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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Dann übergiebt er den Schlüssel zur großen Apotheke, die er durch seine
Diener, die Heinzelmännchen, mit allen Mitteln, mit Glaube, Liebe, Hoff¬
nung u. s. w. reichlich versehen weiß, dem Provisor Optimus, um sich nach
andern Welten zu wenden. Diese Welt glaubt er dem ihr gegebnen Gesetz
überlassen zu dürfen; aber Optimus soll die Sorge um seine Menschen nicht
vergessen.

Das zweite Bild führt in die Hohle des Pessinus, des Gehilfen in der
großen Apotheke. Für ihn brant die Lüge mit Beihilfe von Häßlichkeit und
Neid gerade einen höllischen Trank. Da bringt der Haß die Kunde von dem
Weggange des großen Prinzipals, und daraufhin giebt die Lüge dem Pessinus,
nachdem er sich verpflichtet hat, ihre Tochter, die Häßlichkeit, zu heiraten,
den Rat, den vertrauensseligen Optimus in die Höhle zu locken, ihm durch
den eben fertig gewordnen Trank "Pessimismus" all seine Kraft zu nehmen,
so den Schlüssel der großen Apotheke in seine Gewalt zu bringen und die
dort vorhandnen Flaschen durch Zusatz jenes Tranks zu fälschen. Der Plan
gelingt bei der kindlichen Arglosigkeit und Gutmütigkeit des Herrn Optimus
nur zu leicht.

Im dritten Bilde erscheint Herr Pessinus unter dem skandinavisch¬
russischen Namen Ole Pessimoff, der, wie ihm die Lüge versichert hat, von
vornherein einen günstigen Eindruck auf die Menschen machen wird, zum
Kindtaufsschmaus bei dem Bürgermeisterpaar in Terra und überbringt, an¬
geblich im Auftrage des großen Prinzipals, den Wein, eben jene gefälschten
Flaschen. Mit ihm kommen die Lüge unter dem Namen Wahrheit, die Hä߬
lichkeit als Echtheit, der Haß als "Unentwegtheit," der Neid als kritisches
Bewußtsein. Sie finden bei den Gästen, von denen übrigens keiner über die
Spießbürgerlichkeit hervorragt, zunächst kühle Aufnahme. Sobald aber diese
von dem verfälschten Trank genossen haben, lassen sie sich durch Pessinus
leicht überzeugen, daß ihr ganzes bisheriges Glücksgefühl nur ein Wahn
gewesen, daß die Schönheit eine Betrügerin, die Ehe eine Lüge sei und der¬
gleichen mehr. Die Warnungen der Wahrheit bleiben wirkungslos, Anlauf


Dann übergiebt er den Schlüssel zur großen Apotheke, die er durch seine
Diener, die Heinzelmännchen, mit allen Mitteln, mit Glaube, Liebe, Hoff¬
nung u. s. w. reichlich versehen weiß, dem Provisor Optimus, um sich nach
andern Welten zu wenden. Diese Welt glaubt er dem ihr gegebnen Gesetz
überlassen zu dürfen; aber Optimus soll die Sorge um seine Menschen nicht
vergessen.

Das zweite Bild führt in die Hohle des Pessinus, des Gehilfen in der
großen Apotheke. Für ihn brant die Lüge mit Beihilfe von Häßlichkeit und
Neid gerade einen höllischen Trank. Da bringt der Haß die Kunde von dem
Weggange des großen Prinzipals, und daraufhin giebt die Lüge dem Pessinus,
nachdem er sich verpflichtet hat, ihre Tochter, die Häßlichkeit, zu heiraten,
den Rat, den vertrauensseligen Optimus in die Höhle zu locken, ihm durch
den eben fertig gewordnen Trank „Pessimismus" all seine Kraft zu nehmen,
so den Schlüssel der großen Apotheke in seine Gewalt zu bringen und die
dort vorhandnen Flaschen durch Zusatz jenes Tranks zu fälschen. Der Plan
gelingt bei der kindlichen Arglosigkeit und Gutmütigkeit des Herrn Optimus
nur zu leicht.

