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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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ihn und insbesondre die Pflicht der Fortentrichtung der Steuern für jeden
katholischen Christen eine unzweifelhafte heilige Gewissenspflicht ist." Diese
Erklärung wurde in vielen Tausenden von Exemplaren vom Ministerium ver¬
breitet und brachte auch in rein protestantischen Gegenden die überraschendsten
Wirkungen hervor. Die polnischen Aufstünde kann man als Beweis nicht
gelten lassen, denn unterworfne Nationen unternehmen stets Befreiungsversuche,
gleichviel welcher Religion sie sind. Auch haben die polnischen Soldaten in
den drei großen Kriegen ihre Schuldigkeit gethan, und sollten sie gegenwärtig
weniger zuverlässig erscheinen, so würde das nicht eben für die nach 1870
eingeschlagne Schulpolitik sprechen. Wenn es erlaubt wäre, Gesctzvorschläge
mit aufgewärmten alten Geschichten zu begründen, so müßte doch hervor¬
gehoben werden, daß 1848 nicht so weit zurückliegt wie der Investiturstreit,
und daß auf Grund der Erfahrungen des genannten Jahres die Berliner
Stadtgemeinde als eine zu Revolutionen geneigte Bevölkerung von der Teil¬
nahme an der Schulverwaltung ausgeschlossen werden könnte. Also: den
Konfessionshaß in allen Ehren, aber will er auf die Gesetzgebung Einfluß
üben, so muß er seine Forderungen durch Thatsachen rechtfertigen. Übrigens
verdient noch hervorgehoben zu werden, daß es seit Jahrzehnten schon nicht
mehr der gläubige Teil der Protestanten, sondern ihr linker Flügel ist, der
gegen "Rom und die Römlinge" kämpft, daß also der Haß weniger den Nom-
lingen als den positiv gläubigen Christen zu gelten scheint.

Der zweite Grund ist die schwierige Lage des Liberalismus. Die Künst¬
lichkeit unsrer Kultur, die Menschenanhäufung, der babylonische Turmbau unsrer
verwickelten Staats- und Gesellschaftsordnung, die grimmigen Jnteressenkämpfe
schnüren uns dermaßen ein, daß von Freiheit nicht viel übrig bleibt, und die
Verteidigung der etwa noch übrigen Freiheitsreste ist das letzte, was den
liberalen Führern am Herzen liegt. Denn sie hängen mehr oder weniger am
Mammon, der arg bedroht erscheint, und während sie gegen Soldatenmi߬
handlungen eifern, beten sie im Herzenskämmerlein zum Weltbaumeister, oder
zu Jehovah, oder zu Allah, oder zu Wotan, oder zum Unbewußten, er oder
es möge die Männer der Regierung stark und fest machen, daß sie mit eiserner
Disziplin die Waffe blank, stahlhart und schneidig erhalten, die im Ent¬
scheidungskampfe das höchste Gut des modernen Menschen gegen die bösen
Sozialdemokraten zu verteidigen haben wird. Was kann es unter diesen Um¬
ständen noch für "liberale" Aufgaben geben? Könnte nicht mitunter ein wenig
gegen Junker und Pfaffen gedonnert werden, obwohl es heute ganz andre
Mächte sind, die unerträglichen Druck ausüben, so hätte das Wörtlein liberal
ja keinen Sinn mehr. Darum durfte man diese schöne Gelegenheit, die alte
Litanei gegen Pfaffenherrschaft und Geiftesknechtschaft wieder einmal herunter¬
zuleiern, nicht unbenutzt vorübergehn lassen.

Überhaupt, und das ist der dritte Grund, war im Augenblick die Ver-


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ihn und insbesondre die Pflicht der Fortentrichtung der Steuern für jeden
katholischen Christen eine unzweifelhafte heilige Gewissenspflicht ist." Diese
Erklärung wurde in vielen Tausenden von Exemplaren vom Ministerium ver¬
breitet und brachte auch in rein protestantischen Gegenden die überraschendsten
Wirkungen hervor. Die polnischen Aufstünde kann man als Beweis nicht
gelten lassen, denn unterworfne Nationen unternehmen stets Befreiungsversuche,
gleichviel welcher Religion sie sind. Auch haben die polnischen Soldaten in
den drei großen Kriegen ihre Schuldigkeit gethan, und sollten sie gegenwärtig
weniger zuverlässig erscheinen, so würde das nicht eben für die nach 1870
eingeschlagne Schulpolitik sprechen. Wenn es erlaubt wäre, Gesctzvorschläge
mit aufgewärmten alten Geschichten zu begründen, so müßte doch hervor¬
gehoben werden, daß 1848 nicht so weit zurückliegt wie der Investiturstreit,
und daß auf Grund der Erfahrungen des genannten Jahres die Berliner
Stadtgemeinde als eine zu Revolutionen geneigte Bevölkerung von der Teil¬
nahme an der Schulverwaltung ausgeschlossen werden könnte. Also: den
Konfessionshaß in allen Ehren, aber will er auf die Gesetzgebung Einfluß
üben, so muß er seine Forderungen durch Thatsachen rechtfertigen. Übrigens
verdient noch hervorgehoben zu werden, daß es seit Jahrzehnten schon nicht
mehr der gläubige Teil der Protestanten, sondern ihr linker Flügel ist, der
gegen „Rom und die Römlinge" kämpft, daß also der Haß weniger den Nom-
lingen als den positiv gläubigen Christen zu gelten scheint.

