Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Aus dänischer Zeit
^0. Tanzstunde

orgelt kommt Herr Weihkopf! erzählte uns Herr Denker, einer
unsrer Großkaufleute, und wir nickten bekümmert. Jürgen und
ich hatten die Nachricht schon gehört; unsre Gefühle waren aber
nicht sehr freudig.

Er bringt auch seine Frau mit, berichtete Herr Denker
weiter, indem er zwei Pfund Reis, ein Pfund gebackne Pflaumen, drei Ellen
Schirting und fünf Rollen Nähgarn sorgsam zu einem Paket vereinigte. Wie
die tanzen kann! Wiegt über zweihundert Pfund und springt wie ein Gummi-
ball! Ich hab sie im Ballet in Sankt Pauli bei Hamburg gesehen; davon hab
ich lange geträumt! Bei der könnt ihr noch was lernen! Nun -- mehr wollt
ihr also heute nicht haben? Sagt eurer Mama, daß ich frische Anchovis Hütte,
und nächstens kriege ich auch die Proben von den neusten Frühjahrsstoffen!
Ganz was feines! Kommen direkt aus Hamburg! Und nun geht nur noch mal
zu den Kaninchen!

Dieser Einladung folgten wir gern. Herr Denkers Kaninchenstall war
uns weit verlockender als die Tanzstunde, und bald saßen wir mit einigen
Kohlblättern in der Hand vor einer Schar Kaninchen. Wir beneideten Denkers
recht um diesen Besitz, denn er verursachte sehr angenehme Überraschungen.
.Heute hatte sich die zahlreiche Familie plötzlich und unerwartet um zehn bis
zwölf Mitglieder vermehrt -- ein Ereignis, das die Denkcrschen Kinder überall
mit lärmender Freude erzählten; morgen wurde dem alten Kaninchenurgro߬
vater die Unruhe zu viel und er fraß so viele seiner Enkelkinder auf, wie er
uur erwischen konnte. Denkers wußten also eigentlich nie ganz sicher, wie viel
Kaninchen sie hatten, und dieser schnelle Schicksalswechsel, dieser plötzliche
Übergang von lauter Freude zu noch lautern Leid hatte für uns etwas un¬
gemein anziehendes. Daß auch unser Sehnen auf dem Besitz eines Kaninchen-
Pärchens gerichtet war, ist wohl begreiflich; aber bis jetzt war dieser Wunsch
unbefriedigt geblieben, und wir mußten uns mit Denkers Stall begnügen.
Vater Denker lud uns auch immer dringend ein; wußte er doch, daß wir ihm




Aus dänischer Zeit
^0. Tanzstunde

orgelt kommt Herr Weihkopf! erzählte uns Herr Denker, einer
unsrer Großkaufleute, und wir nickten bekümmert. Jürgen und
ich hatten die Nachricht schon gehört; unsre Gefühle waren aber
nicht sehr freudig.

Er bringt auch seine Frau mit, berichtete Herr Denker
weiter, indem er zwei Pfund Reis, ein Pfund gebackne Pflaumen, drei Ellen
Schirting und fünf Rollen Nähgarn sorgsam zu einem Paket vereinigte. Wie
die tanzen kann! Wiegt über zweihundert Pfund und springt wie ein Gummi-
ball! Ich hab sie im Ballet in Sankt Pauli bei Hamburg gesehen; davon hab
ich lange geträumt! Bei der könnt ihr noch was lernen! Nun — mehr wollt
ihr also heute nicht haben? Sagt eurer Mama, daß ich frische Anchovis Hütte,
und nächstens kriege ich auch die Proben von den neusten Frühjahrsstoffen!
Ganz was feines! Kommen direkt aus Hamburg! Und nun geht nur noch mal
zu den Kaninchen!

Dieser Einladung folgten wir gern. Herr Denkers Kaninchenstall war
uns weit verlockender als die Tanzstunde, und bald saßen wir mit einigen
Kohlblättern in der Hand vor einer Schar Kaninchen. Wir beneideten Denkers
recht um diesen Besitz, denn er verursachte sehr angenehme Überraschungen.
.Heute hatte sich die zahlreiche Familie plötzlich und unerwartet um zehn bis
zwölf Mitglieder vermehrt — ein Ereignis, das die Denkcrschen Kinder überall
mit lärmender Freude erzählten; morgen wurde dem alten Kaninchenurgro߬
vater die Unruhe zu viel und er fraß so viele seiner Enkelkinder auf, wie er
uur erwischen konnte. Denkers wußten also eigentlich nie ganz sicher, wie viel
Kaninchen sie hatten, und dieser schnelle Schicksalswechsel, dieser plötzliche
Übergang von lauter Freude zu noch lautern Leid hatte für uns etwas un¬
gemein anziehendes. Daß auch unser Sehnen auf dem Besitz eines Kaninchen-
Pärchens gerichtet war, ist wohl begreiflich; aber bis jetzt war dieser Wunsch
unbefriedigt geblieben, und wir mußten uns mit Denkers Stall begnügen.
Vater Denker lud uns auch immer dringend ein; wußte er doch, daß wir ihm