Im dritten Bilde erscheint Herr Pessinus unter dem skandinavisch¬
russischen Namen Ole Pessimoff, der, wie ihm die Lüge versichert hat, von
vornherein einen günstigen Eindruck auf die Menschen machen wird, zum
Kindtaufsschmaus bei dem Bürgermeisterpaar in Terra und überbringt, an¬
geblich im Auftrage des großen Prinzipals, den Wein, eben jene gefälschten
Flaschen. Mit ihm kommen die Lüge unter dem Namen Wahrheit, die Hä߬
lichkeit als Echtheit, der Haß als „Unentwegtheit," der Neid als kritisches
Bewußtsein. Sie finden bei den Gästen, von denen übrigens keiner über die
Spießbürgerlichkeit hervorragt, zunächst kühle Aufnahme. Sobald aber diese
von dem verfälschten Trank genossen haben, lassen sie sich durch Pessinus
leicht überzeugen, daß ihr ganzes bisheriges Glücksgefühl nur ein Wahn
gewesen, daß die Schönheit eine Betrügerin, die Ehe eine Lüge sei und der¬
gleichen mehr. Die Warnungen der Wahrheit bleiben wirkungslos, Anlauf


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[0503] Dann übergiebt er den Schlüssel zur großen Apotheke, die er durch seine Diener, die Heinzelmännchen, mit allen Mitteln, mit Glaube, Liebe, Hoff¬ nung u. s. w. reichlich versehen weiß, dem Provisor Optimus, um sich nach andern Welten zu wenden. Diese Welt glaubt er dem ihr gegebnen Gesetz überlassen zu dürfen; aber Optimus soll die Sorge um seine Menschen nicht vergessen. Das zweite Bild führt in die Hohle des Pessinus, des Gehilfen in der großen Apotheke. Für ihn brant die Lüge mit Beihilfe von Häßlichkeit und Neid gerade einen höllischen Trank. Da bringt der Haß die Kunde von dem Weggange des großen Prinzipals, und daraufhin giebt die Lüge dem Pessinus, nachdem er sich verpflichtet hat, ihre Tochter, die Häßlichkeit, zu heiraten, den Rat, den vertrauensseligen Optimus in die Höhle zu locken, ihm durch den eben fertig gewordnen Trank „Pessimismus" all seine Kraft zu nehmen, so den Schlüssel der großen Apotheke in seine Gewalt zu bringen und die dort vorhandnen Flaschen durch Zusatz jenes Tranks zu fälschen. Der Plan gelingt bei der kindlichen Arglosigkeit und Gutmütigkeit des Herrn Optimus nur zu leicht. Im dritten Bilde erscheint Herr Pessinus unter dem skandinavisch¬ russischen Namen Ole Pessimoff, der, wie ihm die Lüge versichert hat, von vornherein einen günstigen Eindruck auf die Menschen machen wird, zum Kindtaufsschmaus bei dem Bürgermeisterpaar in Terra und überbringt, an¬ geblich im Auftrage des großen Prinzipals, den Wein, eben jene gefälschten Flaschen. Mit ihm kommen die Lüge unter dem Namen Wahrheit, die Hä߬ lichkeit als Echtheit, der Haß als „Unentwegtheit," der Neid als kritisches Bewußtsein. Sie finden bei den Gästen, von denen übrigens keiner über die Spießbürgerlichkeit hervorragt, zunächst kühle Aufnahme. Sobald aber diese von dem verfälschten Trank genossen haben, lassen sie sich durch Pessinus leicht überzeugen, daß ihr ganzes bisheriges Glücksgefühl nur ein Wahn gewesen, daß die Schönheit eine Betrügerin, die Ehe eine Lüge sei und der¬ gleichen mehr. Die Warnungen der Wahrheit bleiben wirkungslos, Anlauf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/503>, abgerufen am 23.07.2024.