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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Umgestaltungen in der Lisenbahnverwaltung

Das Beispiel andrer Länder mit hochentwickelten Eisenbahnwesen, wie
England und Amerika, wo eine technische Vorbildung in unserm Sinne für die
höhern Betriebsbecnnten nicht gefordert wird, spricht zur Genüge für die Richtig¬
keit dieser Ausführungen. Auch bei uus, z. B. in Sachsen, werden an diese
Beamten derartige Ansprüche nicht gestellt. Ja selbst in Preußen giebt es
aus der frühern Zeit der Privatbahnen her eine ganze Zahl von höhern
Betriebsbeamten ohne besondre technische Vorbildung. Und auch hier in
Deutschland wie dort in England und Amerika sind mit diesen Beamten, so
viel uns bekannt ist, überwiegend günstige Erfahrungen gemacht worden. In
England wie in Amerika wird eine wissenschaftliche (akademische) Vorbildung
von den höhern Eisenbahnbeamten überhaupt nicht grundsätzlich verlangt, ob¬
wohl man auch dort den Wert einer solchen, wo sie mit den wesentlichen An¬
forderungen an das Wissen und Können der betreffenden Personen zusammen¬
fällt, keineswegs unterschätzt. Es wird dort im Grunde nur darnach gefragt,
was einer weiß und kann. Die "Bezugsquelle" dafür ist völlig nebensächlich.
Bei uns spielt diese Bezugsquelle leider noch immer die Hauptrolle und wird
sie wohl noch lange spielen. Unsre Bureaukratie, die bedauerlicherweise gerade
in der Vormacht Deutschlands ihre Hauptstütze findet, wird kaum jemals zu
überzeugen sein, daß das, was in jenen Ländern so wesentlich zu hoher und
höchster Leistnugsfühigkeit beiträgt, auch bei uus ähnliche Vorteile mit sich
bringen würde. Und doch ist es für jeden Unbefangnen klar, daß in der
bloßen Möglichkeit, durch hervorragende Geistes- und Charaktereigenschaften
und diesen entsprechende Leistungen auch ohne Ausweis über Erfüllung der
"bestehenden Bestimmungen" wirtschaftlich und sozial bevorzugte Stellungen
zu erringen, eines der wirksamsten Mittel liegt, den Ehrgeiz nachhaltig zu
beleben, das jedem Menschen mehr oder weniger innewohnende "Trägheits¬
moment" zu überwinden und ihn zur höchsten Entfaltung aller in ihm "latenten"
Kräfte anzuspornen. Die bei uns leider in weiten Kreisen so häusig anzu¬
treffende geistige Stumpfheit und Schwerfälligkeit ist gewiß nicht ausschließlich
oder auch nur überwiegend auf die leidige Unsitte übermüßigen "Höckers in
verpesteten Kneiphöhlen" zurückzuführen, sondern doch wohl zum großen Teile,
wie zur Ehre unsrer Landsleute angenommen werden darf, auf den Umstand,
daß auch der aufgeweckteste und strebsamste Kopf bei allen noch so lobenswerten
Bemühungen, auf der wirtschaftlichen und sozialen Stufenleiter eine höhere
Sprosse zu erklimmen, nnr zu bald auf Vorurteile stößt, die allen Versuchen,
sie zu durchbrechen, Trotz bieten und ihm deu Weg zum Weiterkommen ver¬
schließen. Ist es da zu verwundern, wenn auch der Stärkste und Ausdauerndste
schließlich ermattet und sich mit der Mehrzahl seiner schwächern und genügsameren
Gefährten schlaffer Gleichgültigkeit hingiebt, die vom Leben nichts erwartet,
weil sie weiß, daß dieses ihr nichts bieten kaun, und die deshalb auf eigne
Anstrengung verzichtet, soweit diese nicht zur Erhaltung einer glücklich "er-


