunkle Vorstellung davon; die Folge ist dann fast immer, daß er
der heiligsten Überzeugung ist, diese Angelegenheiten seien alle aufs vorzüg¬
lichste geordnet. Die Berliner Börsenzeitung hat im vorigen Jahre einmal in
einem Artikel "Zur Kollisionsgefahr auf See" (18!)1, Ur. 157) diesen Gegen¬
satz zwischen Borliebe und Verständnis für alles Secmäuuische bei unsern
"Landratten" sehr richtig in folgender Weise geschildert: "In Deutschland ist
leider im großen Publikum noch zu wenig Verständnis für seemännische An¬
gelegenheiten, und daher hat es ein blindes Vertrauen in die Schiffsführung
und auch in alle Schifffahrtsgesetze. Jsts die Liebe, die blind macht? Denn
das kann man dem Deutschen, und zwar dem lebhaften und intelligenten
Binnenländer noch mehr als dem phlegmatischen Küstenbewohner, mit Recht
nachsagen: Liebe zur See und zum Seewesen hat er, ganz gleichgiltig, welcher
politischen Konfession er ist, ob sein Ideal an Steuerbord oder Backbord oder
Mittschiffs -- im Reichstage sitzt. Er begeistert sich für alle Mnrineangelegen-
heiten, besucht vom Seebade aus alle Kriegsschiffe, deren er nnr habhaft
werden kann; freilich hält er dann hie und da ein Kanonenboot für eine
Panzerfregatte und läßt sich alles Ernstes noch heutiges Tages einreden, daß
die Torpedoboote im Gefecht unter Wasser liefen. Kann er gar zu seinen
Bekannten einen Marineangehörigen oder sonstigen Seemann zählen, so ist er
besonders stolz und fühlt sich selbst als nautischer Sachverständiger. Aber
dabei läßt er es auch meist bewenden. Selbst Fragen, die seine eigne Sicher¬
heit betreffen, berühren ihn fast gar nicht."

Für den Schiffskapitän kann es ja nur schmeichelhaft sein, wenn er
von seinen Passagieren wie ein höheres Wesen, eine Art Halbgott angesehen
wird, der mit den gewaltigen Elemente" des Meeres nud des Sturmes zu
kämpfen versteht, und für die Dampfergesellschaften ist es unter Umständen
von beträchtlichem pekuniären Vorteil, wenn die arglosen Passagiere die
vom englischen Volksmund bezeichnend voslln-8luy8 genannten so gerade noch
schwimmfähigen "alte" Kasten" nicht von den wirklich seetüchtigen Schiffen
zu unterscheiden vermögen. Dasselbe gilt in Bezug auf die Gleichgiltigkeit
bei der Auswahl vou Segelboten und Bootsführern in unsern Seebadeorten;
jedes Jahr kommt es dort zu Unfällen, weil schlechte Boote oder unfähige
Bootsführer genommen werden.

Ebenso aber wie man jetzt weiß, daß es eine alte, freilich lange und
zäh festgehaltn? Fabel ist, daß der Matrose nicht schwimmen lernen dürfe, ist
es auch keineswegs uuzweckmüßig, daß sich der gebildete Laie wenigstens so
viel Kenntnisse der seemännischen Einrichtungen und Vorschriften erwerbe, um
imstande zu sein, eine gewisse .Kritik und, wo es nötig werden könnte, much
eine gewisse Kontrole selbst auszuüben. Es würde dann nicht mehr vor¬
kommen können, daß es ein Kapitän bei Nebel unterläßt, die vorgeschriebnen
Pfeifensignale zu geben, nur um seine Passagiere nicht zu beunruhigen, oder


Das Strcisjenrecht zur See und seine ZNäugcl

eine ganz dunkle Vorstellung davon; die Folge ist dann fast immer, daß er
der heiligsten Überzeugung ist, diese Angelegenheiten seien alle aufs vorzüg¬
lichste geordnet. Die Berliner Börsenzeitung hat im vorigen Jahre einmal in
einem Artikel „Zur Kollisionsgefahr auf See" (18!)1, Ur. 157) diesen Gegen¬
satz zwischen Borliebe und Verständnis für alles Secmäuuische bei unsern
„Landratten" sehr richtig in folgender Weise geschildert: „In Deutschland ist
leider im großen Publikum noch zu wenig Verständnis für seemännische An¬
gelegenheiten, und daher hat es ein blindes Vertrauen in die Schiffsführung
und auch in alle Schifffahrtsgesetze. Jsts die Liebe, die blind macht? Denn
das kann man dem Deutschen, und zwar dem lebhaften und intelligenten
Binnenländer noch mehr als dem phlegmatischen Küstenbewohner, mit Recht
nachsagen: Liebe zur See und zum Seewesen hat er, ganz gleichgiltig, welcher
politischen Konfession er ist, ob sein Ideal an Steuerbord oder Backbord oder
Mittschiffs — im Reichstage sitzt. Er begeistert sich für alle Mnrineangelegen-
heiten, besucht vom Seebade aus alle Kriegsschiffe, deren er nnr habhaft
werden kann; freilich hält er dann hie und da ein Kanonenboot für eine
Panzerfregatte und läßt sich alles Ernstes noch heutiges Tages einreden, daß
die Torpedoboote im Gefecht unter Wasser liefen. Kann er gar zu seinen
Bekannten einen Marineangehörigen oder sonstigen Seemann zählen, so ist er
besonders stolz und fühlt sich selbst als nautischer Sachverständiger. Aber
dabei läßt er es auch meist bewenden. Selbst Fragen, die seine eigne Sicher¬
heit betreffen, berühren ihn fast gar nicht."

Für den Schiffskapitän kann es ja nur schmeichelhaft sein, wenn er
von seinen Passagieren wie ein höheres Wesen, eine Art Halbgott angesehen
wird, der mit den gewaltigen Elemente» des Meeres nud des Sturmes zu
kämpfen versteht, und für die Dampfergesellschaften ist es unter Umständen
von beträchtlichem pekuniären Vorteil, wenn die arglosen Passagiere die
vom englischen Volksmund bezeichnend voslln-8luy8 genannten so gerade noch
schwimmfähigen „alte» Kasten" nicht von den wirklich seetüchtigen Schiffen
zu unterscheiden vermögen. Dasselbe gilt in Bezug auf die Gleichgiltigkeit
bei der Auswahl vou Segelboten und Bootsführern in unsern Seebadeorten;
jedes Jahr kommt es dort zu Unfällen, weil schlechte Boote oder unfähige
Bootsführer genommen werden.

Ebenso aber wie man jetzt weiß, daß es eine alte, freilich lange und
zäh festgehaltn? Fabel ist, daß der Matrose nicht schwimmen lernen dürfe, ist
es auch keineswegs uuzweckmüßig, daß sich der gebildete Laie wenigstens so
viel Kenntnisse der seemännischen Einrichtungen und Vorschriften erwerbe, um
imstande zu sein, eine gewisse .Kritik und, wo es nötig werden könnte, much
eine gewisse Kontrole selbst auszuüben. Es würde dann nicht mehr vor¬
kommen können, daß es ein Kapitän bei Nebel unterläßt, die vorgeschriebnen
Pfeifensignale zu geben, nur um seine Passagiere nicht zu beunruhigen, oder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/576>, abgerufen am 23.07.2024.