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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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ver Bauernstand unsre Rettung

Eine große Industrie ist ja etwas recht schönes, doch ihr die Agrikultur
zum Opfer bringen -- das ist sie nicht wert. Die Agrikultur hat ein älteres
Anrecht auf unser deutsches Vaterland als die Industrie, und wird ihr Wohl
auch in Zukunft eine bessere Stütze sein.

In meinem Roman "Jakob der Letzte" habe ich den Niedergang des
Bauerntums in den Alpen geschildert. Hierauf erhielt ich zahlreiche Zuschriften,
daß es in vielen Gegenden Deutschlands nicht anders sei, und so nehme ich
mit Schrecken wahr, daß die moderne Politik und Ökonomie mit dem Wien
Bauernstande systematisch aufzuräumen gedenkt. Was soll das werden?

In den übervölkerten Städten wogen Rotten durch die Straßen, schreien
nach Arbeit, greifen mit räuberischer Hand nach Brot. Man ist bestrebt,' ihr
Begehren zu erfüllen, schafft in der Stadt allerhand Arbeiten, die an und für
sich nicht nötig wären, die nnr die Gemeinde- und Staatslasten vermehren
und trotzdem ganz unzulänglich sind, um die Massen mit Brot zu versorgen.
Was ist das für eine Wirtschaft? Sieht es denn um Gottes willen
niemand, wo Arbeit in Hülle und Fülle vorhanden ist, und zwar jene natür¬
liche, segensvolle Arbeit, die unmittelbar Brot schafft? Mit den Massen
arbeitsloser Menschen muss Land hinaus! Zurück wieder auf die Dörfer, ins
Gebirge, roder, ackern und ernten. Feldbau und Viehzucht treiben. Und nicht
bloß die rohe Arbeitskraft hinaus; es giebt in den Städten auch so viele
überschüssige Intelligenz, die ein besseres Los verdiente, als zwischen Mauern
unnütz zu verkommen oder gar gemeinschädlich thätig zu sein. Hinaus und
ihr in die freie Gottesnatur! Auch das Bauerntum braucht gescheite Köpfe;
ja ein Bauer, der gemischte Wirtschaft tüchtig betreiben will, muß in seiner
Art mindestens so viel gelernt haben und verstehen, wie irgend ein "Studirter"
in der Stadt.

Aber wie ist es zu machen? Was soll geschehen, auf daß ein wohlthätiger
Rückzug beginne von der Stadt aufs Land? Mit den Sommerfrischen, dem
Tonristenwesen, von dem man sich erneutes Interesse und Vorteil für den
Bauernstand versprochen hatte, ist es nichts. Das ist nnr so eine Art Spie¬
lerei mit dem Bauerntum, schadet diesem, besonders moralisch, weit mehr, als
es nützt. Die landschaftlichen Schulen machen auch nicht viel aus; für den
Bauer ist die Schulbank, wenn er sie zu lange drückt, überhaupt mit einer
gewissen Gefahr verbunden, besonders zu einer Zeit, wo es jeder, der etwas
gelernt zu haben glaubt, für eine Schande hält, körperlich zu arbeite,?. Kör¬
perlich arbeiten muß aber der Bauer, und dagegen hilft keine Gelehrsamkeit
und kein Hochmut, es kommt nur darauf an, daß er es merkt und empfindet,
welch ein Segen und Genuß auch in der körperlichen Arbeit liegen kann.
Vielfach ist sie mehr Genuß als Anstrengung. Wenn zwei Feiertage neben
einander stehn, so wird sich der richtige Bauer oder Bauernknecht um zweiten
Feiertage schon wieder sachte an eine Handarbeit machen, er fühlt sich dabei wohl.


ver Bauernstand unsre Rettung

Eine große Industrie ist ja etwas recht schönes, doch ihr die Agrikultur
zum Opfer bringen — das ist sie nicht wert. Die Agrikultur hat ein älteres
Anrecht auf unser deutsches Vaterland als die Industrie, und wird ihr Wohl
auch in Zukunft eine bessere Stütze sein.

In meinem Roman „Jakob der Letzte" habe ich den Niedergang des
Bauerntums in den Alpen geschildert. Hierauf erhielt ich zahlreiche Zuschriften,
daß es in vielen Gegenden Deutschlands nicht anders sei, und so nehme ich
mit Schrecken wahr, daß die moderne Politik und Ökonomie mit dem Wien
Bauernstande systematisch aufzuräumen gedenkt. Was soll das werden?

In den übervölkerten Städten wogen Rotten durch die Straßen, schreien
nach Arbeit, greifen mit räuberischer Hand nach Brot. Man ist bestrebt,' ihr
Begehren zu erfüllen, schafft in der Stadt allerhand Arbeiten, die an und für
sich nicht nötig wären, die nnr die Gemeinde- und Staatslasten vermehren
und trotzdem ganz unzulänglich sind, um die Massen mit Brot zu versorgen.
Was ist das für eine Wirtschaft? Sieht es denn um Gottes willen
niemand, wo Arbeit in Hülle und Fülle vorhanden ist, und zwar jene natür¬
liche, segensvolle Arbeit, die unmittelbar Brot schafft? Mit den Massen
arbeitsloser Menschen muss Land hinaus! Zurück wieder auf die Dörfer, ins
Gebirge, roder, ackern und ernten. Feldbau und Viehzucht treiben. Und nicht
bloß die rohe Arbeitskraft hinaus; es giebt in den Städten auch so viele
überschüssige Intelligenz, die ein besseres Los verdiente, als zwischen Mauern
unnütz zu verkommen oder gar gemeinschädlich thätig zu sein. Hinaus und
ihr in die freie Gottesnatur! Auch das Bauerntum braucht gescheite Köpfe;
ja ein Bauer, der gemischte Wirtschaft tüchtig betreiben will, muß in seiner
Art mindestens so viel gelernt haben und verstehen, wie irgend ein „Studirter"
in der Stadt.

Aber wie ist es zu machen? Was soll geschehen, auf daß ein wohlthätiger
Rückzug beginne von der Stadt aufs Land? Mit den Sommerfrischen, dem
Tonristenwesen, von dem man sich erneutes Interesse und Vorteil für den
Bauernstand versprochen hatte, ist es nichts. Das ist nnr so eine Art Spie¬
lerei mit dem Bauerntum, schadet diesem, besonders moralisch, weit mehr, als
es nützt. Die landschaftlichen Schulen machen auch nicht viel aus; für den
Bauer ist die Schulbank, wenn er sie zu lange drückt, überhaupt mit einer
gewissen Gefahr verbunden, besonders zu einer Zeit, wo es jeder, der etwas
gelernt zu haben glaubt, für eine Schande hält, körperlich zu arbeite,?. Kör¬
perlich arbeiten muß aber der Bauer, und dagegen hilft keine Gelehrsamkeit
und kein Hochmut, es kommt nur darauf an, daß er es merkt und empfindet,
welch ein Segen und Genuß auch in der körperlichen Arbeit liegen kann.
Vielfach ist sie mehr Genuß als Anstrengung. Wenn zwei Feiertage neben
einander stehn, so wird sich der richtige Bauer oder Bauernknecht um zweiten
Feiertage schon wieder sachte an eine Handarbeit machen, er fühlt sich dabei wohl.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/524>, abgerufen am 23.07.2024.