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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Der Bauernstand unsre Rettung

fremdes Korn ins Land bringen; man will mit seinen Steuern die städtischen
Schulen erhalten helfen, dafür daß diese Schulen den aufgeweckten Bauern-
sohn von der Scholle fort und zum "studiren" locken; man will mit seinen
Steuern das ganze büreaukratische Triebwerk von Ämtern, Behörden und
Polizei bestreiten helfen, von dem der Bauer selten Vorteile empfindet, aber
manche Hemmungen zu leiden hat; man will mit seinen Steuern eine gewaltig
gerüstete Armee versorgen helfen, von der im Notfalle natürlich kein Stand
so wenig Schutz genießt, als der Bauernstand.

Doch nicht allein Geld fordert der Staat vom Bauer, sondern auch Blut.
Die kräftigen, hoffnungsvollen Bursche, die natürliche Zukunft des Bauern¬
tums werden herausgeholt aus ihrer stillen, behäbigen Wirtschaft und fort zu
den Soldaten, sie lernen Welt kennen und Welt schmecken. Früher war ein
Bursche, der ein Bnuernhaus besaß und bewirtschaftete, militärfrei. Der Staat
wußte recht gut, was damit gethan war. Heute genießt nur derjenige mili¬
tärische Vorteile, der studirt und dadurch das Gelehrtenproletariat vermehren
hilft; der Baucrnsoldat wird seinem Stande entfremdet. Viele, und gerade
die intelligentesten Banernsoldaten, kehren in ihren Hof nicht wieder zurück.
Andre kehren mit Widerwillen zurück; mancher sucht sein angestammtes Nest
zwar mit Freuden wieder auf, doch er hat Weltgift getrunken, den altge¬
wohnten Kurs verloren, sachte lockert sich sein Verhältnis zur Scholle der
Vorfahren, und bei guter Gelegenheit springt er ab. Schon stehn auch Herr¬
schaften auf der Lauer, um die Bauerngüter anzukaufen, aber nicht etwa, daß
sie darauf das Feld bebauen, die Viehzucht betreiben, den Obstbau pflegen,
sondern vielmehr, daß sie die Höfe verfallen lassen oder lieber gleich nieder¬
reißen, daß sie aus Feld, Wiesen und Gurten Wald wachsen lassen und eine
schöne Jagd Herrichten. Für Kleinbauern, die solche Reviere zur Nachbarschaft
haben oder gar davon eingeengt werden, ist es überhaupt nicht mehr möglich,
die Wege, Stege, Schulen u. s. w. zu erhalten, Dienstboten zu bekomme",
sich des santenfressenden Wildes zu erwehren. Solche Bauern müssen noch
froh sein, wenn ihnen der herrschaftliche Nachbar das Gut abkauft, damit sie
ihr Glück in der weiten Welt, in Eisenwerken, Fabriken, bei Neubauten und
Eisenbahnen suchen können. Also lösen sich in den Hintergegenden die Baneru-
gemeindeu auf, die Gegend ist entvölkert, wird zur Wildnis, und wenn der
Staat nun für Wald- und "unfruchtbaren" Boden viel weniger Steuern be¬
ziehen kann als früher von den Bnuerugrüuden, so muß es ihm recht sein.

Noch viele andre äußere, wirtschaftliche und gesellschaftliche Ursachen giebt
es, die dem Landmann Tvtengräberdienste leisten. Aber es giebt auch innere
Ursachen, daß der Bauernstand darniedergeht. Der Bauer seist ist nicht
ohne Schuld. Entweder er betreibt seine Wirtschaft nach Urväterart, oder er
will den Fortschrittsmann spielen, stthrt allerlei unerprvbte Neuerungen ein
und verrechnet sich. Den gesunden Mittelweg zwischen alter Sitte und neue"


Der Bauernstand unsre Rettung

fremdes Korn ins Land bringen; man will mit seinen Steuern die städtischen
Schulen erhalten helfen, dafür daß diese Schulen den aufgeweckten Bauern-
sohn von der Scholle fort und zum „studiren" locken; man will mit seinen
Steuern das ganze büreaukratische Triebwerk von Ämtern, Behörden und
Polizei bestreiten helfen, von dem der Bauer selten Vorteile empfindet, aber
manche Hemmungen zu leiden hat; man will mit seinen Steuern eine gewaltig
gerüstete Armee versorgen helfen, von der im Notfalle natürlich kein Stand
so wenig Schutz genießt, als der Bauernstand.