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0507" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211675"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341855_211167/figures/grenzboten_341855_211167_211675_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Aus dänischer Zeit<lb/>
^0. Tanzstunde </head><lb/>
          <p xml:id="ID_1471"> orgelt kommt Herr Weihkopf! erzählte uns Herr Denker, einer<lb/>
unsrer Großkaufleute, und wir nickten bekümmert. Jürgen und<lb/>
ich hatten die Nachricht schon gehört; unsre Gefühle waren aber<lb/>
nicht sehr freudig.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1472"> Er bringt auch seine Frau mit, berichtete Herr Denker<lb/>
weiter, indem er zwei Pfund Reis, ein Pfund gebackne Pflaumen, drei Ellen<lb/>
Schirting und fünf Rollen Nähgarn sorgsam zu einem Paket vereinigte. Wie<lb/>
die tanzen kann! Wiegt über zweihundert Pfund und springt wie ein Gummi-<lb/>
ball! Ich hab sie im Ballet in Sankt Pauli bei Hamburg gesehen; davon hab<lb/>
ich lange geträumt! Bei der könnt ihr noch was lernen! Nun &#x2014; mehr wollt<lb/>
ihr also heute nicht haben? Sagt eurer Mama, daß ich frische Anchovis Hütte,<lb/>
und nächstens kriege ich auch die Proben von den neusten Frühjahrsstoffen!<lb/>
Ganz was feines! Kommen direkt aus Hamburg! Und nun geht nur noch mal<lb/>
zu den Kaninchen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1473" next="#ID_1474"> Dieser Einladung folgten wir gern. Herr Denkers Kaninchenstall war<lb/>
uns weit verlockender als die Tanzstunde, und bald saßen wir mit einigen<lb/>
Kohlblättern in der Hand vor einer Schar Kaninchen. Wir beneideten Denkers<lb/>
recht um diesen Besitz, denn er verursachte sehr angenehme Überraschungen.<lb/>
.Heute hatte sich die zahlreiche Familie plötzlich und unerwartet um zehn bis<lb/>
zwölf Mitglieder vermehrt &#x2014; ein Ereignis, das die Denkcrschen Kinder überall<lb/>
mit lärmender Freude erzählten; morgen wurde dem alten Kaninchenurgro߬<lb/>
vater die Unruhe zu viel und er fraß so viele seiner Enkelkinder auf, wie er<lb/>
uur erwischen konnte. Denkers wußten also eigentlich nie ganz sicher, wie viel<lb/>
Kaninchen sie hatten, und dieser schnelle Schicksalswechsel, dieser plötzliche<lb/>
Übergang von lauter Freude zu noch lautern Leid hatte für uns etwas un¬<lb/>
gemein anziehendes. Daß auch unser Sehnen auf dem Besitz eines Kaninchen-<lb/>
Pärchens gerichtet war, ist wohl begreiflich; aber bis jetzt war dieser Wunsch<lb/>
unbefriedigt geblieben, und wir mußten uns mit Denkers Stall begnügen.<lb/>
Vater Denker lud uns auch immer dringend ein; wußte er doch, daß wir ihm</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0507] [Abbildung] Aus dänischer Zeit ^0. Tanzstunde orgelt kommt Herr Weihkopf! erzählte uns Herr Denker, einer unsrer Großkaufleute, und wir nickten bekümmert. Jürgen und ich hatten die Nachricht schon gehört; unsre Gefühle waren aber nicht sehr freudig. Er bringt auch seine Frau mit, berichtete Herr Denker weiter, indem er zwei Pfund Reis, ein Pfund gebackne Pflaumen, drei Ellen Schirting und fünf Rollen Nähgarn sorgsam zu einem Paket vereinigte. Wie die tanzen kann! Wiegt über zweihundert Pfund und springt wie ein Gummi- ball! Ich hab sie im Ballet in Sankt Pauli bei Hamburg gesehen; davon hab ich lange geträumt! Bei der könnt ihr noch was lernen! Nun — mehr wollt ihr also heute nicht haben? Sagt eurer Mama, daß ich frische Anchovis Hütte, und nächstens kriege ich auch die Proben von den neusten Frühjahrsstoffen! Ganz was feines! Kommen direkt aus Hamburg! Und nun geht nur noch mal zu den Kaninchen! Dieser Einladung folgten wir gern. Herr Denkers Kaninchenstall war uns weit verlockender als die Tanzstunde, und bald saßen wir mit einigen Kohlblättern in der Hand vor einer Schar Kaninchen. Wir beneideten Denkers recht um diesen Besitz, denn er verursachte sehr angenehme Überraschungen. .Heute hatte sich die zahlreiche Familie plötzlich und unerwartet um zehn bis zwölf Mitglieder vermehrt — ein Ereignis, das die Denkcrschen Kinder überall mit lärmender Freude erzählten; morgen wurde dem alten Kaninchenurgro߬ vater die Unruhe zu viel und er fraß so viele seiner Enkelkinder auf, wie er uur erwischen konnte. Denkers wußten also eigentlich nie ganz sicher, wie viel Kaninchen sie hatten, und dieser schnelle Schicksalswechsel, dieser plötzliche Übergang von lauter Freude zu noch lautern Leid hatte für uns etwas un¬ gemein anziehendes. Daß auch unser Sehnen auf dem Besitz eines Kaninchen- Pärchens gerichtet war, ist wohl begreiflich; aber bis jetzt war dieser Wunsch unbefriedigt geblieben, und wir mußten uns mit Denkers Stall begnügen. Vater Denker lud uns auch immer dringend ein; wußte er doch, daß wir ihm

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/507
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/507>, abgerufen am 23.07.2024.