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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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mechanischer Akt ist dieses Ablesen abgeschriebner Sünden (sie schreiben natür¬
lich auch gegenseitig von einander ab; "pnmp mir mal deine Sünden," sagt
eins zum andern) nur bei wenigen stumpfsinnigen Kindern, bei den gewecktern
höchstens an Orten, wo ein schlechter, fauler oder unfähiger Geistlicher den
Religionsunterricht erteilt. Den Kindern mag die Sache nieder viel schaden
"och viel nützen, aber den Geistlichen nützt sie; die nicht ganz verhärtet sind,
verlassen doch uach einer Kinderbeichtc immer beschämt den Beichtstuhl. Vom
sechzehnten Jahre ub fallt dem Knabe" die Aufrichtigkeit schwer. Er drückt
sich über seine Peecadillen voudra 8vxwm möglichst allgemein ans, und all¬
mählich findet er, daß kein Grund vorliegt, warum er bei andern Sünden-
tlassen mehr ins Einzelne gehen solle. Auch schon die schärfere Ausbildung der
Individualität (als Knabe verschlossen und trutzig!) macht ihn spröde, so das;
er nicht leicht jemand in sein Innres blicken läßt. Freilich bilden die Sünden
meistens gar nicht das Individuelle, souderu nur das allgemein Menschliche.
Je älter er wird und je mehr er die Welt kennen lernt, desto mehr gewinnt
das cosi twi tutti über ihn Gewalt, er findet, daß er eigentlich noch viel zu
gut sei für diese schlechte Welt, und so erwirbt er sich um das dreißigste Jahr
herum jene strahlende Reinheit, die es ihm möglich "nicht, in der Osterzeit
ohne sonderliche Beschämung den Beichtstuhl zu betreten, da er ja außer einigen
Regungen eines gerechten Zorns nichts zu bekennen hat. Nicht ans dem sitt¬
lichen Gebiete liegt die Bedeutung des Beichtstuhls. Nur insofern spielt hier
die Ohrenbeichte eine Rolle, als diese Einrichtung die Möglichkeit darbietet,
in unauffälliger Weise gewissen außerordentlichen Seelenbedürfnissen abzuhelfen:
schwer bekümmerten -- namentlich unglücklich verheirateten Frauen -- einen
Tröster, innerlich reichen nach Vollkommenheit ringenden einen Führer und
Ratgeber, großen Verbrechern die Möglichkeit eines Bekenntnisses, nach dein
sie sich sehnen, zu vermitteln. Für solche Fälle ist das Institut in evan¬
gelischen Kreisen schon oft zurückgewünscht worden. Seine eigentliche Bedeu¬
tung aber liegt darin, daß es die Kraftprobe der römischen Kirche bildet; ver¬
mag sie über einen Mann so viel, daß er in den Beichtstuhl kriecht, dann
hat sie ihn fürs ganze Leben sicher. Weibern und Kindern widerstrebt diese
demütigende, vertrauensvolle Hingebung weniger, viele empfinden sogar ein
Bedürfnis danach. Wie weit der Beichtstuhl für fremde, namentlich politische
Zwecke gemißbraucht werden "eng, läßt sich natürlich, vorausgesetzt, daß es
überhaupt geschieht, nicht leicht ermitteln. Sollte es in größer", Maßstabe
vorkommen, so würden Frankreich und Italien, mich Österreich, die Ohnmacht,
des Beichtstuhls beweisen.

Nicht in den Gewissensfrngen im allgemeinen, an die man bei dem Worte
Sittlichkeit zunächst denkt, ist der Katholik von seiner Kirche abhängig, sondern
nur in zwei Klassen solcher Fragen: wo es sich um den Glauben und wo eS
sich "", die Kirchengebote handelt. In beiden Gebieten jedoch ist der Unter-


mechanischer Akt ist dieses Ablesen abgeschriebner Sünden (sie schreiben natür¬
lich auch gegenseitig von einander ab; „pnmp mir mal deine Sünden," sagt
eins zum andern) nur bei wenigen stumpfsinnigen Kindern, bei den gewecktern
höchstens an Orten, wo ein schlechter, fauler oder unfähiger Geistlicher den
Religionsunterricht erteilt. Den Kindern mag die Sache nieder viel schaden
»och viel nützen, aber den Geistlichen nützt sie; die nicht ganz verhärtet sind,
verlassen doch uach einer Kinderbeichtc immer beschämt den Beichtstuhl. Vom
sechzehnten Jahre ub fallt dem Knabe» die Aufrichtigkeit schwer. Er drückt
sich über seine Peecadillen voudra 8vxwm möglichst allgemein ans, und all¬
mählich findet er, daß kein Grund vorliegt, warum er bei andern Sünden-
tlassen mehr ins Einzelne gehen solle. Auch schon die schärfere Ausbildung der
Individualität (als Knabe verschlossen und trutzig!) macht ihn spröde, so das;
er nicht leicht jemand in sein Innres blicken läßt. Freilich bilden die Sünden
meistens gar nicht das Individuelle, souderu nur das allgemein Menschliche.
Je älter er wird und je mehr er die Welt kennen lernt, desto mehr gewinnt
das cosi twi tutti über ihn Gewalt, er findet, daß er eigentlich noch viel zu
gut sei für diese schlechte Welt, und so erwirbt er sich um das dreißigste Jahr
herum jene strahlende Reinheit, die es ihm möglich »nicht, in der Osterzeit
ohne sonderliche Beschämung den Beichtstuhl zu betreten, da er ja außer einigen
Regungen eines gerechten Zorns nichts zu bekennen hat. Nicht ans dem sitt¬
lichen Gebiete liegt die Bedeutung des Beichtstuhls. Nur insofern spielt hier
die Ohrenbeichte eine Rolle, als diese Einrichtung die Möglichkeit darbietet,
in unauffälliger Weise gewissen außerordentlichen Seelenbedürfnissen abzuhelfen:
schwer bekümmerten — namentlich unglücklich verheirateten Frauen — einen
Tröster, innerlich reichen nach Vollkommenheit ringenden einen Führer und
Ratgeber, großen Verbrechern die Möglichkeit eines Bekenntnisses, nach dein
sie sich sehnen, zu vermitteln. Für solche Fälle ist das Institut in evan¬
gelischen Kreisen schon oft zurückgewünscht worden. Seine eigentliche Bedeu¬
tung aber liegt darin, daß es die Kraftprobe der römischen Kirche bildet; ver¬
mag sie über einen Mann so viel, daß er in den Beichtstuhl kriecht, dann
hat sie ihn fürs ganze Leben sicher. Weibern und Kindern widerstrebt diese
demütigende, vertrauensvolle Hingebung weniger, viele empfinden sogar ein
Bedürfnis danach. Wie weit der Beichtstuhl für fremde, namentlich politische
Zwecke gemißbraucht werden »eng, läßt sich natürlich, vorausgesetzt, daß es
überhaupt geschieht, nicht leicht ermitteln. Sollte es in größer», Maßstabe
vorkommen, so würden Frankreich und Italien, mich Österreich, die Ohnmacht,
des Beichtstuhls beweisen.

