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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Welche Thatsachen in die Standesregister einzutragen sind, das ergeben
klar und deutlich die Gesetzesworte wie die für diese Bücher vorgeschriebnen
Formulare. Dazu gehören insbesondre auch genaue Angaben über Ab-
stcmunnng, Alter und örtliche Herkunft der in Betracht kommenden Person,
wie auch Auskunft über den Ehegatten. Jeder, der einmal auf dem Standes¬
amte eine Anmeldung gemacht hat, weiß aber, daß die sofortige richtige Er¬
klärung auf die vorgelegten Fragen oft unmöglich ist, weil man sich darauf
nicht vorbereitet hat, weil man z. B. die Vornamen der eignen Frau und der
eignen Kinder aus dem Kopfe nicht sicher anzugeben vermag. Zuweilen ist es,
weil jede Kenntnis mangelt, überhaupt unmöglich, einzelne Punkte zu be¬
antworten, weil man weder die betreffenden Standesurkuuden zu Hause hat,
noch weiß, woher man sie beschaffen soll. Da kommt es denn bei nicht pein¬
lichen Leuten oder ans reiner Verlegenheit auch zu falschen, mehr aufs Ge¬
ratewohl gegebnen Meldungen, und hauptsächlich diese haben dann nach meiner
Richtererfahrung el" umständliches amtliches Berichtignngsverfahren zur Folge.
Da kann es dann nicht Wunder nehmen, daß unsre Staudesregister (was bei
den Kirchenbüchern so leicht doch nicht vorkam), durch eine Menge nachträg¬
licher berichtigender Nandvermerke verunziert werden.

Wie kaun nun diesem Übel abgeholfen werden? Offenbar nur durch
Beseitigung unsrer eignen Unwissenheit über unsre Familien- und Verwandt-
schaftsverhältnisse. Denn nnr, wenn man von Hause aus mit den nötigen
schriftlichen Aufzeichnungen ausgerüstet ist, kaun man sich getrost vor den
Standesbeamten stellen. Deshalb habe ich an die Spitze dieses Aufsatzes als
nützliche Mahnung die Worte gesetzt: Zeichnet Stammbäume! Ist es denn
aber nicht, ganz abgesehen von dem Wert solcher Stammbäume oder Familien-
tafel" für die Erreichung des eben besprochnen Zwecks, überhaupt zu beklagen,
daß uur bei einem verschwindenden Teil unsrer deutschen Familien, meist nur
bei den ihre Ahnen hochhaltenden adlichen Häusern, die Kenntnis der Vor¬
fahren und der Seiteuverwandtschaft über das, was jeder in seinem Leben
persönlich wahrgenommen hat, hinausreicht, sodaß man meist kaum noch den
Namen der Großeltern genau anzugeben weiß? In einem Lande, dessen Ge¬
setze auch die weitern Seitenverwandten zur Erbfolge zulassen, und das mit
Stiftungen für die Abkömmlinge längst verbundner Stifter oder ihre Ver¬
wandten so gesegnet ist, wie Deutschland, hat das doch seine bedenklichen
Seiten. Doch warum auch hier nur den Nutzlichkeitsstandpunkt betonen! Wer
für ideale Gedanken empfänglich ist, weiß, wie alles, was an die Heimat er¬
innert, so auch die natürlichen Wurzeln seines Daseins als Grundlage seiner
eignen Persönlichkeit zu würdigen. Da liegt es ihm auch nahe, sich den aus
solchen Wurzeln erwachsnen Stamm auch im Bilde eines Stammbaums oder
auf einer Familientafel zu vergegenwärtigen. Wenn mich mein Urteil nicht
trügt, so ist die Gegenwart für solche Erwägungen wieder empfänglicher ge-


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Welche Thatsachen in die Standesregister einzutragen sind, das ergeben
klar und deutlich die Gesetzesworte wie die für diese Bücher vorgeschriebnen
Formulare. Dazu gehören insbesondre auch genaue Angaben über Ab-
stcmunnng, Alter und örtliche Herkunft der in Betracht kommenden Person,
wie auch Auskunft über den Ehegatten. Jeder, der einmal auf dem Standes¬
amte eine Anmeldung gemacht hat, weiß aber, daß die sofortige richtige Er¬
klärung auf die vorgelegten Fragen oft unmöglich ist, weil man sich darauf
nicht vorbereitet hat, weil man z. B. die Vornamen der eignen Frau und der
eignen Kinder aus dem Kopfe nicht sicher anzugeben vermag. Zuweilen ist es,
weil jede Kenntnis mangelt, überhaupt unmöglich, einzelne Punkte zu be¬
antworten, weil man weder die betreffenden Standesurkuuden zu Hause hat,
noch weiß, woher man sie beschaffen soll. Da kommt es denn bei nicht pein¬
lichen Leuten oder ans reiner Verlegenheit auch zu falschen, mehr aufs Ge¬
ratewohl gegebnen Meldungen, und hauptsächlich diese haben dann nach meiner
Richtererfahrung el» umständliches amtliches Berichtignngsverfahren zur Folge.
Da kann es dann nicht Wunder nehmen, daß unsre Staudesregister (was bei
den Kirchenbüchern so leicht doch nicht vorkam), durch eine Menge nachträg¬
licher berichtigender Nandvermerke verunziert werden.

Wie kaun nun diesem Übel abgeholfen werden? Offenbar nur durch
Beseitigung unsrer eignen Unwissenheit über unsre Familien- und Verwandt-
schaftsverhältnisse. Denn nnr, wenn man von Hause aus mit den nötigen
schriftlichen Aufzeichnungen ausgerüstet ist, kaun man sich getrost vor den
Standesbeamten stellen. Deshalb habe ich an die Spitze dieses Aufsatzes als
nützliche Mahnung die Worte gesetzt: Zeichnet Stammbäume! Ist es denn
aber nicht, ganz abgesehen von dem Wert solcher Stammbäume oder Familien-
tafel» für die Erreichung des eben besprochnen Zwecks, überhaupt zu beklagen,
daß uur bei einem verschwindenden Teil unsrer deutschen Familien, meist nur
bei den ihre Ahnen hochhaltenden adlichen Häusern, die Kenntnis der Vor¬
fahren und der Seiteuverwandtschaft über das, was jeder in seinem Leben
persönlich wahrgenommen hat, hinausreicht, sodaß man meist kaum noch den
Namen der Großeltern genau anzugeben weiß? In einem Lande, dessen Ge¬
setze auch die weitern Seitenverwandten zur Erbfolge zulassen, und das mit
Stiftungen für die Abkömmlinge längst verbundner Stifter oder ihre Ver¬
wandten so gesegnet ist, wie Deutschland, hat das doch seine bedenklichen
Seiten. Doch warum auch hier nur den Nutzlichkeitsstandpunkt betonen! Wer
für ideale Gedanken empfänglich ist, weiß, wie alles, was an die Heimat er¬
innert, so auch die natürlichen Wurzeln seines Daseins als Grundlage seiner
eignen Persönlichkeit zu würdigen. Da liegt es ihm auch nahe, sich den aus
solchen Wurzeln erwachsnen Stamm auch im Bilde eines Stammbaums oder
auf einer Familientafel zu vergegenwärtigen. Wenn mich mein Urteil nicht
trügt, so ist die Gegenwart für solche Erwägungen wieder empfänglicher ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/553>, abgerufen am 23.07.2024.