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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Das Verhältnis der Sittlichkeit zu Christentum, Staat und Kirche

zu ehrlich und gutmütig war, bald abwandte, so wagte es das Stadtministerium,
ihn und seine Amtsgenossen wegen eines geringfügigen Anlasses zu exkommu-
nizircn. Während noch über die Wirkungen dieses Bannes verhandelt wurde,
"verbreitete sich im Mai 1604 plötzlich das Gerücht, Brabant sei auf dem
Ägidienkirchhofe von einem Raben verfolgt worden; dieser Rabe besuche ihn
auch im Hause, Bei dem damaligen Staudpunkte der deutschen Kultur drohte
solch ein Gerücht dem, gegen den es ausgebracht ward, an Leib und Leben
Gefahr; denn daß ein Rabe, der einen Exkommunizirten besuchte, niemand
anders als der Teufel sei, verstand sich von selbst. Brabant hielt es daher
für nötig, unter dem Titel: Rabentand eine Verantwortung drucken zu lassen."
Aber seine Feinde Preßten einem Bürger, der sich ungerecht behandelt glaubte
und die Obrigkeit bedroht hatte, auf der Folter durch fürchterliche Martern
das Geständnis aus, er sei von Brabant angestiftet. Nun wurde zur Ver¬
haftung der Bürgcrhauptleute geschritten. Brabant entkam zwar, brach aber
beim Sprunge von der Stadtmauer ein Bein nud wurde zurückgeschleppt.
Über die Fvlternng der Bürgerhauptleute und ihrer Genossen erzählt Menzel:
"Sie wurden in der Art verhört, daß man jedem befahl, auf alle Fragen, die
ihm vorgelegt würden, ja zu sagen. Zögerte einer, so wurden ihm die Hände
mit Darmsaiten so fest auf den Rücken gebunden, daß das Blut aus den Ein¬
schnitten in Strömen herunterfloß und nnter den Nägeln hervorquoll. Dann
wurde der Inquisit zum zweitenmale befragt. Waren seine Antworten noch
nicht befriedigend, so wurde ein Strick mit einem Haken von der Decke der
Marterkammer herabgelassen, der Haken in den Verband der Hände geschlagen
und der Gemarterte an der Rolle in die Höhe gezogen." Dem Brabant wurde
dabei ein Arm ausgerissen; auch um dem gebrochnen Beine wurde er gemartert.
"Da der Hängende nnn gewöhnlich in Ohnmacht fiel und gar nicht antworten
konnte, so wurden ihm, unter dem Vorwande der Verstocktheit, die spanischen
Stiefeln angelegt und die Füße zermalmt. Jetzt erwachte der Gemarterte
gewöhnlich aus seiner Betäubung und schrie, daß er zu allem ja sagen wolle.
(Noch stärkere Zumutungen der Richter wies der Henker mit der Bemerkung
ab, er müsse seine Seligkeit bedenken.) Solch ein Verhör war ein Fest für
die deputirten Mitglieder des Gerichts. Dieselben saßen auf grünen Polstern
an einem grün beschlagnen Tische und thaten sich auf Kosten der Kämmerei
in einem Seitenzimmer an Wein und Konfekt so gütlich, daß sie entweder wie
wütend wurden oder schlaftrunken auf das Gesicht sanken, während der Ge¬
marterte um der Wunden Jesu willen nur um einen Tropfen Wasser oder
um einen Augenblick Erleichterung flehte. Zuweilen blieb er sechs, acht, ja
neun Stunden mit kurzen Pausen in den Rollen hängen, bis die zum Schmause
abgetretnen NichtHerren wiedergekehrt waren, oder indem ihm die Artikel des
Verhörs mit größter Umständlichkeit vorgelesen wurden. War endlich das
Verhör zu Ende, und hatte der Henker die Schulterknochen wieder eingesetzt,


Das Verhältnis der Sittlichkeit zu Christentum, Staat und Kirche

zu ehrlich und gutmütig war, bald abwandte, so wagte es das Stadtministerium,
ihn und seine Amtsgenossen wegen eines geringfügigen Anlasses zu exkommu-
nizircn. Während noch über die Wirkungen dieses Bannes verhandelt wurde,
„verbreitete sich im Mai 1604 plötzlich das Gerücht, Brabant sei auf dem
Ägidienkirchhofe von einem Raben verfolgt worden; dieser Rabe besuche ihn
auch im Hause, Bei dem damaligen Staudpunkte der deutschen Kultur drohte
solch ein Gerücht dem, gegen den es ausgebracht ward, an Leib und Leben
Gefahr; denn daß ein Rabe, der einen Exkommunizirten besuchte, niemand
anders als der Teufel sei, verstand sich von selbst. Brabant hielt es daher
für nötig, unter dem Titel: Rabentand eine Verantwortung drucken zu lassen."
Aber seine Feinde Preßten einem Bürger, der sich ungerecht behandelt glaubte
und die Obrigkeit bedroht hatte, auf der Folter durch fürchterliche Martern
das Geständnis aus, er sei von Brabant angestiftet. Nun wurde zur Ver¬
haftung der Bürgcrhauptleute geschritten. Brabant entkam zwar, brach aber
beim Sprunge von der Stadtmauer ein Bein nud wurde zurückgeschleppt.
Über die Fvlternng der Bürgerhauptleute und ihrer Genossen erzählt Menzel:
„Sie wurden in der Art verhört, daß man jedem befahl, auf alle Fragen, die
ihm vorgelegt würden, ja zu sagen. Zögerte einer, so wurden ihm die Hände
mit Darmsaiten so fest auf den Rücken gebunden, daß das Blut aus den Ein¬
schnitten in Strömen herunterfloß und nnter den Nägeln hervorquoll. Dann
wurde der Inquisit zum zweitenmale befragt. Waren seine Antworten noch
nicht befriedigend, so wurde ein Strick mit einem Haken von der Decke der
Marterkammer herabgelassen, der Haken in den Verband der Hände geschlagen
und der Gemarterte an der Rolle in die Höhe gezogen." Dem Brabant wurde
dabei ein Arm ausgerissen; auch um dem gebrochnen Beine wurde er gemartert.
„Da der Hängende nnn gewöhnlich in Ohnmacht fiel und gar nicht antworten
konnte, so wurden ihm, unter dem Vorwande der Verstocktheit, die spanischen
Stiefeln angelegt und die Füße zermalmt. Jetzt erwachte der Gemarterte
gewöhnlich aus seiner Betäubung und schrie, daß er zu allem ja sagen wolle.
(Noch stärkere Zumutungen der Richter wies der Henker mit der Bemerkung
ab, er müsse seine Seligkeit bedenken.) Solch ein Verhör war ein Fest für
die deputirten Mitglieder des Gerichts. Dieselben saßen auf grünen Polstern
an einem grün beschlagnen Tische und thaten sich auf Kosten der Kämmerei
in einem Seitenzimmer an Wein und Konfekt so gütlich, daß sie entweder wie
wütend wurden oder schlaftrunken auf das Gesicht sanken, während der Ge¬
marterte um der Wunden Jesu willen nur um einen Tropfen Wasser oder
um einen Augenblick Erleichterung flehte. Zuweilen blieb er sechs, acht, ja
neun Stunden mit kurzen Pausen in den Rollen hängen, bis die zum Schmause
abgetretnen NichtHerren wiedergekehrt waren, oder indem ihm die Artikel des
Verhörs mit größter Umständlichkeit vorgelesen wurden. War endlich das
Verhör zu Ende, und hatte der Henker die Schulterknochen wieder eingesetzt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/494>, abgerufen am 23.07.2024.