Doch nicht allein Geld fordert der Staat vom Bauer, sondern auch Blut.
Die kräftigen, hoffnungsvollen Bursche, die natürliche Zukunft des Bauern¬
tums werden herausgeholt aus ihrer stillen, behäbigen Wirtschaft und fort zu
den Soldaten, sie lernen Welt kennen und Welt schmecken. Früher war ein
Bursche, der ein Bnuernhaus besaß und bewirtschaftete, militärfrei. Der Staat
wußte recht gut, was damit gethan war. Heute genießt nur derjenige mili¬
tärische Vorteile, der studirt und dadurch das Gelehrtenproletariat vermehren
hilft; der Baucrnsoldat wird seinem Stande entfremdet. Viele, und gerade
die intelligentesten Banernsoldaten, kehren in ihren Hof nicht wieder zurück.
Andre kehren mit Widerwillen zurück; mancher sucht sein angestammtes Nest
zwar mit Freuden wieder auf, doch er hat Weltgift getrunken, den altge¬
wohnten Kurs verloren, sachte lockert sich sein Verhältnis zur Scholle der
Vorfahren, und bei guter Gelegenheit springt er ab. Schon stehn auch Herr¬
schaften auf der Lauer, um die Bauerngüter anzukaufen, aber nicht etwa, daß
sie darauf das Feld bebauen, die Viehzucht betreiben, den Obstbau pflegen,
sondern vielmehr, daß sie die Höfe verfallen lassen oder lieber gleich nieder¬
reißen, daß sie aus Feld, Wiesen und Gurten Wald wachsen lassen und eine
schöne Jagd Herrichten. Für Kleinbauern, die solche Reviere zur Nachbarschaft
haben oder gar davon eingeengt werden, ist es überhaupt nicht mehr möglich,
die Wege, Stege, Schulen u. s. w. zu erhalten, Dienstboten zu bekomme»,
sich des santenfressenden Wildes zu erwehren. Solche Bauern müssen noch
froh sein, wenn ihnen der herrschaftliche Nachbar das Gut abkauft, damit sie
ihr Glück in der weiten Welt, in Eisenwerken, Fabriken, bei Neubauten und
Eisenbahnen suchen können. Also lösen sich in den Hintergegenden die Baneru-
gemeindeu auf, die Gegend ist entvölkert, wird zur Wildnis, und wenn der
Staat nun für Wald- und „unfruchtbaren" Boden viel weniger Steuern be¬
ziehen kann als früher von den Bnuerugrüuden, so muß es ihm recht sein.

Noch viele andre äußere, wirtschaftliche und gesellschaftliche Ursachen giebt
es, die dem Landmann Tvtengräberdienste leisten. Aber es giebt auch innere
Ursachen, daß der Bauernstand darniedergeht. Der Bauer seist ist nicht
ohne Schuld. Entweder er betreibt seine Wirtschaft nach Urväterart, oder er
will den Fortschrittsmann spielen, stthrt allerlei unerprvbte Neuerungen ein
und verrechnet sich. Den gesunden Mittelweg zwischen alter Sitte und neue»


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[0522] Der Bauernstand unsre Rettung fremdes Korn ins Land bringen; man will mit seinen Steuern die städtischen Schulen erhalten helfen, dafür daß diese Schulen den aufgeweckten Bauern- sohn von der Scholle fort und zum „studiren" locken; man will mit seinen Steuern das ganze büreaukratische Triebwerk von Ämtern, Behörden und Polizei bestreiten helfen, von dem der Bauer selten Vorteile empfindet, aber manche Hemmungen zu leiden hat; man will mit seinen Steuern eine gewaltig gerüstete Armee versorgen helfen, von der im Notfalle natürlich kein Stand so wenig Schutz genießt, als der Bauernstand. Doch nicht allein Geld fordert der Staat vom Bauer, sondern auch Blut. Die kräftigen, hoffnungsvollen Bursche, die natürliche Zukunft des Bauern¬ tums werden herausgeholt aus ihrer stillen, behäbigen Wirtschaft und fort zu den Soldaten, sie lernen Welt kennen und Welt schmecken. Früher war ein Bursche, der ein Bnuernhaus besaß und bewirtschaftete, militärfrei. Der Staat wußte recht gut, was damit gethan war. Heute genießt nur derjenige mili¬ tärische Vorteile, der studirt und dadurch das Gelehrtenproletariat vermehren hilft; der Baucrnsoldat wird seinem Stande entfremdet. Viele, und gerade die intelligentesten Banernsoldaten, kehren in ihren Hof nicht wieder zurück. Andre kehren mit Widerwillen zurück; mancher sucht sein angestammtes Nest zwar mit Freuden wieder auf, doch er hat Weltgift getrunken, den altge¬ wohnten Kurs verloren, sachte lockert sich sein Verhältnis zur Scholle der Vorfahren, und bei guter Gelegenheit springt er ab. Schon stehn auch Herr¬ schaften auf der Lauer, um die Bauerngüter anzukaufen, aber nicht etwa, daß sie darauf das Feld bebauen, die Viehzucht betreiben, den Obstbau pflegen, sondern vielmehr, daß sie die Höfe verfallen lassen oder lieber gleich nieder¬ reißen, daß sie aus Feld, Wiesen und Gurten Wald wachsen lassen und eine schöne Jagd Herrichten. Für Kleinbauern, die solche Reviere zur Nachbarschaft haben oder gar davon eingeengt werden, ist es überhaupt nicht mehr möglich, die Wege, Stege, Schulen u. s. w. zu erhalten, Dienstboten zu bekomme», sich des santenfressenden Wildes zu erwehren. Solche Bauern müssen noch froh sein, wenn ihnen der herrschaftliche Nachbar das Gut abkauft, damit sie ihr Glück in der weiten Welt, in Eisenwerken, Fabriken, bei Neubauten und Eisenbahnen suchen können. Also lösen sich in den Hintergegenden die Baneru- gemeindeu auf, die Gegend ist entvölkert, wird zur Wildnis, und wenn der Staat nun für Wald- und „unfruchtbaren" Boden viel weniger Steuern be¬ ziehen kann als früher von den Bnuerugrüuden, so muß es ihm recht sein. Noch viele andre äußere, wirtschaftliche und gesellschaftliche Ursachen giebt es, die dem Landmann Tvtengräberdienste leisten. Aber es giebt auch innere Ursachen, daß der Bauernstand darniedergeht. Der Bauer seist ist nicht ohne Schuld. Entweder er betreibt seine Wirtschaft nach Urväterart, oder er will den Fortschrittsmann spielen, stthrt allerlei unerprvbte Neuerungen ein und verrechnet sich. Den gesunden Mittelweg zwischen alter Sitte und neue»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/522>, abgerufen am 23.07.2024.