Umgestaltungen in der Lisenbahnverwaltung

Das Beispiel andrer Länder mit hochentwickelten Eisenbahnwesen, wie
England und Amerika, wo eine technische Vorbildung in unserm Sinne für die
höhern Betriebsbecnnten nicht gefordert wird, spricht zur Genüge für die Richtig¬
keit dieser Ausführungen. Auch bei uus, z. B. in Sachsen, werden an diese
Beamten derartige Ansprüche nicht gestellt. Ja selbst in Preußen giebt es
aus der frühern Zeit der Privatbahnen her eine ganze Zahl von höhern
Betriebsbeamten ohne besondre technische Vorbildung. Und auch hier in
Deutschland wie dort in England und Amerika sind mit diesen Beamten, so
viel uns bekannt ist, überwiegend günstige Erfahrungen gemacht worden. In
England wie in Amerika wird eine wissenschaftliche (akademische) Vorbildung
von den höhern Eisenbahnbeamten überhaupt nicht grundsätzlich verlangt, ob¬
wohl man auch dort den Wert einer solchen, wo sie mit den wesentlichen An¬
forderungen an das Wissen und Können der betreffenden Personen zusammen¬
fällt, keineswegs unterschätzt. Es wird dort im Grunde nur darnach gefragt,
was einer weiß und kann. Die „Bezugsquelle" dafür ist völlig nebensächlich.
Bei uns spielt diese Bezugsquelle leider noch immer die Hauptrolle und wird
sie wohl noch lange spielen. Unsre Bureaukratie, die bedauerlicherweise gerade
in der Vormacht Deutschlands ihre Hauptstütze findet, wird kaum jemals zu
überzeugen sein, daß das, was in jenen Ländern so wesentlich zu hoher und
höchster Leistnugsfühigkeit beiträgt, auch bei uus ähnliche Vorteile mit sich
bringen würde. Und doch ist es für jeden Unbefangnen klar, daß in der
bloßen Möglichkeit, durch hervorragende Geistes- und Charaktereigenschaften
und diesen entsprechende Leistungen auch ohne Ausweis über Erfüllung der
„bestehenden Bestimmungen" wirtschaftlich und sozial bevorzugte Stellungen
zu erringen, eines der wirksamsten Mittel liegt, den Ehrgeiz nachhaltig zu
beleben, das jedem Menschen mehr oder weniger innewohnende „Trägheits¬
moment" zu überwinden und ihn zur höchsten Entfaltung aller in ihm „latenten"
Kräfte anzuspornen. Die bei uns leider in weiten Kreisen so häusig anzu¬
treffende geistige Stumpfheit und Schwerfälligkeit ist gewiß nicht ausschließlich
oder auch nur überwiegend auf die leidige Unsitte übermüßigen „Höckers in
verpesteten Kneiphöhlen" zurückzuführen, sondern doch wohl zum großen Teile,
wie zur Ehre unsrer Landsleute angenommen werden darf, auf den Umstand,
daß auch der aufgeweckteste und strebsamste Kopf bei allen noch so lobenswerten
Bemühungen, auf der wirtschaftlichen und sozialen Stufenleiter eine höhere
Sprosse zu erklimmen, nnr zu bald auf Vorurteile stößt, die allen Versuchen,
sie zu durchbrechen, Trotz bieten und ihm deu Weg zum Weiterkommen ver¬
schließen. Ist es da zu verwundern, wenn auch der Stärkste und Ausdauerndste
schließlich ermattet und sich mit der Mehrzahl seiner schwächern und genügsameren
Gefährten schlaffer Gleichgültigkeit hingiebt, die vom Leben nichts erwartet,
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Anstrengung verzichtet, soweit diese nicht zur Erhaltung einer glücklich „er-


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[0486] Umgestaltungen in der Lisenbahnverwaltung Das Beispiel andrer Länder mit hochentwickelten Eisenbahnwesen, wie England und Amerika, wo eine technische Vorbildung in unserm Sinne für die höhern Betriebsbecnnten nicht gefordert wird, spricht zur Genüge für die Richtig¬ keit dieser Ausführungen. Auch bei uus, z. B. in Sachsen, werden an diese Beamten derartige Ansprüche nicht gestellt. Ja selbst in Preußen giebt es aus der frühern Zeit der Privatbahnen her eine ganze Zahl von höhern Betriebsbeamten ohne besondre technische Vorbildung. Und auch hier in Deutschland wie dort in England und Amerika sind mit diesen Beamten, so viel uns bekannt ist, überwiegend günstige Erfahrungen gemacht worden. In England wie in Amerika wird eine wissenschaftliche (akademische) Vorbildung von den höhern Eisenbahnbeamten überhaupt nicht grundsätzlich verlangt, ob¬ wohl man auch dort den Wert einer solchen, wo sie mit den wesentlichen An¬ forderungen an das Wissen und Können der betreffenden Personen zusammen¬ fällt, keineswegs unterschätzt. Es wird dort im Grunde nur darnach gefragt, was einer weiß und kann. Die „Bezugsquelle" dafür ist völlig nebensächlich. Bei uns spielt diese Bezugsquelle leider noch immer die Hauptrolle und wird sie wohl noch lange spielen. Unsre Bureaukratie, die bedauerlicherweise gerade in der Vormacht Deutschlands ihre Hauptstütze findet, wird kaum jemals zu überzeugen sein, daß das, was in jenen Ländern so wesentlich zu hoher und höchster Leistnugsfühigkeit beiträgt, auch bei uus ähnliche Vorteile mit sich bringen würde. Und doch ist es für jeden Unbefangnen klar, daß in der bloßen Möglichkeit, durch hervorragende Geistes- und Charaktereigenschaften und diesen entsprechende Leistungen auch ohne Ausweis über Erfüllung der „bestehenden Bestimmungen" wirtschaftlich und sozial bevorzugte Stellungen zu erringen, eines der wirksamsten Mittel liegt, den Ehrgeiz nachhaltig zu beleben, das jedem Menschen mehr oder weniger innewohnende „Trägheits¬ moment" zu überwinden und ihn zur höchsten Entfaltung aller in ihm „latenten" Kräfte anzuspornen. Die bei uns leider in weiten Kreisen so häusig anzu¬ treffende geistige Stumpfheit und Schwerfälligkeit ist gewiß nicht ausschließlich oder auch nur überwiegend auf die leidige Unsitte übermüßigen „Höckers in verpesteten Kneiphöhlen" zurückzuführen, sondern doch wohl zum großen Teile, wie zur Ehre unsrer Landsleute angenommen werden darf, auf den Umstand, daß auch der aufgeweckteste und strebsamste Kopf bei allen noch so lobenswerten Bemühungen, auf der wirtschaftlichen und sozialen Stufenleiter eine höhere Sprosse zu erklimmen, nnr zu bald auf Vorurteile stößt, die allen Versuchen, sie zu durchbrechen, Trotz bieten und ihm deu Weg zum Weiterkommen ver¬ schließen. Ist es da zu verwundern, wenn auch der Stärkste und Ausdauerndste schließlich ermattet und sich mit der Mehrzahl seiner schwächern und genügsameren Gefährten schlaffer Gleichgültigkeit hingiebt, die vom Leben nichts erwartet, weil sie weiß, daß dieses ihr nichts bieten kaun, und die deshalb auf eigne Anstrengung verzichtet, soweit diese nicht zur Erhaltung einer glücklich „er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/486>, abgerufen am 23.07.2024.