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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Der Bauernstand unsre Rettung

Anforderungen finden die Wenigsten. Das ist eins. Ein Zweites ist, daß
der Bauernschaft die Standesehre abhanden kommt. Man will nicht mehr
Bauer sei", es ist eine Schande, mit dem Pfluge zu arbeiten, die Herde zu
züchten. Auch den Bauer erfaßt die höllische Großmannssucht, die so viele
sonst gutartige Menschen blind, dumm und schlecht macht; er will hoher hinauf,
will studiren, will was Probiren in der weiten Welt also wird aus dem
freien Manne guten Falls ein untergeordneter Beamter oder gar ein Haus¬
meister, ein Lastträger, ein Fabrikgeselle, ein Dienstmann, ein Kanalarbeiter.
Es ist unbegreiflich. Der Bauernknecht in der freien Natur, in der Poesie
althergebrachter Arbeit und lebenerleichternder Gepflogenheiten, als Mitglied
eines patriarchalischen Hausstandes lebt herrlich und stolz im Gegensatze zu
einem dienenden Subjekte in der Stadt. Aber eins fürchtet der Bauern
stand mit Recht - seine alten Tage, wo er, der ein langes Leben hindurch
nichts als Brot gebant hat, als "Einleger" betteln muß um die letzten
kümmerlichen Bissen, oder warten wie ein hungriger Hund, was vom Bauern¬
tische für ihn abfällt. Da geht er doch lieber bei Zeiten zu den Fabrik¬
arbeitern, die ja demnächst nnter der roten Fahne die Welt erobern wollen!

Jetzt steht der Bauer auf seinem Grunde da: die Söhne sind bei den
Soldaten, die Knechte sind in die Fabriken gegangen; auch die Mägde haben
gehört, daß mau in der Stadt als Köchin oder Bedienerin zehnmal feiner
lebt als in der Bäuerei, und daß man dort sogar sein Glück machen kaun.
Der Bauer steht einsam da und ruft nach Arbeitern für Feld und Wiesen!
Er ruft vergebens. Und weil niemand mehr zu ihm kommt, so will anch er
davon. Der Bauersmeusch hat eben einen Blick in die Welt gethan und ge¬
sehen, wie viel Reichtum ohne Arbeit es dort giebt, wie viel Genuß ohne
Leistung, wie viel unbestrafte Lüderlichkeit. wie viel siegende Schlauheit, und
daß nicht mehr die innere Tüchtigkeit den Ausschlag giebt, sondern die Keckheit,
die Herzlosigkeit, die Verschlagenheit. Ja wenn es so steht, da will er auch
mitthun: an Klugheit, meint er, nehme er es mit manchem ans, so dumm er
und ausschaue, und -- er springt in den Wettkampf.

Die Volksschule hätte auf dem Dorfe die Mission gehabt, nicht bloß den
Sinn der Jugend ins Weite und Breite zu lenken, sondern ihn auch für den
bäuerlichen Beruf zu bilden, zu vertiefen und immer wieder die Liebe für den
Bauernstand zu wecken und dessen hohe Ehrenhaftigkeit zu betonen. Die Geist¬
lichkeit, die sich ja doch auch sonst so willig an weltlichen Angelegenheiten
beteiligt, hatte dieselbe Aufgabe zu erfüllen. Allein dem katholischen Klerus
scheint es nicht gegeben zu sein, den Bauernstand für den modernen wirtschaft¬
lichen Wettbewerb zu erziehen. Also sehen wir, daß unser Alpenbaucr den
moralischen Halt verliert, großenteils schon verloren hat, und daß der Bauer
dorthin gedrängt wird, wo das Volk nicht mehr Volk heißt, sondern Pöbel,
Proletariat.


Der Bauernstand unsre Rettung

Anforderungen finden die Wenigsten. Das ist eins. Ein Zweites ist, daß
der Bauernschaft die Standesehre abhanden kommt. Man will nicht mehr
Bauer sei», es ist eine Schande, mit dem Pfluge zu arbeiten, die Herde zu
züchten. Auch den Bauer erfaßt die höllische Großmannssucht, die so viele
sonst gutartige Menschen blind, dumm und schlecht macht; er will hoher hinauf,
will studiren, will was Probiren in der weiten Welt also wird aus dem
freien Manne guten Falls ein untergeordneter Beamter oder gar ein Haus¬
meister, ein Lastträger, ein Fabrikgeselle, ein Dienstmann, ein Kanalarbeiter.
Es ist unbegreiflich. Der Bauernknecht in der freien Natur, in der Poesie
althergebrachter Arbeit und lebenerleichternder Gepflogenheiten, als Mitglied
eines patriarchalischen Hausstandes lebt herrlich und stolz im Gegensatze zu
einem dienenden Subjekte in der Stadt. Aber eins fürchtet der Bauern
stand mit Recht - seine alten Tage, wo er, der ein langes Leben hindurch
nichts als Brot gebant hat, als „Einleger" betteln muß um die letzten
kümmerlichen Bissen, oder warten wie ein hungriger Hund, was vom Bauern¬
tische für ihn abfällt. Da geht er doch lieber bei Zeiten zu den Fabrik¬
arbeitern, die ja demnächst nnter der roten Fahne die Welt erobern wollen!