Nicht in den Gewissensfrngen im allgemeinen, an die man bei dem Worte
Sittlichkeit zunächst denkt, ist der Katholik von seiner Kirche abhängig, sondern
nur in zwei Klassen solcher Fragen: wo es sich um den Glauben und wo eS
sich »», die Kirchengebote handelt. In beiden Gebieten jedoch ist der Unter-


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[0535] mechanischer Akt ist dieses Ablesen abgeschriebner Sünden (sie schreiben natür¬ lich auch gegenseitig von einander ab; „pnmp mir mal deine Sünden," sagt eins zum andern) nur bei wenigen stumpfsinnigen Kindern, bei den gewecktern höchstens an Orten, wo ein schlechter, fauler oder unfähiger Geistlicher den Religionsunterricht erteilt. Den Kindern mag die Sache nieder viel schaden »och viel nützen, aber den Geistlichen nützt sie; die nicht ganz verhärtet sind, verlassen doch uach einer Kinderbeichtc immer beschämt den Beichtstuhl. Vom sechzehnten Jahre ub fallt dem Knabe» die Aufrichtigkeit schwer. Er drückt sich über seine Peecadillen voudra 8vxwm möglichst allgemein ans, und all¬ mählich findet er, daß kein Grund vorliegt, warum er bei andern Sünden- tlassen mehr ins Einzelne gehen solle. Auch schon die schärfere Ausbildung der Individualität (als Knabe verschlossen und trutzig!) macht ihn spröde, so das; er nicht leicht jemand in sein Innres blicken läßt. Freilich bilden die Sünden meistens gar nicht das Individuelle, souderu nur das allgemein Menschliche. Je älter er wird und je mehr er die Welt kennen lernt, desto mehr gewinnt das cosi twi tutti über ihn Gewalt, er findet, daß er eigentlich noch viel zu gut sei für diese schlechte Welt, und so erwirbt er sich um das dreißigste Jahr herum jene strahlende Reinheit, die es ihm möglich »nicht, in der Osterzeit ohne sonderliche Beschämung den Beichtstuhl zu betreten, da er ja außer einigen Regungen eines gerechten Zorns nichts zu bekennen hat. Nicht ans dem sitt¬ lichen Gebiete liegt die Bedeutung des Beichtstuhls. Nur insofern spielt hier die Ohrenbeichte eine Rolle, als diese Einrichtung die Möglichkeit darbietet, in unauffälliger Weise gewissen außerordentlichen Seelenbedürfnissen abzuhelfen: schwer bekümmerten — namentlich unglücklich verheirateten Frauen — einen Tröster, innerlich reichen nach Vollkommenheit ringenden einen Führer und Ratgeber, großen Verbrechern die Möglichkeit eines Bekenntnisses, nach dein sie sich sehnen, zu vermitteln. Für solche Fälle ist das Institut in evan¬ gelischen Kreisen schon oft zurückgewünscht worden. Seine eigentliche Bedeu¬ tung aber liegt darin, daß es die Kraftprobe der römischen Kirche bildet; ver¬ mag sie über einen Mann so viel, daß er in den Beichtstuhl kriecht, dann hat sie ihn fürs ganze Leben sicher. Weibern und Kindern widerstrebt diese demütigende, vertrauensvolle Hingebung weniger, viele empfinden sogar ein Bedürfnis danach. Wie weit der Beichtstuhl für fremde, namentlich politische Zwecke gemißbraucht werden »eng, läßt sich natürlich, vorausgesetzt, daß es überhaupt geschieht, nicht leicht ermitteln. Sollte es in größer», Maßstabe vorkommen, so würden Frankreich und Italien, mich Österreich, die Ohnmacht, des Beichtstuhls beweisen. Nicht in den Gewissensfrngen im allgemeinen, an die man bei dem Worte Sittlichkeit zunächst denkt, ist der Katholik von seiner Kirche abhängig, sondern nur in zwei Klassen solcher Fragen: wo es sich um den Glauben und wo eS sich »», die Kirchengebote handelt. In beiden Gebieten jedoch ist der Unter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/535>, abgerufen am 23.07.2024.