Der zweite Grund ist die schwierige Lage des Liberalismus. Die Künst¬
lichkeit unsrer Kultur, die Menschenanhäufung, der babylonische Turmbau unsrer
verwickelten Staats- und Gesellschaftsordnung, die grimmigen Jnteressenkämpfe
schnüren uns dermaßen ein, daß von Freiheit nicht viel übrig bleibt, und die
Verteidigung der etwa noch übrigen Freiheitsreste ist das letzte, was den
liberalen Führern am Herzen liegt. Denn sie hängen mehr oder weniger am
Mammon, der arg bedroht erscheint, und während sie gegen Soldatenmi߬
handlungen eifern, beten sie im Herzenskämmerlein zum Weltbaumeister, oder
zu Jehovah, oder zu Allah, oder zu Wotan, oder zum Unbewußten, er oder
es möge die Männer der Regierung stark und fest machen, daß sie mit eiserner
Disziplin die Waffe blank, stahlhart und schneidig erhalten, die im Ent¬
scheidungskampfe das höchste Gut des modernen Menschen gegen die bösen
Sozialdemokraten zu verteidigen haben wird. Was kann es unter diesen Um¬
ständen noch für „liberale" Aufgaben geben? Könnte nicht mitunter ein wenig
gegen Junker und Pfaffen gedonnert werden, obwohl es heute ganz andre
Mächte sind, die unerträglichen Druck ausüben, so hätte das Wörtlein liberal
ja keinen Sinn mehr. Darum durfte man diese schöne Gelegenheit, die alte
Litanei gegen Pfaffenherrschaft und Geiftesknechtschaft wieder einmal herunter¬
zuleiern, nicht unbenutzt vorübergehn lassen.

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[0478] Zum Volksschullärm ihn und insbesondre die Pflicht der Fortentrichtung der Steuern für jeden katholischen Christen eine unzweifelhafte heilige Gewissenspflicht ist." Diese Erklärung wurde in vielen Tausenden von Exemplaren vom Ministerium ver¬ breitet und brachte auch in rein protestantischen Gegenden die überraschendsten Wirkungen hervor. Die polnischen Aufstünde kann man als Beweis nicht gelten lassen, denn unterworfne Nationen unternehmen stets Befreiungsversuche, gleichviel welcher Religion sie sind. Auch haben die polnischen Soldaten in den drei großen Kriegen ihre Schuldigkeit gethan, und sollten sie gegenwärtig weniger zuverlässig erscheinen, so würde das nicht eben für die nach 1870 eingeschlagne Schulpolitik sprechen. Wenn es erlaubt wäre, Gesctzvorschläge mit aufgewärmten alten Geschichten zu begründen, so müßte doch hervor¬ gehoben werden, daß 1848 nicht so weit zurückliegt wie der Investiturstreit, und daß auf Grund der Erfahrungen des genannten Jahres die Berliner Stadtgemeinde als eine zu Revolutionen geneigte Bevölkerung von der Teil¬ nahme an der Schulverwaltung ausgeschlossen werden könnte. Also: den Konfessionshaß in allen Ehren, aber will er auf die Gesetzgebung Einfluß üben, so muß er seine Forderungen durch Thatsachen rechtfertigen. Übrigens verdient noch hervorgehoben zu werden, daß es seit Jahrzehnten schon nicht mehr der gläubige Teil der Protestanten, sondern ihr linker Flügel ist, der gegen „Rom und die Römlinge" kämpft, daß also der Haß weniger den Nom- lingen als den positiv gläubigen Christen zu gelten scheint. Der zweite Grund ist die schwierige Lage des Liberalismus. Die Künst¬ lichkeit unsrer Kultur, die Menschenanhäufung, der babylonische Turmbau unsrer verwickelten Staats- und Gesellschaftsordnung, die grimmigen Jnteressenkämpfe schnüren uns dermaßen ein, daß von Freiheit nicht viel übrig bleibt, und die Verteidigung der etwa noch übrigen Freiheitsreste ist das letzte, was den liberalen Führern am Herzen liegt. Denn sie hängen mehr oder weniger am Mammon, der arg bedroht erscheint, und während sie gegen Soldatenmi߬ handlungen eifern, beten sie im Herzenskämmerlein zum Weltbaumeister, oder zu Jehovah, oder zu Allah, oder zu Wotan, oder zum Unbewußten, er oder es möge die Männer der Regierung stark und fest machen, daß sie mit eiserner Disziplin die Waffe blank, stahlhart und schneidig erhalten, die im Ent¬ scheidungskampfe das höchste Gut des modernen Menschen gegen die bösen Sozialdemokraten zu verteidigen haben wird. Was kann es unter diesen Um¬ ständen noch für „liberale" Aufgaben geben? Könnte nicht mitunter ein wenig gegen Junker und Pfaffen gedonnert werden, obwohl es heute ganz andre Mächte sind, die unerträglichen Druck ausüben, so hätte das Wörtlein liberal ja keinen Sinn mehr. Darum durfte man diese schöne Gelegenheit, die alte Litanei gegen Pfaffenherrschaft und Geiftesknechtschaft wieder einmal herunter¬ zuleiern, nicht unbenutzt vorübergehn lassen. Überhaupt, und das ist der dritte Grund, war im Augenblick die Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/478>, abgerufen am 26.08.2024.