Jetzt steht der Bauer auf seinem Grunde da: die Söhne sind bei den
Soldaten, die Knechte sind in die Fabriken gegangen; auch die Mägde haben
gehört, daß mau in der Stadt als Köchin oder Bedienerin zehnmal feiner
lebt als in der Bäuerei, und daß man dort sogar sein Glück machen kaun.
Der Bauer steht einsam da und ruft nach Arbeitern für Feld und Wiesen!
Er ruft vergebens. Und weil niemand mehr zu ihm kommt, so will anch er
davon. Der Bauersmeusch hat eben einen Blick in die Welt gethan und ge¬
sehen, wie viel Reichtum ohne Arbeit es dort giebt, wie viel Genuß ohne
Leistung, wie viel unbestrafte Lüderlichkeit. wie viel siegende Schlauheit, und
daß nicht mehr die innere Tüchtigkeit den Ausschlag giebt, sondern die Keckheit,
die Herzlosigkeit, die Verschlagenheit. Ja wenn es so steht, da will er auch
mitthun: an Klugheit, meint er, nehme er es mit manchem ans, so dumm er
und ausschaue, und — er springt in den Wettkampf.

Die Volksschule hätte auf dem Dorfe die Mission gehabt, nicht bloß den
Sinn der Jugend ins Weite und Breite zu lenken, sondern ihn auch für den
bäuerlichen Beruf zu bilden, zu vertiefen und immer wieder die Liebe für den
Bauernstand zu wecken und dessen hohe Ehrenhaftigkeit zu betonen. Die Geist¬
lichkeit, die sich ja doch auch sonst so willig an weltlichen Angelegenheiten
beteiligt, hatte dieselbe Aufgabe zu erfüllen. Allein dem katholischen Klerus
scheint es nicht gegeben zu sein, den Bauernstand für den modernen wirtschaft¬
lichen Wettbewerb zu erziehen. Also sehen wir, daß unser Alpenbaucr den
moralischen Halt verliert, großenteils schon verloren hat, und daß der Bauer
dorthin gedrängt wird, wo das Volk nicht mehr Volk heißt, sondern Pöbel,
Proletariat.


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[0523] Der Bauernstand unsre Rettung Anforderungen finden die Wenigsten. Das ist eins. Ein Zweites ist, daß der Bauernschaft die Standesehre abhanden kommt. Man will nicht mehr Bauer sei», es ist eine Schande, mit dem Pfluge zu arbeiten, die Herde zu züchten. Auch den Bauer erfaßt die höllische Großmannssucht, die so viele sonst gutartige Menschen blind, dumm und schlecht macht; er will hoher hinauf, will studiren, will was Probiren in der weiten Welt also wird aus dem freien Manne guten Falls ein untergeordneter Beamter oder gar ein Haus¬ meister, ein Lastträger, ein Fabrikgeselle, ein Dienstmann, ein Kanalarbeiter. Es ist unbegreiflich. Der Bauernknecht in der freien Natur, in der Poesie althergebrachter Arbeit und lebenerleichternder Gepflogenheiten, als Mitglied eines patriarchalischen Hausstandes lebt herrlich und stolz im Gegensatze zu einem dienenden Subjekte in der Stadt. Aber eins fürchtet der Bauern stand mit Recht - seine alten Tage, wo er, der ein langes Leben hindurch nichts als Brot gebant hat, als „Einleger" betteln muß um die letzten kümmerlichen Bissen, oder warten wie ein hungriger Hund, was vom Bauern¬ tische für ihn abfällt. Da geht er doch lieber bei Zeiten zu den Fabrik¬ arbeitern, die ja demnächst nnter der roten Fahne die Welt erobern wollen! Jetzt steht der Bauer auf seinem Grunde da: die Söhne sind bei den Soldaten, die Knechte sind in die Fabriken gegangen; auch die Mägde haben gehört, daß mau in der Stadt als Köchin oder Bedienerin zehnmal feiner lebt als in der Bäuerei, und daß man dort sogar sein Glück machen kaun. Der Bauer steht einsam da und ruft nach Arbeitern für Feld und Wiesen! Er ruft vergebens. Und weil niemand mehr zu ihm kommt, so will anch er davon. Der Bauersmeusch hat eben einen Blick in die Welt gethan und ge¬ sehen, wie viel Reichtum ohne Arbeit es dort giebt, wie viel Genuß ohne Leistung, wie viel unbestrafte Lüderlichkeit. wie viel siegende Schlauheit, und daß nicht mehr die innere Tüchtigkeit den Ausschlag giebt, sondern die Keckheit, die Herzlosigkeit, die Verschlagenheit. Ja wenn es so steht, da will er auch mitthun: an Klugheit, meint er, nehme er es mit manchem ans, so dumm er und ausschaue, und — er springt in den Wettkampf. Die Volksschule hätte auf dem Dorfe die Mission gehabt, nicht bloß den Sinn der Jugend ins Weite und Breite zu lenken, sondern ihn auch für den bäuerlichen Beruf zu bilden, zu vertiefen und immer wieder die Liebe für den Bauernstand zu wecken und dessen hohe Ehrenhaftigkeit zu betonen. Die Geist¬ lichkeit, die sich ja doch auch sonst so willig an weltlichen Angelegenheiten beteiligt, hatte dieselbe Aufgabe zu erfüllen. Allein dem katholischen Klerus scheint es nicht gegeben zu sein, den Bauernstand für den modernen wirtschaft¬ lichen Wettbewerb zu erziehen. Also sehen wir, daß unser Alpenbaucr den moralischen Halt verliert, großenteils schon verloren hat, und daß der Bauer dorthin gedrängt wird, wo das Volk nicht mehr Volk heißt, sondern Pöbel, Proletariat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/523>, abgerufen am 23.07.2024.