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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Aus dänischer Jen

Großvaters und der Eltern Kundschaft allmählich zuwandten. Bei ihm konnte
man alles bekommen: die schwärzeste Schmierseife und die verlockendsten Früchte
des Orients, die feinsten Nähnadeln und die schönsten seidnen Kleider und
Vlondenhauben. Auch der Lehrling Denkers war eine von uns viel besprochne
Persönlichkeit. Erstens hatte er fast das ganze Jahr erfrorne Finger, ein Leiden,
das wir nie hatten und doch sehr gern, einmal probirt hätten, weil es Ferien
für die Klavierstunden in Aussicht stellte, und dann durfte er von allen guten
Sachen, die Denkers Laden so reichlich bot, so viel essen, wie er wollte. Daß
er diese Erlaubnis sehr ausnutzte, zeigte seine Gesichtsform, die stets etwas
verzogen war, was daher kam, daß seine eine Backe immer mit irgend einer
Näscherei angefüllt war. Damals war es unsre Zuknnftsidee, einen Laden
zu haben voller Pflaumen und Vordorf, mit einer Kaninchenzucht als Neben¬
beschäftigung, und dieses Ideal wäre uns noch ungetrübter erschienen, hätten
nicht Herr Weihkopf und Gemahlin in der Ferne gedroht.

Ich nehme keine Tanzstunden! bemerkte Jürgen, als wir uns endlich von
den Kaninchen losgerissen hatten und nach Hause wanderten.

Ich auch nicht! versicherte ich und seufzte sorgenvoll. Wir hatten im
Wochenblatte gelesen, daß Herr Weihkopf kinderreichen Eltern ungeahnte Vor¬
teile biete. Vier Kinder kosteten fast nicht mehr als zwei, und es beschlich
uns die trübe Ahnung, daß unsre Eltern nicht ungern die Gelegenheit ergreifen
würden, uns für ein Billiges dem Tanzlehrer zu überlassen. Die ältern
Brüder konnten schon tanzen und sahen mit Freuden der nahenden Auffrischung
ihrer Kenntnisse entgegen; Jürgen und ich aber verstanden uns noch nicht
geschickt zu bewegen. Es gab Tanten, die behaupteten, daß die Grazien nicht
an unsrer Wiege gesessen hätten, und wir fühlten instinktiv, daß wir allerdings
ein würdiges Arbeitsfeld für Weihkvpf und Gattin abgeben würden.

Aber wir wollten trotzdem nicht tanzen lernen, Jürgen bekam sogar aus
Furcht vor der Stunde moralische Anwandlungen. Er versicherte mir, daß
er nicht daran denke, Mitglied des Ballets in Sankt Pauli bei Hamburg zu
werden, und daß Papa dies auch gewiß nicht wolle, und ich pflichtete ihm
eifrig bei. Nein, so leid es mir für das Balletkorps that: Tänzerin wollte
ich auch nicht werden, und deshalb glaubte ich Herrn Weihkvpf als Tanzlehrer
nicht nötig zu haben.

Es kam aber doch anders. Der Kinder Wille steckte zu damaliger Zeit
noch hinter dem Spiegel, wie die ältern Brüder uns oft genug erzählten.
Unsre Eltern hatten noch keine modernen Ansichten über Kindererziehung; was
sie wünschten, geschah ohne Widerrede, und wenn wir auch freudlos in die
Tanzstunde wanderten, so mochten wir doch nicht bitten, daß dieser Kelch an
uns vorüberginge. Nur die Brüder wußten, daß wir eigentlich nicht tanzen
lernen wollten, und sie benutzten diese Wissenschaft zu allerhand Späßen.

Eigentlich fand ich die Stunden gar nicht so schlimm. Der dicke, schwarz-


Aus dänischer Jen

Großvaters und der Eltern Kundschaft allmählich zuwandten. Bei ihm konnte
man alles bekommen: die schwärzeste Schmierseife und die verlockendsten Früchte
des Orients, die feinsten Nähnadeln und die schönsten seidnen Kleider und
Vlondenhauben. Auch der Lehrling Denkers war eine von uns viel besprochne
Persönlichkeit. Erstens hatte er fast das ganze Jahr erfrorne Finger, ein Leiden,
das wir nie hatten und doch sehr gern, einmal probirt hätten, weil es Ferien
für die Klavierstunden in Aussicht stellte, und dann durfte er von allen guten
Sachen, die Denkers Laden so reichlich bot, so viel essen, wie er wollte. Daß
er diese Erlaubnis sehr ausnutzte, zeigte seine Gesichtsform, die stets etwas
verzogen war, was daher kam, daß seine eine Backe immer mit irgend einer
Näscherei angefüllt war. Damals war es unsre Zuknnftsidee, einen Laden
zu haben voller Pflaumen und Vordorf, mit einer Kaninchenzucht als Neben¬
beschäftigung, und dieses Ideal wäre uns noch ungetrübter erschienen, hätten
nicht Herr Weihkopf und Gemahlin in der Ferne gedroht.

Ich nehme keine Tanzstunden! bemerkte Jürgen, als wir uns endlich von
den Kaninchen losgerissen hatten und nach Hause wanderten.

Ich auch nicht! versicherte ich und seufzte sorgenvoll. Wir hatten im
Wochenblatte gelesen, daß Herr Weihkopf kinderreichen Eltern ungeahnte Vor¬
teile biete. Vier Kinder kosteten fast nicht mehr als zwei, und es beschlich
uns die trübe Ahnung, daß unsre Eltern nicht ungern die Gelegenheit ergreifen
würden, uns für ein Billiges dem Tanzlehrer zu überlassen. Die ältern
Brüder konnten schon tanzen und sahen mit Freuden der nahenden Auffrischung
ihrer Kenntnisse entgegen; Jürgen und ich aber verstanden uns noch nicht
geschickt zu bewegen. Es gab Tanten, die behaupteten, daß die Grazien nicht
an unsrer Wiege gesessen hätten, und wir fühlten instinktiv, daß wir allerdings
ein würdiges Arbeitsfeld für Weihkvpf und Gattin abgeben würden.

Aber wir wollten trotzdem nicht tanzen lernen, Jürgen bekam sogar aus
Furcht vor der Stunde moralische Anwandlungen. Er versicherte mir, daß
er nicht daran denke, Mitglied des Ballets in Sankt Pauli bei Hamburg zu
werden, und daß Papa dies auch gewiß nicht wolle, und ich pflichtete ihm
eifrig bei. Nein, so leid es mir für das Balletkorps that: Tänzerin wollte
ich auch nicht werden, und deshalb glaubte ich Herrn Weihkvpf als Tanzlehrer
nicht nötig zu haben.

Es kam aber doch anders. Der Kinder Wille steckte zu damaliger Zeit
noch hinter dem Spiegel, wie die ältern Brüder uns oft genug erzählten.
Unsre Eltern hatten noch keine modernen Ansichten über Kindererziehung; was
sie wünschten, geschah ohne Widerrede, und wenn wir auch freudlos in die
Tanzstunde wanderten, so mochten wir doch nicht bitten, daß dieser Kelch an
uns vorüberginge. Nur die Brüder wußten, daß wir eigentlich nicht tanzen
lernen wollten, und sie benutzten diese Wissenschaft zu allerhand Späßen.

Eigentlich fand ich die Stunden gar nicht so schlimm. Der dicke, schwarz-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/508>, abgerufen am 26.08.2024.